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"Heisenberg" ist der Deckname von Walter White (Bryan Cranston) in der Unterwelt. Der deutsche Physiker war genial, geheimnisvoll, er war gut, er war böse.

© AMC/Sony Pictures

Breaking Bad: Die Versuchungen des Walter White

Die Quantenphysik und das Gute: Was die Serie „Breaking Bad“ uns über Grundlagen der Moral lehrt.

Auf dem Umschlagfoto für die erste Staffel sieht Walter White aus wie ein wildgewordener Spießer. Ein Mann um die 50, eine Pistole in der Rechten, bekleidet nur mit grünem Oberhemd, weißer Unterhose, gemusterten Socken und Halbschuhen. So steht er breitbeinig und bleichhäutig in der Wüste von New Mexico, vor einem rauchenden Wohnmobil. Völlig deplatziert. Ein grotesker Anblick. Das Eindrucksvollste ist der Gesichtsausdruck des Mannes. Es ist dieses typische Walter-White-Starren, das im Lauf der Serie intensiver werden wird. Leer, düster, abgründig. Und komisch. Ein Spargeltarzan, der Ernst macht.

Die Rede ist von „Breaking Bad“ und seinem Hauptdarsteller. In der amerikanischen Serie, 2008 bis 2013 in insgesamt fünf Staffeln erstmals ausgestrahlt, geht es um den krebskranken Chemielehrer Walter White (genial verkörpert von Bryan Cranston). Er gerät auf die schiefe Bahn („Breaking Bad“), weil er Geld für seine medizinische Behandlung benötigt. Als studierter Chemiker wird er zu einem begnadeten Crystal-Meth-Kocher, dessen Produkt bei Dealern und Konsumenten bald höchstes Ansehen genießt. White macht Karriere in der Unterwelt, gleichzeitig bricht seine bürgerliche Existenz allmählich auseinander. Der gediegene Familienvater entpuppt sich als Monstrum. In rasender Fahrt geht's dem Abgrund entgegen.

Anders als typische amerikanische Thrillerserien spielt „Breaking Bad“ von Vince Gilligan nicht in einer Großstadt, sondern in der Weite New Mexicos. Kein nächtlicher urbaner Dschungel, sondern gleißend helle, glühende Wüste. Die Zivilisation wirkt hier in dieser kargen, menschenfeindlichen Welt wie ein Fremdkörper. White wird in der Einöde zu einem modernen Heiligen Antonius, vom Schicksal in eine existentialistische Krise gestürzt.

Das Böse schlüpft in „Breaking Bad“ in vielerlei Gestalt, vorzugsweise allerdings in die von Drogengangstern. So weit, so erwartbar. Die Welt zerfällt in Gut und Böse. Viele Schurken entgehen zur Genugtuung des Zuschauers ihrer gerechten Strafe nicht. Aber die Serie geht darüber hinaus, und das macht sie zu etwas Besonderem. Sie zeigt, wie der Biedermann Walter White in den Strudel des Verbrechens gerät. Erst langsam, dann immer schneller. Aus dem Familienvater in einer Notlage wird schrittweise ein Schwerkrimineller.

Bleibt Walter White nicht der, der er von Anfang an war?

Die Metamorphose vollzieht sich unmerklich. Äußerlich bleibt White sich treu. Er wird nicht vom pullitragenden Chemielehrer mit Vorstadthäuschen zum koksenden Drogenbaron mit Goldkettchen und Ferrari. Das wäre nicht nur lächerlich, sondern widerspräche auch jeder psychologischen Erfahrung. Mehr noch: Vollzieht Walter White überhaupt eine Wandlung? Bleibt er nicht eigentlich der, der er von Anfang an ist? Das ist die spannendste Frage, die die Serie stellt. Es ist die nach Gut und Böse, das in einer Person zusammenkommt, unauflöslich verbunden, vermischt, vermengt.

Walter White gibt selbst einen Hinweis. Für sein Leben in der Unterwelt wählt er den mysteriösen Decknamen „Heisenberg“. Er nennt sich nach dem deutschen Physiker Werner Heisenberg. Der ist, wie sein Namensvetter, bis heute geheimnisvoll geblieben. Legenden ranken sich um Heisenbergs Rolle im Nationalsozialismus. Hat sich der geniale Naturwissenschaftler in den Dienst des Regimes gestellt oder es insgeheim untergraben? Schwer zu sagen, ob Heisenberg auf naiv-einfache Weise „gut“ oder „böse“ war.

Vielleicht hat Walter White sich noch mehr gedacht. Der Mann ist schließlich nicht zu unterschätzen. Auf Heisenberg geht die Unschärferelation zurück. Damit bezeichnet man in der Quantenphysik das Phänomen, dass zwei wesentliche Eigenschaften eines Elementarteilchens nicht gleichzeitig völlig bestimmbar sind. Je genauer die Position des Elementarteilchens bekannt ist, umso ungewisser ist sein „Schwung“ (physikalisch exakt ausgedrückt: sein Impuls, das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit) – und umgekehrt. Bezogen auf das moralische Elementarteilchen Walter White heißt das, dass Gut und Böse nicht eindeutig festzulegen sind. Je genauer wir hinsehen und je gewisser wir uns zu sein glauben, umso schillernder, umso unschärfer wird das Bild. Aus Schwarz und Weiß wird Grau. Das ist Heisenbergs, das ist Walter Whites Lehre.

Die Sache hat einen weiteren Dreh. Auch wir, die Zuschauer, kommen ins Spiel. Um die grundsätzliche "Unschärfe" der Quantenwelt verstehbar zu machen, hat Heisenberg den Beobachter eingeführt. Im Moment der Beobachtung greift er in das Experiment ein und verändert es. Radikal gedeutet: es gibt keine reine, saubere, objektive Wirklichkeit. Ein subjektives Moment ist immer im Spiel. Das gilt ebenfalls für die moralische Wirklichkeit. Was gut und was böse ist, liegt auch im Auge des Betrachters. Und was wir von Walter White halten, sagt ebenso etwas über uns selbst aus.

"Breaking Bad" ist auch komisch

Natürlich kann man sich von „Breaking Bad“ auch in erster Linie unterhalten lassen. Die Serie fesselt, trotz aller Düsternis gibt es dabei immer wieder komische Situationen und jede Menge schwarzen Humor. Es sind vor allem die herausragenden Charakterzeichnungen, die den Reiz von „Breaking Bad“ ausmachen. Walter White trifft auf seiner Höllenfahrt ein ganzes Pandämonium faszinierender Figuren: den labilen Kleinkriminellen Jesse Pinkman (Aaron Paul) etwa; seinen Schwager, den fanatischen Polizisten Hank Schrader (Dean Norris); den Winkeladvokaten Saul Goodman (Bob Odenkirk); den Killer Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks), der so menschlich wirkt; den Drogengangster Gus Fring (Giancarlo Esposito), der ein ähnliches Doppelleben wie Walter führt und schließlich Walter Whites Sohn Walter Junior, von Geburt an gelähmt und daher sprach- und gehbehindert (RJ Mitte). Walter Junior kommt in seiner anrührenden Arglosigkeit, Reinheit und Ehrlichkeit dem Ideal des guten Menschen am nächsten. Eine Serie mit ihm müsste „Breaking Good“ heißen. Aber wen interessiert schon das Gute?

Bisher erschienen in der Serie „Ich gestehe, ich sehe“: „Golden Girls“ (14. August), „The Big Bang Theory“ (23. August), „The Walking Dead“ (30. August), „Captain Future“ (6. September).

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