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Als „Captain Future“ vor Jahrzehnten ins deutsche Fernsehen kam, galt die Zeichentrickserie als gefährlich. In Japan lief sie nur abends für Erwachsene. Das ZDF zeigte im Nachmittagsprogramm darum auch nur eine geschnittene Version.

© Youtube

"Captain Future": Lichtgestalt mit roten Haaren

„Captain Future“ ist ein Zeichentrickheld aus Kindertagen. Sein Versprechen: Anstand und Menschlichkeit siegen auch in der Zukunft.

In meiner Erinnerung ist es Sommer, aber das muss nichts heißen. In den Erinnerungen an die Kindheit ist es immer Sommer. Jedenfalls saß ich auf dem Sessel im Wohnzimmer, vor mir auf dem Tisch stand ein Teller mit einem Stück gedecktem Kirschkuchen, und die Jalousien waren heruntergelassen, damit die Sonne nicht hineinscheinen konnte, weil ich sonst nichts erkannt hätte auf dem Fernseher. Ich war sieben oder acht Jahre alt und „Captain Future“ lief in diesem Sommer immer am Samstagnachmittag im ZDF. Er lief, während das Leben, das richtige Leben von anständigen Kindern, draußen stattfand.

Meine Familie hatte wenig Verständnis dafür, dass mir das richtige Leben und anständige Kinder egal waren, zumindest in dieser einen halben Stunde, in der „Captain Future“ seine Abenteuer bestehen musste. Diese Science-Fiction-Zeichentrickserie sprengte den Rahmen, den das Kinderprogramm setzte – was ich damals natürlich überhaupt nicht erkannte. Was ich verstand, war Folgendes: Da gab es diesen Held mit dem Hammernamen Captain Future. Er sah aus, wie Helden nun mal aussehen, war intelligent und stark und außerdem noch ein feiner Mensch. Er war, auf eine Art, irgendwie einsam, er umgab sich mit einem sprechenden Gehirn, das sein Lehrer war, mit einem Roboter, einem Gummimann, der sich verwandeln konnte, einem Jungen und einer Frau, deren Anwesenheit mich eher nervte. Die Serie spielte in der Zukunft, Captain Futures Raumschiff hieß Comet, er hat es natürlich selbst entworfen und gebaut, und es war das schnellste Raumschiff des Weltalls. Future, der eigentlich Curtis Newton hieß, war außerdem eine Art geheimer Geheimagent, der immer dann eingesetzt wurde, wenn wirklich niemand mehr ein noch aus wusste. Zusammen mit seinem Team musste er Rätsel lösen, Abenteuer bestehen, das Weltall retten und beweisen, dass Anstand und Menschlichkeit auch im 23. Jahrhundert Werte sind, mit denen man am Schluss gewinnt. Damals hat mich all das berührt. Dann hatte ich es vergessen. Jetzt ist es mir wieder eingefallen.

Als ich gebeten wurde, mir für die Reihe „Ich gestehe: Ich sehe“ eine Serie zu überlegen, über die ich gerne schreiben würde, da wollte ich natürlich durch die Auswahl meine Kennerschaft beweisen und ein bisschen angeben – allerdings ist das heute kaum noch möglich. Im Fernsehkritikgenre „Serien“ gibt es im Prinzip keine Geheimtipps mehr. Um aufzufallen, könnte man höchstens noch lang und breit erklären, warum man „Mad Men“ ganz furchtbar und die zweite Staffel von „True Detective“ auch ohne Untertitel komplett logisch findet. Oder aber man erklärt mit Schmiss, warum „Breaking Bad“ ohne die „Lindenstraße“ nicht denkbar wäre – so was würde ich gerne lesen (allerdings nicht schreiben). Und eigentlich wollte ich unbedingt über die letzte Szene der ersten Staffel von „True Detective“ schreiben, darüber, dass ich erwachsene Männer kenne, die auch beim vierten Anschauen immer noch weinen über diesen vielleicht größten aller Serienmomente. Aber dem Redakteur gefiel „Captain Future“ besser – obwohl ich die Serie eigentlich nur aus Verlegenheit auf meine Vorschlagsliste gesetzt hatte; aus einem nostalgischen Reflex. Oder vielleicht auch, weil sie etwas in mir ausgelöst hat, das bis heute nachhallt.

"Captain Future" gibt es zur Zeit nur auf Youtube

Jedenfalls habe ich mir in den vergangenen Tagen alle „Captain Future“-Folgen auf Youtube angeschaut. Im Fernsehen oder in den Streamingdiensten gibt es sie zumindest im Moment nicht. Und dieses Erlebnis gehört zu den seltsamsten Erfahrungen meiner Fernsehkritikerkarriere. Denn scheinbar konnte nichts weiter auseinander liegen als „Captain Future“ und „True Detective“. Um die Wahrheit zu sagen: Ich hatte große Mühe, dem Inhalt von „Captain Future“ zu folgen. Und doch war vieles sofort wieder da: Die Titelmusik von Christian Bruhn, eigens für die deutsche Fassung komponiert; manche Sätze, die ich mühelos mitsprechen konnte; das ikonografische Bild am Ende des Vorspanns. Es ist seltsam, eine Serie zu schauen, die in der Zukunft spielt und dabei doch in die eigene Vergangenheit zu reisen.

Vieles wusste ich damals nicht, konnte ich nicht wissen: Als die Serie im Kinderprogramm des ZDF ausgestrahlt wurde, galt sie als gefährliche Sendung. Tatsächlich war „Captain Future“ nie für Kinder konzipiert worden – in Japan, wo sie herkam, lief sie im Abendprogramm, die Zielgruppe waren Erwachsene. Beim ZDF hatten sie auch daher ihre liebe Not, die Serie so zu schneiden, dass sie Kindern an einem Sommersamstagnachmittag auch zumutbar war – und obwohl ich es damals nicht gemerkt habe: Was da alles fehlt! Andererseits: Was da alles drin ist! Durchgeknallte Typen, Alkohol, Gewalt, leise Liebe – und dann eben doch etwas, was man als Kind vielleicht ahnt, aber noch nicht versteht: der Kampf des Helden gegen das abgrundtiefe Böse, die Selbstzweifel, ob man bei allem, was man tut, bei allem, was man entscheidet, anständig handelt, und immer auch: Die traurige Sehnsucht nach etwas, das eine Heimat sein kann. Curtis Newton war der einsamste Mensch im Universum.

Es war ein langer Weg von „Captain Future“ bis zu „True Detective“. Aber er scheint dann doch logisch zu sein, fast zwingend. Denn die Guten wissen: „Früher gab es nur Dunkelheit. Wenn du mich fragst, gewinnt das Licht.“

Bisher erschienen in der Serie „Ich gestehe: Ich sehe“: „Golden Girls“ (14. August), „The Big Bang Theory“ (23. August), „The Walking Dead“ (30. August)

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