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Vier Männer, eine Mission: v.l.n.r.: Jesse (Aaron Paul), Mike (Jonathan Banks), der kranke Chemielehrer Walter (Bryan Cranston) und Gus (Giancarlo Esposito) stellen gemeinsam die Droge Crystal Meth her.

© Arte

"Breaking Bad": Freier Fall aus der Moral

Die US-Serie „Breaking Bad“ ist nur eines: ein Meisterwerk. Jetzt läuft bei Arte die neue Staffel des Welterfolgs an - und das veranlasst mal wieder zu der Frage: Warum machen wir so was nicht?

Ein Glasauge fällt vom Himmel und landet im Swimmingpool. Die nächsten Szenen der Serie „Breaking Bad“ zeigen die Ereignisse immer wieder aus der Perspektive dieses großen runden Auges. Was mag es bedeuten? Wer hat es verloren? Serienheld Walter White findet es in seinem Poolfilter und nimmt es mit ins Haus. Dort kullert es unters Bett. Als bald darauf die Killer kommen und, das Beil auf den Knien, im Schlafzimmer auf Walter warten, entdecken sie das Auge. Der eine lässt es auf seinem Handteller hin- und herrollen und wundert sich. Wirft es aufs Bett. Walter trällert nichtsahnend im Bad. Als er es verlässt, um sich im Schlafzimmer anzuziehen, sind die Killer verschwunden. Sie wurden sozusagen eine Sekunde vor zwölf telefonisch abberufen. Walter greift nach seinem Hemd. Und erblickt das Auge. Er stutzt. Da stimmt was nicht... Das Auge gehörte einem dicken Teddy, der stürzte nach einem Flugzeugzusammenstoß neben vielen anderen Gepäckteilen, menschlichen Gliedmaßen und Maschinentrümmern auf die Stadt Albuquerque in New Mexiko, wo die Serie spielt.

Das Auge ist nur eines von vielen poetischen Motiven, die die US-Serie „Breaking Bad“ so außergewöhnlich machen, deren vierte Staffel Arte ab heute jeweils freitags zeigt. Ein Krimiregisseur, der eine abgeschlossene Episode in 40 Minuten unterbringen muss, hätte für solche Spielereien keine Zeit. Allein die langen Blicke des Protagonisten auf dieses magische Auge verschlingen kostbare Sekunden. Die Macher von „Breaking Bad“ (BB) haben alle Zeit der Welt. Und das Geniale bei „BB“ ist, dass diese Zeit nicht verplempert wird durch Breittreten des Stoffs, sondern gefüllt durch die Erfindung poetischer Spannungsträger wie das Teddybärauge. Derlei ist eben nicht bloß Spielerei, sondern ein die Geschichte zusammenhaltendes und interpretierendes Symbol. Walter, kurz Walt, hat mit dem Flugzeugunglück zu tun. Er unternahm nichts, um den Drogentod eines Mädchens zu verhindern, dessen Vater jener Fluglotse war, der vor Schmerz über seinen Verlust versagte, so dass es zur Kollision in den Wolken kam. Dass alles mit allem zusammenhängt, ist bei „BB“ keine wohlfeile Behauptung, sondern ein mit großer Kunst hergestelltes erzählerisches Gewebe.

Ein anderes Kabinettstück dieser Art ist die Pizza auf dem Dach. Walts Frau Skyler wirft ihren Mann aus dem Haus, nachdem sie rausgefunden hat, dass der scheinbar so biedere Chemielehrer Drogen herstellt, genauer: Methamphetamin. Walt will die Versöhnung, und um das zu beglaubigen, bringt er eine Familienpizza mit. Skyler knallt die Tür zu. Wütend schleudert Walt die Pizza von sich. Sie landet auf dem Dach. Die folgenden Erzählstränge, die zu Walt und Skylers Haus und Konflikt zurückführen, beginnen immer aus der Perspektive der Pizza, die nach und nach ihre Form verliert und Richtung Dachrinne rutscht. Gegen Schluss der Episode steht Walt auf einer Leiter und kratzt die Reste vom Dach. Ein symbolisches Bild, das zeigt: Walt hat sich Skyler unterworfen. Allerdings nur fürs Erste. Auch für die Inszenierung dieser Ehekrise nimmt sich die Serie mehr Zeit, als so eine Krise real dauern könnte. Diese Überdehnung, die zugleich eine Überhöhung ist, gibt Antwort auf die Frage, wohin sich der große epische Atem aus den Erzählungen von der Antike bis zur Moderne verflüchtigt hat: in die amerikanische Qualitätsserie von den „Sopranos“ über „The Wire“ und „Mad Men“ bis zu „Breaking Bad“.

Dr. Jekyll und Mr. Hyde als klassische Vorlage.

Das Gute und das Böse verschmelzen in der Person von Walter White (Bryan Cranston), dem braven Chemielehrer, der Drogen herstellt.
Das Gute und das Böse verschmelzen in der Person von Walter White (Bryan Cranston), dem braven Chemielehrer, der Drogen herstellt.

© Arte

Was hat es nun mit Walt und der Drogenszene auf sich? In der Introduktion erfährt der 50-Jährige, dass er Lungenkrebs im Endstadium hat. Er ist nicht hoch genug versichert für eine gute Therapie, und seine Familie, zu der ein heranwachsender Sohn gehört und bald noch ein (ungeplantes) Baby, stünde nach seinem Tod mittellos da. Als er per Zufall die Chance bekommt, Methamphetamin zu kochen und teuer zu verkaufen, steigt er ein. Es ist ja für einen guten Zweck: die Familie zu versorgen. Aber die Unterwelt, in die er nur für eine Stippvisite hinabtauchen wollte, lässt ihn nicht mehr los. Sein Meth ist so fantastisch, dass die Junkies, die Dealer und die Drogenfahnder wie wild rotieren und Walt endlich die Anerkennung zuteil wird, um die er ein Leben lang gerungen hat. Irgendwann will er es nicht mehr anders: Der Drogenkoch ist Teil seiner Persönlichkeit geworden. Es handelt sich um eine Jekyll-and-Hyde-Geschichte, die quasi nebenbei den American Way of Life abfeiert, das Gute und das Böse verschmelzen in Walts Person. Der Zuschauer darf sogar vermuten, dass die ungeheure Spannung, in die Walts vordem so geordnete Existenz durch das Doppelleben geraten ist, zu seiner Gesundung beiträgt. Seine Blutwerte werden immer besser, auf der halben Strecke scheint der Krebs besiegt.

Die mit Preisen überhäufte Dramaserie ist ein Welterfolg und veranlasst mal wieder zu der Frage: Warum machen wir so was nicht? Es gibt nur eine Antwort: übergroße Vorsicht. Auch in Amerika sind nicht alle couragiert. Der Erfinder von „BB“, Vince Gilligan („Akte X“), stieß bei seinem ersten Auftraggeber mit dem fertigen Entwurf auf Ablehnung, aber dann griff Sony für den kleinen Kabelsender AMC zu. Walts Wanderung durch die sieben Kreise der Hölle beinhaltet Szenen von exzessiver Grausamkeit. Da jedoch Gilligan mit seinem Team offensichtlich viel von Quentin Tarantino und den Coen-Brüdern gelernt hat, denen es gelungen ist, die Darstellung von Gewalt so mit Humor zu versetzen, dass einerseits der Schrecken spürbar bleibt, andererseits der Zynismus witzig wird, bleibt die Schaulust intakt.

Der Darsteller Bryan Cranston als Walt bietet das großartige Porträt eines Charakters im freien Fall aus allen Moralen, desgleichen Aaron Paul als Walts Assistent Jesse, der vom Kleindealer zum Drogenfabrikanten aufsteigt und dabei nie aufhört, sich um verlassene Kinder zu kümmern. Saul Goodman, gespielt von Bob Odenkirk, Kriminellenanwalt und Sprücheklopfer von hohen Graden, hat dermaßen überzeugt, dass er womöglich als Protagonist eines Spin-offs weiterleben wird. Mit Giancarlo Esposito, der Gus, den Boss der Bosse spielt, fasziniert ein Gentlemangangster der Extraklasse. Als er und Walt zu Gegnern werden, gibt man keinen Pfifferling mehr für Walts Leben. Aber es kommt in dieser Serie, die von brillanten Einfällen nur so strotzt, immer anders als man denkt. So wird vielleicht die fünfte Staffel doch nicht, wie verkündet, die letzte sein.

„Breaking Bad“, Arte, 21 Uhr 45, drei Folgen; Staffel 5 läuft bereits beim Pay-TV-Kanal AXN

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