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© Tsp

Bonn, Kabul: Den Aufbau im Blick

Wie die Deutsche Welle in Afghanistan auf die wachsende Ablehnung der Bundeswehr reagiert.

Die deutschen Soldaten in Afghanistan werden von der Bevölkerung zunehmend als Besatzer angesehen. „Die Stimmung dort geht in diese Richtung“, bestätigt Nadia Fasel von der Afghanistan-Redaktion der Deutschen Welle (DW) in Bonn. Informationen über die Aufbauhilfen erreiche das Gros der afghanischen Bevölkerung kaum oder gar nicht. Das Positive, Konstruktive verpuffe zur Bedeutungslosigkeit, stattdessen würde die Propaganda der Taliban dieses Vakuum immer erfolgreicher füllen. Der deutsche Auslandsrundfunk sendet täglich drei Stunden Hörfunkprogramm in den Landessprachen Dari und Paschtu. Nadia Fasel bearbeitet die per Internet und Telefon eintreffenden Hörer-Reaktionen. Zurzeit sind es monatlich 800 bis 900 Kontakte. Fasel musste 1985 aus Kabul fliehen und lebt seitdem in Deutschland. Die Gespräche und Briefwechsel, in denen Menschen um konkrete Hilfe bitten, setzen ihr zu: „Das kann ich nicht einfach so wegschieben.“

Das eher düstere Stimmungsbild wird von ihrem Chef Said Musa Samimy bestätigt. Doch der ebenfalls in Kabul geborene Redaktionsleiter, der bereits Ende der sechziger Jahre in Bonn studiert hat, ist nicht ohne Zuversicht. Die Menschen in Afghanistan seien zwar mit der Regierung unzufrieden, sagt er, „aber sie sind für das System. Sie gehen wählen und riskieren ihr Leben, weil sie an die Demokratie glauben“. Seine 22-köpfige Bonner Redaktion stützt sich vornehmlich auf 13 Korrespondenten, afghanische Journalisten, die ein Training der DW absolviert haben. Die vor- und nachmittags auf UKW-Frequenzen ausgestrahlten Sendungen, jeweils eine halbe Stunde sowohl in Dari als auch in Paschtu, sollen der Bevölkerung und den Flüchtlingen in den Nachbarstaaten (allein 1,2 Millionen leben im Iran), ein unabhängiges Bild von den Vorgängen im Land bieten, aber auch die deutsche und europäische Perspektive vermitteln. Die über die Welt verstreuten Exil-Afghanen – in Deutschland leben laut Samimy rund 100 000 – hofft man vornehmlich über den Internet-Auftritt zu erreichen.

In Afghanistan selbst spielen Internet und Printmedien eine unbedeutende Rolle. Ein Fernseher steht mittlerweile fast in jedem vierten Haushalt, doch das mit Abstand meistgenutzte Medium ist nach wie vor das Radio. „Nachrichten zu hören ist ein gesellschaftliches Ereignis“, sagt Samimy und verweist auf die Zeit des Bürgerkriegs, in der es eine Überlebensfrage sein konnte, informiert zu sein. Nach dem Sturz der Taliban hat sich eine eigenständige Medienlandschaft mit „hunderten Radioprogrammen“ entwickelt. Da sei eine neue Kultur entstanden, in der auch gute journalistische Arbeit geleistet werde, sagt Samimy.

Westliche Regierungen und Sender, auch die Deutsche Welle, haben Aufbauhilfe geleistet. Aber Journalisten werden in Afghanistan immer noch häufig bedroht und unter Druck gesetzt. Die Taliban haben eigene Sender, doch eine Gefahr für die Meinungsfreiheit ginge nicht nur von ihnen aus, sondern auch von Politikern, Sicherheitsbeamten und kriminellen Gruppen, kritisierte jüngst die Organisation „Reporter ohne Grenzen“. In den Medien seien vor den Präsidentschaftswahlen ausgewählte Kandidaten bevorzugt worden.

Die Deutsche Welle wahrt ihre Unabhängigkeit dadurch, dass sie die in Bonn produzierten Programme von einem eigenen Sender in Kabul ausstrahlt. Die halbstündigen Sendungen sind eine Mischung aus Nachrichten, aktuellen Berichten und einem Magazin mit wechselnden Schwerpunkten (unter anderem: Europa, Jugend, Frauen, Menschenrechte). Wichtig sei es, keinen Volksstamm zu beleidigen oder zu privilegieren, erklärt Samimy. Und: „Wir müssen verdammt aufpassen, dass wir dem Terrorismus nicht zu viel Raum geben.“ Zehn bis 14 Prozent der Hörer würden die DW-Programme mindestens ein Mal in der Woche einschalten. Gewiss keine schlechte Zahl, allerdings sendet etwa die BBC in der Region ein mehrsprachiges 24-Stunden-Programm.

Weil die Gewalt positive Nachrichten vollständig zu überdecken droht, führte die Redaktion im November 2007 zusätzlich ein einstündiges „Aufbaumagazin“ ein, das im Nachmittagsprogramm des Privatsenders Ariana zu hören ist. Said Musa Samimy zieht ein Papier aus der Tasche, das die ersten 2000 Themen bis Ende Mai 2009 auflistet. Lauter Berichte darüber, wie es im Land vorangeht, wie Schulen, Krankenhäuser, Brücken und Straßen gebaut, wie Polizisten und Hebammen ausgebildet und Kulturgüter restauriert werden. „Das ist unser Beitrag zur Überwindung der Wirtschafts- und Gesellschaftskrise Afghanistans“, sagt Samimy stolz.

Die Liste liest sich, als verwandle sich Afghanistan bald in eine blühende Landschaft. Man ahnt, dass die Realität hier wohl auch nur teilweise zu finden ist. Aber vielleicht braucht das geschundene Land diese Art von trotzigem Optimismus. „Die Medien berichten jede Stunde über Tod, Krieg und Zerstörung in Afghanistan“, schreibt Karim H. aus Kabul. „Die halbe Stunde, die wir DW-Radio hören, gibt uns Hoffnung und lässt uns glauben, dass unser geliebtes Heimatland jeden Tag besser wird.“

www.dw-world.de

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