zum Hauptinhalt
Das Brandenburger Tor ist das medienwirksame Symbol des Flüchtlingsprotests.

© dpa

Bilderoffensive: Flucht nach vorn

Seit Ende Oktober findet am Brandenburger Tor eine Dauerdemonstration statt. Im Zentrum der politischen Macht prangern die Demonstranten die Auflagen für Asylbewerber an. Dass überhaupt darüber berichtet wird, liege nur an der Symbolkraft dieser Bilder, konstatieren Wissenschaftler.

Es war eine Grundsatzfrage, die der ZDF-Reporter Dominik Rzepka zum Flüchtlingsprotest am Brandenburger Tor stellte. „Berichten oder nicht?“, wollte er von seiner Twitter-Gefolgschaft kürzlich wissen. Die Antworten kamen sofort, fast alle mit dem Tenor: Ja, es besteht sogar eine moralische Pflicht dazu. Rzepka hielt dem ein Zitat von Journalistenlegende Hanns-Joachim Friedrichs entgegen: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“

Am Ende berichtete das ZDF über die Demonstration auf dem Pariser Platz, die für verbesserte Bedingungen für Asylbewerber in Deutschland sorgen soll. Doch dass die Relevanz überhaupt in Frage gestellt wurde, passt zur Gesamtsituation. Zahlreiche Wissenschaftler kritisieren die Berichterstattung über Flüchtende und Asylbewerber seit Jahren. Insbesondere die Bildpolitik sei tendenziös, monieren sie. Dramatische Fotos von Fluchtversuchen über das Mittelmeer etwa seien zur Gewohnheit geworden. „Oft sind es diese Bilder von den überfüllten Booten, die suggerieren, dass es keinen Platz für diese Menschen gibt“, sagt Claudia Bruns, Kulturwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität Berlin.

Das oft beschworene Ideal der journalistischen Objektivität ist dabei nicht unumstritten. Der ehemalige BBC-Kriegsreporter Martin Bell beispielsweise argumentiert, dass Nachrichten aufgrund von Bezugnahmen und Auswahlprozessen niemals vollständig objektiv sein können. Tatsächlich erreichbar sei einzig ein Maß an Ausgewogenheit, indem die eigene Arbeitsweise transparent gemacht werde. Aber selbst das hat Seltenheitswert, wenn es um Flüchtende geht, kritisieren die Wissenschaftler.

Stattdessen tauchen immer wieder dieselben Bildmuster auf. Aus Sicht der Massenmedien sind derlei „Ikonen“ der Versuch, komplexe Sachverhalte einprägsam zu visualisieren. Jedoch sind sie reduziert und verkommen daher schnell zu Stereotypen. Die Migranten selbst haben darauf praktisch keinen Einfluss, berichtet Bruns: Oft würden sie passiv und unpersönlich als „bedrohliche Masse“ dargestellt. Auch Francesca Falk warnt in „Bilder von Europa“ (transcript-Verlag, 2010) vor den Konsequenzen dieser Darstellungen: „Solche Bilder werden Teil des kollektiven und kulturellen Gedächtnisses und prägen dadurch die Wahrnehmung von Europas Grenzen.“

Asylheime und Lager innerhalb Europas waren dagegen vor dem Berliner Protest medial kaum präsent. Sie sind ebenso wenig als fester Teil des öffentlichen Lebens vorgesehen wie die Migranten selbst. Das gilt auch für Deutschland, wie die Residenzpflicht zeigt: Die sieht vor, dass Asylbewerber ihren Regierungsbezirk nur auf Antrag hin verlassen dürfen. Würde öfter über sie berichtet, wenn es so spektakuläre Bilder gäbe wie an der Seegrenze? Das ist Spekulation. Doch sicher ist, dass den Medien ausdrucksstarke Bilder entgegen kommen.

Die Demonstranten haben das erkannt, gemeinsam sind sie in die Bilderoffensive gegangen. Seit einigen Tagen kann neben der Mahnwache eine Fotoausstellung besichtigt werden. Die Fotos zeigen Szenen der seit acht Monaten andauernden bundesweiten Proteste. Die Asylbewerber machen sich so ihrerseits die Symbolik der Bilder zu Nutze. Währenddessen harren sie aus und erzählen ihren Leidensweg. „Damit machen sie deutlich, dass sie Menschen mit Gesichtern und Geschichten sind. Jetzt kann man sie nicht mehr ignorieren“, erläutert Bruns. Und tatsächlich: Fast alle Nachrichtenkanäle berichten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false