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Medien: Brandenburgisches Konzert

Andreas Kleinert gelingt im „Polizeiruf“ eine präzise ostdeutsche Milieustudie

Jeder Krimi-Macher, der in diesem von strengen Gesetzen umstellten Genre eine spezielle Message einschmuggeln will, muss aufpassen. Wenn’s zu Lasten der Krimi-Spannung geht (Wer war es? Und warum?), murrt das Publikum. Es will die Jagd, den Täter und den dazugehörigen Suspense. Milieus und Charaktere dürfen entfaltet werden, aber wehe, sie machen sich zu wichtig.

Im neuen Polizeiruf „Kleine Frau“ ist das Milieu nicht nur wichtig, sondern wesentlich. Und die spezielle Message, das Drama zwischen den Generationen – alleinerziehende Frauen, aufmüpfige, ja gewaltbereite Kids –, dominiert unbedingt. Dennoch bleibt der Film ein Krimi von klassischem Zuschnitt. Die ermittelnde Kommissarin Johanna Herz (Imogen Kogge) führt durch die Handlung, sie lenkt den Blick des Zuschauers, infiziert ihn mit ihren Zweifeln, entlastet ihn mit ihrer Erkenntnis. Und der treue Assistent Horst Krause sorgt für entspannende Intervalle und die krimitypische Illusion, dass die Polizei dein Freund und Helfer sei. Und so ist dieser sozialkritische Film im Gewand eines Krimis dann doch ein Krimi im Gewand eines sozialkritischen Films.

Der Schauplatz ist Brandenburg. Dort ist der Osten tief, der Arbeitsmarkt dicht und der Plattenbau entsetzlich. Die Jugend ist es vor allem, die sich mit Enge, Armut und Tristesse nicht abfinden will, sie projiziert ihren Frust auf die Mütter. Die Kommissarin weiß das, ist aber ja selbst in Dienst, Lohn und Brot und hat so für die Nöte jener Frauen, mit denen sie einst zur Schule ging, kein spontanes Verständnis mehr. Und die ehemaligen Freundinnen – man hat jahrelang versäumt, sich mal wieder zu sehen und auszusprechen – lassen sie spüren, dass die Nähe futsch ist. Aber dann gibt es doch Gemeinsamkeiten. Auch die Kommissarin ist Mutter und hat ihre Sorgen. Zweierlei gelingt ihr in diesem Film, die Aufklärung eines Mordes und eine Wiederannäherung an die Gefährtinnen von einst, an deren prekäre Lebenslage. Sie entwickelt ein Verständnis, das sehr weit geht, weiter, als es die Polizistin in ihr eigentlich zulassen könnte.

Der Film erzählt die einfache und doch verschlungene Geschichte (Buch: Stefan Rogall) in schlichten, starken Worten und Szenen. Regisseur Andreas Kleinert setzt auf die Ausdruckskraft der Frauen, aus deren Perspektive das trostlose Brandenburg und die Ansprüche, die man an das Leben dort nur haben darf, geschildert werden. Zu Beginn geht die Kommissarin zu einem Klassentreffen. Man feiert die alten Zeiten und erzählt sich aus dem Leben, so wie es die letzten Jahre war. Im Gegenschnitt sieht man eine dieser Frauen mit blutbefleckten Kleidern durch die Nacht irren. Sie sollte eigentlich auch auf der Party sein. Sie gehört dazu. Aber sie ist nicht dabei. Wieder und wieder wechseln die Bilder, feiernde Freundinnen, einsame Frau. Gesprächsfetzen bleiben hängen, immer mal ist von Männern die Rede, die auf und davon gegangen sind. Und die Einsame stolpert ihres Wegs, bis sie die Aufmerksamkeit von Wachtmeister Krause erregt. Der begleitet sie heim. Und da liegt ein Toter – ihr Sohn.

Die Szenerie ist umschrieben. Es geht um die Frauen, die ihre Kinder alleine groß gezogen haben, ohne Männer, und um Kinder, die keine mehr sind und mehr wollen als das, was Brandenburg bietet, es geht um tödliche Dramen, die aus dieser unheilvollen Konstellation erwachsen. Entsetzt erkennt die Kommissarin, dass auch sie in dieses Brandenburgische Konzert hineingehört.

Allerdings hat sie noch Glück. Ihre Tochter will nicht stehlen, nicht um sich schlagen und sich nicht prostituieren. Sie will bloß zu ihrem Freund ziehen. Dennoch: Das Leid dieser Frauen von Mitte vierzig ist zu Beginn ein allgemeines und diffuses, am Schluss ein begriffenes und geteiltes.

Imogen Kogge ist als Kommissarin bei aller Verzweiflung, der sie zwischenzeitlich anheim fällt, immer professional woman, kompetent, energisch, klar sehend. Die Sorgen um die Tochter werden beiseite gefegt, wenn es darum geht, den nächsten Ermittlungsschritt einzuleiten. Assistent Krause schlägt sich wacker im Umgang mit den Youngsters, wobei die Jungs ihm deutlich mehr liegen als die Mädels. Johanna Gastdorf, Steffi Kühnert und Pamela Knaack legen als Brandenburgerinnen, die eine Anti-Hartz-IV-Protestdemo hätten anführen können, großes schauspielerisches Können an den Tag. Bei diesen Rollen hätte es nahe gelegen, zu chargieren und die Leidensmadonna herauszukehren. Aber sie spielen selbstbewusste Frauen, die durch die Umstände gedeckelt worden sind, die ihre Würde aber auch dann noch wahren, wenn ihnen der letzte Grund für Stolz abhanden zu kommen droht: ihre Kinder.

„Polizeiruf 110: Kleine Frau“: ARD, 20 Uhr 15

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