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Castingshows: Ein Ziel: Ins Fernsehen

Sie wollen Ruhm und Dieter Bohlen sehen - und alles, was sie bekommen, ist eine Nummer. Ein Besuch beim Berliner Casting für die RTL-Show „Das Supertalent“.

Von Katrin Schulze

Die Pailletten wippen im Takt. Hin und her, hoch und runter. Hamid N. lässt sie tanzen, sie sind seine Waffe im Kampf um den großen Ruhm. Befestigt hat er sie auf einem grünen Schleier, den er sich um die Hüfte geschlungen hat, dazu trägt N. Cowboystiefel, eine Weste und – des Anstands wegen – eine schwarze Boxershorts. Mehr braucht er nicht für seinen orientalischen Tanz. Er wackelt, biegt und schüttelt sich, denn heute soll es soweit sein, heute soll endlich sein Talent erkannt werden, so dass „ich meine Leidenschaft auf die ganze Welt übertragen kann“, sagt N.

Eigentlich betreibt er einen Friseurladen, an diesem Samstag aber bewirbt er sich für die RTL-Castingshow „Das Supertalent“. Wie Hunderte andere auch zwischen sieben und siebzig ist N., der das Gesicht eines Mittdreißigers hat, dazu in den Prenzlauer Berg gekommen. Die Kastanienallee wird heute zur Castingallee.

Für die Bewerber scheint etwas dran zu sein an dem Satz, der oft Andy Warhol zugeschrieben wird, dessen Urheberschaft aber eigentlich dem Medientheoretiker Marshall McLuhan gebührt: Jeder bekommt 15 Minuten Ruhm. Nicht weniger – aber auch nicht mehr. Wie überschaubar die Halbwertszeit von Castingshowteilnehmern, selbst von Gewinnern, ist, haben die vergangenen Staffeln gezeigt. Kein „Superstar“ wurde bisher zum Superstar, kein „Topmodel“ zum Topmodel. Daran wird sich auch kaum etwas ändern bei der fünften Staffel des „Supertalents“, die RTL ab Herbst ausstrahlt.

Dennoch ist die Show „die beste Plattform“, die sich Hamid N. vorstellen kann, um auf sich aufmerksam zu machen. Deshalb will er’s heute wissen, deshalb dieses Outfit. Schöner als die Pailletten auf dem Hüftschleier glitzert nur noch seine braune Haut, die er vor dem Auftritt noch einmal mit goldnem Glitzer bestäubt hat und auf der deshalb das Zettelchen mit der Bewerber-Nummer 11830 nicht mehr festkleben will.

Zweimal müssen die Kandidaten in Berlin die Jury überzeugen, bevor es in die nächste Runde geht, ansonsten müssen sie vor allem eines: Warten. Wie der Comedian mit neongrünem Wägelchen an der Hand und den dazu passenden Socken. Ein paar Meter neben ihm singt ein Mann im Elvis-Kostüm Textzeilen wie „Ich bin nicht balla, balla, der Frauenschwarm aller“. Und weiter vorne gibt eine Dame aus der Erotikbranche etwas zum Besten, das sie als „Porno-Entertainment“ bezeichnet – ein Lied zum Mitstöhnen und die Erkenntnis, dass es kein Talent gibt, das es nicht gibt.

15 Minuten Ruhm: Das „Supertalent“ scheint diese, nun ja, Philosophie noch einmal auf die Spitze zu treiben.

Den sinkenden Quoten, die zuletzt fast alle der zahlreichen Castingshows im deutschen Fernsehen zu verzeichnen hatten, versucht die Talentsendung mit größtmöglicher Absurdität zu begegnen. Mit Tänzern, Tischakrobaten und Tierflüsterern. Und das Ganze bitte schön schrill, bunt und laut.

In der Show darf, nein, muss es von allem ein bisschen mehr sein: Mehr Schminke, mehr Wahnsinn, mehr Mitgefühl – und später auch mehr Kritik von Jurychef Dieter Bohlen. Wer sich auf diese Bühne, den modernen Zirkus einlässt, der weiß das. „Vor Dieter habe ich keine Angst“, sagt der tanzende Friseur Hamid N. „Ich will das hier, ich will gesehen werden.“

Genau wie die 15 Jahre alte Lisa, die sich beim „Supertalent“ bewirbt, weil sie für „DSDS“ noch zu jung ist. Mittelaltergesang ist ihr Ding, und ihr ist „egal, wie weit ich komme, Hauptsache ich bin einmal im Fernsehen“. Darum geht es ihr, darum geht es den anderen.

Die 15 Minuten vergehen in der ersten Castingrunde für Lisas Geschmack viel zu schnell. In Gruppen werden die Bewerber zum Auftritt gebeten, dann wird ausgesiebt. Nur wer die ersten beiden Vorausscheide übersteht, hat die Chance auf einen Fernsehauftritt. Wer dabei den Jury-Vorsitzenden Dieter Bohlen treffen will, wird enttäuscht. Die Auswahl treffen sogenannte Vorcaster.

Der Mann im Elvis-Kostüm ist davon überzeugt, dass er es weit schafft. „RTL braucht mich“. Die Dame aus dem Pornogeschäft ist ebenfalls zuversichtlich, immerhin sei sie im vergangenen Jahr nur knapp mit einer lyrischen Stripnummer gescheitert.

Bloß N. ist sich seiner Sache plötzlich nicht mehr ganz so sicher. Man wisse ja nicht, wonach die Caster wirklich suchen, sagt er. Nach einem Glitzertänzer? Das erfährt er erst später. Fest steht aber schon jetzt: Seine 15 Minuten Ruhm hat er gehabt. Im kleinen Kreis auf der Castingallee.

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