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Medien: "Book-TV": Die Vorleser

Die Kamera bewegt sich nicht. Mehr als eine Stunde lang hält sie die immer gleiche Distanz.

Die Kamera bewegt sich nicht. Mehr als eine Stunde lang hält sie die immer gleiche Distanz. Stur, frontal, monoton. Und weil sich auch das Objekt kaum bewegt, bewegt sich eigentlich gar nichts. Der Abstand der Kamera zum Objekt erinnert wiederum an ein Klassenzimmer. Weder sind die Schüler dem Lehrer zu sehr auf die Pelle gerückt, noch außer Hörweite geraten. Was der Zuschauer sieht, ist also ungefähr so aufregend wie die Aquarienbilder, die in einigen Programmen nach Sendeschluss gezeigt werden. Der Unterschied ist: Fische sind stumm.

Auf "Book TV" dagegen wird geredet, besser gesagt: Meistens wird gelesen. Und deshalb kann das, was sich in Bildern kaum bewegt, durchaus bewegend sein. Autoren lesen aus ihren Büchern, es gibt Interviews mit Autoren, Podiumsdiskussionen, Buchhändler-Besuche, selbst Signierstunden werden veranstaltet. Manchmal wird auch ein Verlag porträtiert, ein Agent vorgestellt oder die Produktion eines Buches in sämtlichen Etappen gezeigt. Von der Manuskript-Abgabe bis zur Auslieferung an den Händler wird jeder einzelne Schritt ausführlich beschrieben. Fast wie in der "Sesamstraße".

Seit September 1998 ist das ungewöhnliche Programm an jedem Wochenende 48 Stunden lang in etwa 50,4 Millionen US-Haushalten zu empfangen. Eine stolze Reichweite. "Book TV" beginnt am Sonnabend um acht Uhr früh und endet am Montagmorgen um acht. "All books. All weekend. Every weekend" - so heißt der Werbeslogan von C-SPAN 2, dem Informations-Sender, der das Rund-um-die-Uhr-Bücherjournal eingeführt hat und ausstrahlt. Die Anfangs-Investition betrug 2,3 Millionen Mark, acht Redakteure kümmern sich um die Inhalte.

Allerdings konzentriert sich das Programm auschließlich auf Sachbücher. "Wir wollen informieren, nicht unterhalten", sagt Brian Lamb, der den Sender C-SPAN (Cable-Satellite Public Affairs Network) vor 22 Jahren gegründet hat. Romane sind daher verpönt. Am vergangenen Wochenende las Marc Cooper zum Beispiel aus seinen Pinochet-Erinnerungen ("Pinochet and Me"), und David Denby präsentierte das von ihm verfasste Buch, in dem es um "unzerstörbare Schriftsteller der westlichen Welt" geht ("Great Books: My Adventures with Homer, Rousseau, Woolf and Other Indestructible Writers of the Western World").

Besonders großen Wert legt "Book TV" auf seinen Internet-Auftritt (www.booktv.org). Die Seite ist tatsächlich gut gemacht. Da sind nicht nur Video-Mitschnitte der interessantesten Buch-Lesungen zu sehen, sondern auch viele Informationen über Autoren abrufbar. Unter dem Stichwort "Classroom" finden sich außerdem Anleitungen darüber, wie das Programm von "Book TV" im Schulunterricht genutzt werden kann. Ganz hoch im Kurs stehen derzeit offenbar die Beobachtungen von Alexis de Tocqueville über die Demokratie in Amerika.

Das mag abermals an Brian Lamb liegen, dem Mann, der C-SPAN verkörpert. Lamb ist inzwischen 59, Tocqueville verehrt er seit langem. Mit 17 begann Lambs Medien-Karriere. In seiner Heimatstadt Lafayette (Indiana) presste der Jugendliche seine Nase an die Fensterscheibe der örtlichen Radiostation. "Kann ich mal reinkommen?", fragte er. Als er drinnen war, setzte er nach: "Kann ich mal die Ohrhörer aufsetzen?" Und schließlich: "Kann ich hier nicht einen Job haben?" Für einen Dollar pro Stunde fing er an, arbeitete sich hoch und wurde ein Meister des Interviews. Damals waren es vor allem Musiker wie Count Basie, Duke Ellington oder Louis Armstrong, die Lamb befragte. Viele Jahre später wechselte er als Pressesprecher ins Pentagon, das Zeitalter des Kabelfernsehens begann.

Anfang 1979 wurde schließlich C-SPAN ins Leben gerufen. Lamb war es gelungen, für seine Idee eines privaten, nicht profitorientierten Informations-Kanals die führenden Kabel- und Satellitenanstalten zu gewinnen. Die finanzieren C-SPAN auf freiwilliger Basis bis heute - mit mehr als insgesamt 500 Millionen Mark seit 1979. Der Grundgedanke des Senders lautet: die Demokratie transparent machen. Lamb fing mit vier Mitarbeitern und einer Telefonleitung an.

Doch als am 19. März 1979 das US-Repräsentantenhaus begann, mit einer eigenen Kamera seine Sitzungen aufzunehmen, übertrug C-SPAN bereits die Bilder in 3,5 Millionen Haushalte. 1980 verfolgte der Sender seine erste Präsidentschaftswahl. 1982 wurde das Programm auf 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche ausgedehnt. Heute beschäftigt C-SPAN, das seinen Sitz in Washington D.C. hat, 260 Mitarbeiter. In sieben Städten hat es eigene Büros. In 77 Millionen US-Haushalten ist der Sender zu empfangen. 8760 Stunden Programm müssen jährlich gefüllt werden.

Im Juni 1986 beschloss auch der amerikanische Senat, seine Sitzungen öffentlich abzuhalten. Infolge dessen wurde C-SPAN 2 gegründet. Seitdem müssen noch einmal 8760 Stunden Programm gefüllt werden, die Reichweite ist allerdings geringer. Ende der 80er Jahre fing dann Lamb mit seinen Autoren-Interviews an. "Das ist doch toll", sagt der Büchernarr: "Ich darf jede Woche ein Buch lesen, das mich interessiert, und am Ende darf ich mich sogar mit dem Autor darüber unterhalten." Auf Kontroverse sind seine Gespräche nie angelegt. Lamb will, dass sich die Menschen öffnen und ins Plaudern kommen. "Streiten können sie sich woanders. Bei mir bekommen sie eine Kamera vor die Nase und dürfen, ohne dauernd unterbrochen zu werden, in aller Ruhe einen Gedanken entwickeln, formulieren und zu Ende bringen. Ich finde, das ist ein spannender Luxus."

Wie lange die großen US-Sendeanstalten sich diesen Luxus noch leisten, weiß keiner. Offiziell werden die Einschaltquoten weder von C-SPAN noch von C-SPAN 2 erfasst. Sie dürften aber in beiden Fällen ziemlich niedrig sein. Man weiß jedoch, dass der Durchschnittszuschauer sehr gebildet und politisch interessiert ist. In der politischen Klasse und unter Journalisten gilt der Sender mittlerweile als unverzichtbar. Deshalb wird auch Brian Lamb nicht müde. Er steht täglich um vier Uhr morgens auf, kauft sechs Zeitungen und setzt sich in ein Café im Zentralbahnhof von Washington, der Union Station. Zwei Stunden später geht er schräg gegenüber zur Arbeit. Er glaubt an seine Sender. "Informationen sind aufregend", sagt er.

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