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Eigener Kosmos. Jon Hamm agiert als Werber Don Draper in „Mad Men“. Die Serie spielt im New York der sechziger Jahre. Mehr als das: Sie will Abbild jener Zeit sein. Foto: Cinetext

© Cinetext/Allstar/Lionsgate

Bügeln und TV - das ist vorbei: Immer nur Champions League...

Ausgeklügelte Erzählserien wie „Mad Men“ begeistern die Zuschauer – dabei gefährden sie das System Fernsehen.

Mr. Spock sitzt auf der Enterprise herum und wirkt belämmert. Kein Wunder, man hat ihm bei lebendigem Leib das Gehirn entfernt, fragen Sie nicht, wie das geht. Jedenfalls haben sich ein paar Aliens mit seinen grauen Zellen davongemacht, und die Crew um Captain Kirk muss versuchen, das wertvollste Accessoire ihres Wissenschaftsoffiziers wiederzubeschaffen. Das sah 1968 im Fernsehen genauso aus, wie es sich anhört: brainless. Dabei hielt sich „Star Trek“, die Originalserie, immer etwas auf ihre Autoren zugute, die sie auch aus renommierten Science-FictionSchriftstellern rekrutiert hatte. Selbst den Fans hat es damals den Atem verschlagen. Und „Spock's Brain“ wurde für sie zum Kürzel für den Totalaussetzer, das Kreativdesaster, mit dem Serienliebhaber früher immer rechnen mussten. Fernsehen war mal ein unedles, zerstreutes Medium, in dem sich das Erhabene und der Murks verschwägerten. Ein Medium, dem man bestenfalls in Hassliebe verbunden sein konnte.

Heute ist das anders. Können Sie sich ein „Spock’s Brain“ in „The West Wing“ vorstellen, in „Breaking Bad“ oder „Mad Men“? Im 21. Jahrhundert, darf man den Feuilletonbeiträgen und akademischen Studien zum Serienphänomen entnehmen, widerlegt ausgerechnet das Fernsehen die Vorstellung, dass es mit der Kultur immer nur bergab geht: Es hat einen beispiellosen Komplexitätssprung gemacht und möchte als Herausforderung ernst genommen werden.

Wenn Sie eine Premiumserie in ihren DVD-Rekorder schieben, eine von den einstündigen Prime-Time-Shows, die gerade Furore machen – dann räumen Sie gefälligst das Bügelbrett weg. Nebentätigkeiten sind nicht mehr drin, denn wir haben es hier mit dem Erbe von Dickens und Balzac zu tun, mit den Visionen von Autoren, die entweder vom Kino kommen oder mit ihm in Konkurrenz treten. In „The West Wing“ steckt eine Handbibliothek Staatskunde, Serien wie „Boardwalk Empire“ und „Game of Thrones“ prunken mit erlesener Ausstattung, „Lost“ und „24“ wirken im Vergleich mit einem beliebigen Blockbuster experimentell und kein Spielfilm kann mit dem Kapital wuchern, über das „The Wire“ so großzügig verfügt: Zeit. Zeit, Figuren zu entwickeln, Szenen auszuspielen, Milieus zu erkunden.

Schließlich hat sich das Serienfernsehen auch inhaltlich emanzipiert. Sex, Gewalt und Drogen, Tod und Trauma, Gender, „Rasse“ und Klasse – zwischen den „Sopranos“ und den „Walking Dead“ ist kein gesellschaftlich relevantes Anliegen, kein Tabuthema unerledigt liegen geblieben.

Alles ganz toll also. Fernsehen doch gehaltvoll, Medienkritik ausgehebelt. Aber könnte es nicht sein, dass hinter all dieser Perfektion, hinter der Smartness und der nahtlosen Dramaturgie des Qualitäts-TVs der Keim der Langeweile nistet? Serienfernsehen heute ist ein bisschen, als würde man immer nur Fußball gucken, wenn die Champions League läuft. Kann das Stammpublikum von HBO, dem führenden US-Sender im Premiumsegment, eigentlich nachempfinden, was es heißt, ein handelsübliches Bügeleisen als futuristische Technik zu akzeptieren („Raumschiff Orion“) oder in einer dubiosen Fantasy-Show eine innige eheähnliche Frauenbeziehung porträtiert zu finden („Xena“)? Und gehört zum wahren Serienerlebnis nicht auch die prickelnde Angst vor dem Abstieg, dokumentiert in Webseiten wie früher „Jump the Shark“, heute „Bone the Fish“, wo die Zeichen registriert werden, die darauf hinweisen, dass die Lieblingsshow schwächelt? Wenn Sie dabei waren, als Bobby Ewing in „Dallas“ starb, wissen Sie, worum es hier geht.

Was Kulturwissenschaftler und Fanforscher in den Achtzigern als eine Art von Krieg im Wohnzimmer beschrieben haben, dieses prekäre, aber durchaus produktive Verhältnis zwischen Zuschauer und Kulturware, emotionalem Investment und eingebauter Enttäuschung, scheint sich mit den Serien gewandelt zu haben. Die sind ja nicht erst seit gestern besser. Der über mehrere Staffeln reichende Masterplan, der an „Lost“ gerühmt wird, wurde bereits in den Neunzigern mit der Science-Fiction-Serie „Babylon 5“ erfunden; für „The Wire“ hat David Simon in den Neunzigern schon mal an „Homicide“ geübt, „Miami Vice“ führte die Glam-Ästhetik ins Fernsehen ein und „Akte X“ erschloss die Szene der Popkultur- und Technikfreaks, die sich jetzt in „The Big Bang Theory“ selbst als Sitcom-Personal wiederfinden. Inzwischen hat sich das Angebot, befeuert durch DVD und Video-on-Demand, so ausdifferenziert, dass jede Zielgruppe glücklich wird („Verbotene Liebe“, das sollte man angesichts des intellektuellen Serienhypes nicht vergessen, läuft übrigens immer noch).

Überflüssig scheint bei alldem freilich das aktive und sogar subversive Publikumsverhalten zu werden, das zu den großen Entdeckungen der Cultural Studies gehörte: In den durchkomponierten neuen Shows gibt es kaum mehr Lücken, in die ein Fan-Autor mit seinen Fantasien, seinen eigenen Stories stoßen könnte.

Das kann man ein bisschen bedauern, aber es führt kein Weg zurück. In einem Text zu „The Wire“ legt der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Fredric Jameson überzeugend dar, dass die alten repetitiven Serienstrukturen und melodramatischen Formeln obsolet geworden sind, weil wir in einer permissiven Gesellschaft leben – Gegensätze, von denen die Literatur jahrhundertelang lebte, haben sich aufgelöst, nichts Schräges ist uns mehr fremd. Was in „Star Trek“ noch ein Sprengsatz war – der erste schwarz-weiße Kuss auf amerikanischen Bildschirmen etwa: Kirk und Uhura –, lässt heute niemanden mehr aufmerken.

Jeder Stoff, alles Material, vom Western bis zum Sozialdrama, von der Geschichte bis zur aktuellen Politik, wird von der Serienproduktion mitgerissen und clever konsensuell aufbereitet: kein Subtext, alles Text hier. Am Ende scheint es gar nicht mehr so sehr um Repräsentation zu gehen, um die Erzählung als ein Modell von Welt. Vielmehr legen Serien wie „Mad Men“ oder „Game of Thrones“ mit ihrer akribischen Ausstattung, ihren erlesenen Sets und ihren brillant orchestrierten, aber merkwürdig pointenarmen unendlichen Geschichten den Gedanken nahe, dass es hier vor allem auf Atmosphäre und Style ankommt, um die Erschaffung von Markenuniversen, die so komplett und zugleich so grenzenlos sind, dass sich der Zuschauer in ihnen verliert – möglichst auf Dauer und auf Kosten konkurrierender Unternehmen.

Das Medium der Zapper, der Ungeduldigen und Abgelenkten, ist auf der Suche nach dieser magischen Bindekraft, die in den Milliardensellern der populären Bildkultur wirkt, in Franchises von „Star Wars“ bis „Twilight“, in Superheldencomics und Online-Rollenspielen wie „World of Warcraft“. Das Fernsehen will den Ring der Macht, es möchte die Megaerzählung werden. Aber wenn ihm das gelingt – ist es dann noch Fernsehen?

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