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Medien: Bis dass RTL euch scheidet

Heute läuft die dritte Gerichtsshow an, die Gisela Marx produziert: „Familiengericht“

Sie waren lange Zeit Journalistin für die ARD, heute produzieren Sie Gerichtsshows. ARD-Programm-Chef Günter Struve nennt diese Art Sendungen „Ferkeleien“.

Herr Struve hat das Problem eines – was die Quoten betrifft – relativ unbefriedigenden Nachmittags. Jemand, der so formulierungsfreudig ist wie er und so gerne austeilt, greift gelegentlich auch unter sein Niveau.

Nicht nur Struve, auch Jugendschützer kritisieren Gerichtsshows.

Als wir mit der Ausstrahlung von „Richterin Barbara Salesch“ am Nachmittag begannen, hatte ich das Thema total unterschätzt. Ich war ja Produzentin fürs Abend-Programm, und ich bin weder vom Sender Sat 1 noch von den dortigen Jugendschützern eindringlich darauf hingewiesen worden. Jetzt wissen wir’s, und wir halten uns daran. Wir haben beim „Familiengericht“ den Jugendschutzbeauftragten von RTL zu uns gebeten, damit die Redakteure von vornherein Bescheid wissen. Ich finde das ein sehr richtiges Anliegen, und wir tun alles, um Kinder und Jugendliche zu schützen.

Wie genau richten Sie sich nach den Vorgaben des Jugendschutzes?

Besonders Geschichten, die ohne eine Lösung enden, können Kinder und Jugendliche ängstigen. Zum Beispiel der Fall einer Mutter, die in den Selbstmord getrieben wurde und bei dem das Kind im Prozess gegen den beschuldigten Mann aussagen sollte. Es gab außerdem bei uns mal einen Trend, den Stil vom Sat 1-Fernseh-Richter Alexander Hold zu kopieren, der viel mit Rüpeleien im Gerichtssaal agiert. Das haben wir aber sehr schnell abgestellt.

Es geht aber auch bei „Barbara Salesch“ zuweilen hoch her.

Deftige Wörter gehören einfach zur Alltagssprache, und gelegentliche Rempeleien gehören auch zur Amtsgerichtsrealität. Insofern bilden wir Wirklichkeit ab.

Diese Sendungen sind die Nachfolger der Talkshows, nicht nur weil sie auf dem selben Programmplatz zu finden sind.

Wir sind Ersatz für die Talkshows. In dem Begriff Nachfolge liegt die Unterstellung, wir würden etwas Ähnliches machen. Das ist nicht der Fall. Auch die Landesmedienanstalten argumentieren leider auf dieser Ebene. Da wir jedoch nicht mit realen Personen agieren und die Fälle erfinden, halte ich das für eine vollkommen unzulässige Diskussion.

Aber die Themen sind ähnlich.

Das ist doch vollkommen klar. Es sind die Themen, die die Menschen interessieren, und die Motive für Kriminalität sind häufig Liebe, Eifersucht, Sexualität. Aber während die Talkshows reale Menschen vorgeführt haben, agieren wir mit Komparsen, die ein Stück spielen.

Halten Sie die Themenwahl manchmal für problematisch?

Nein, wir zeigen keine Gewaltszenen, und wir führen keine Kinder vor. Außerdem: Ich empfinde mich nicht als öffentlich-rechtliche Bildungsanstalt, die sich einen Platz im Privatfernsehen erobert hat, sondern als Produzentin, die ein sehr gutes, akzeptiertes Programm anbietet und als zusätzlichen Effekt zeigt, wie Justiz funktioniert.

Sie machen sich mit ihrer Show „Familiengericht“, die heute auf RTL beginnt, selbst Konkurrenz. „Barbara Salesch“ läuft bei Sat 1 zeitgleich.

Erstens mache ich mir lieber selbst Konkurrenz, als dass mir jemand anders Konkurrenz macht. Zweitens glaube ich, dass der erreichbare Marktanteil für Gerichtsformate bei 50 bis 60 Prozent liegt. Wenn sich dies beide Sendungen teilen, wäre ich sehr zufrieden.

Eigentlich war ja das ZDF Spezialist für Scheidungsshows. Was machen Sie anders?

Wir sind keine Show. Beim „Familiengericht“ lege ich besonderen Wert darauf, dass es eine Gerichts- Serie ist. Es ist ein sehr emotionales Programm mit drei Hauptfiguren, dem Richter Engeland und zwei Anwälten, über die wir am Rande der kleinen und großen Familientragödien auch etwas erfahren.

Gibt es hier authentische Fälle?

Es gibt bei uns nur Fälle, die sich Autoren und Redakteure ausdenken: Fälle, die in der Realität passiert sind oder passieren können. Jeder kennt ja eine Familie, die geschieden ist und in der das Sorgerecht in Frage stand.

Nur Richter und Anwälte sind echt. Wie schwer ist es, sie zu finden?

Ich hatte das Glück, dass fast alle unserer Richterinnen und Richter meine Freunde sind. Meine schlimmste Casting-Zeit ist vorbei. Beim Casting zu „Barbara Salesch“ habe ich 92 Richter verkraftet.

Was war daran schlimm?

Es war wahnsinnig anstrengend. Richter, insbesondere Männer, sind sehr selbstbewusste Menschen, und eigentlich jeder hatte das Gefühl, der geborene Fernsehstar zu sein.

Erklärt sich der Erfolg der Gerichts-Serien auch aus der Sehnsucht der Menschen nach einer gerechten, übergeordneten Figur?

Hundertprozentig. Die Leute wurden aus dem menschlichen Chaos in der einen Talkshow gleich in die nächste Sendung entlassen. Da lag eine Tristesse und eine Depression über dem Nachmittag, selbst wenn es um Busenvergrößerung ging, das Ganze war nicht mehr auszuhalten. Und das Justiz-Genre ist spannend. Es gibt immer eine Lösung, die an Werten orientiert ist, mit denen sich jeder identifizieren kann. Und es hat eine ritualisierte Ordnung, die sehr wohltuend ist.

Das Gespräch führte Thomas Gehringer.

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