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Medien: „Brutal, nicht blutrünstig“

Kai Gniffke über Terror-Bilder in der „Tagesschau“

Die „Bild“-Zeitung schrieb am Montag, die Attentäter von Kundus hätten Kamerateams afghanischer Sender zum geplanten Ort des Anschlags bestellt. Dadurch gab es aktuelle Bilder, auch von verletzten Soldaten. Können Sie diese Darstellung der „Bild“ bestätigen?

Diese Darstellung können wir nicht bestätigen. Wir haben am Samstag die Herkunft der Bilder recherchiert. Es handelt sich um Bilder, die die Agentur Reuters über einen Kontaktmann in Kabul nach London überspielt hat. Von dort wurden sie der Eurovision zur Verfügung gestellt. Die Bilder sind offenbar Minuten nach dem Anschlag entstanden. Möglicherweise hat jemand mit einer DigiCam diese Bilder aufgenommen. Dies deutet nicht zwangsläufig auf ein „bestelltes“ Kamerateam hin.

Von Toten und Verletzten zu sprechen, ist das eine, sie zu zeigen, ist das andere. Wem „nützen“ die Bilder vom Anschlagsort?

Im Zusammenhang mit Bildern von Opfern von Nutzwert zu sprechen, hielte ich für zynisch. Wir haben durch eine sensible Auswahl versucht, Bilder zu zeigen, die zwar die Brutalität des Anschlags verdeutlichen, aber gleichzeitig nicht blutrünstig oder voyeuristisch wirken und bei den Zuschauern – darunter auch Kinder – psychische Schäden verursachen.

Auch das muss zynisch klingen, aber die Medienstrategie der Taliban scheint so auszusehen: Bomben und Bilder von Bombenopfern, die die deutsche Politik und die deutsche Öffentlichkeit erschüttern sollen. Ist dieser Strategie irgendwie beizukommen?

Aus dieser Zwangslage kommen auch seriöse Nachrichtenanbieter schwer heraus. Natürlich legen es Terroristen darauf an, dass durch die Berichterstattung die Angst und der Schrecken vervielfältigt werden. Die Alternative wäre höchstens, solche Anschläge zu verschweigen. Das ist mit unserer Auffassung von Nachrichten nicht zu vereinbaren. Wir können nur versuchen, solche Ereignisse entsprechend einzuordnen und die Strategie der Terroristen zu erklären. Dafür braucht man kompetente Journalisten und ein gutes Korrespondentennetz.

Aus welchen Quellen bedienen sich „Tagesschau“ und „Tagesthemen“, wenn es um das Bildmaterial von Bundeswehreinsätzen geht?

ARD-aktuell bezieht Bildmaterial von unserem Korrespondenten für die Region. Er hat in allen Ländern seines Berichtsgebietes Vereinbarungen mit Kamerateams und so genannten Stringern, die für die ARD tätig sind. Darüber hinaus greift ARD-aktuell auf Material zurück, das über den internationalen Austausch der Eurovision angeboten wird. Dort bringen auch seriöse Agenturen wie Reuters oder AP ihre Bilder ein.

Sagt Ihnen die Bundeswehrführung, was die ARD-Nachrichten zeigen dürfen?

Nein. Wir entscheiden nach unseren journalistischen und ethischen Kriterien, was wir zeigen. In einem einzigen Fall haben wir uns mit der Bundesregierung abgesprochen. Damals waren Bilder eines getöteten deutschen Sicherheitsbeamten auf dem Markt, dessen Angehörige noch nicht über den Todesfall informiert werden konnten. Wir haben in diesem Ausnahmefall zunächst nur eine Wortmeldung gesendet.

Welche generelle Linie fährt ARD-aktuell bei Bildern von Kriegen, Terroranschlägen, Unglücken, Unfällen?

Wir prüfen immer im Einzelfall, was wir einerseits zeigen müssen, um einen realistischen Eindruck von einem Ereignis zu geben, andererseits was wir zeigen können, ohne voyeuristisch zu sein oder Zuschauer zu schockieren oder sogar zu traumatisieren. Wenn ich das Ausmaß eines Bombenanschlags zeigen möchte, das Leid, die Zerstörung, die Brutalität und die Fassungslosigkeit, muss ich nicht herumliegende Gliedmaßen oder abgerissene Köpfe zeigen. Der schockierte Blick eines Augenzeugen, die zitternde Hand eines Verletzten oder das blutverschmierte Kleidungsstück eines Kindes sagen das alles aus, ohne die Zuschauer mit abstoßenden Gräuelbildern zu konfrontieren. Im Zweifel sind wir eher zurückhaltend – das gebietet die Verantwortung für die Zuschauer.

Kai Gniffke ist erster Chefredakteur von ARD-aktuell, das die „Tagesschau“ und die „Tagesthemen“ in Hamburg produziert. Mit ihm sprach Joachim Huber.

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