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Medien: "Chrisma": Wie kommt der Prophet zum Berg?

Christen haben eine Botschaft zu vermitteln, die Botschaft vom befreienden, liebenden, fordernden und tröstenden Gott. Diese Botschaft erfüllt uns mit solcher Freude, dass wir diese Freude auch anderen erschließen wollen.

Christen haben eine Botschaft zu vermitteln, die Botschaft vom befreienden, liebenden, fordernden und tröstenden Gott. Diese Botschaft erfüllt uns mit solcher Freude, dass wir diese Freude auch anderen erschließen wollen. Ein Angebot. Doch uns geht es heute nicht anders als dem Apostel Paulus in Athen, nachzulesen in der Apostelgeschichte des Lukas (17,16 ff): die einen spotteten, andere sagten, sie wollten ihn ein andermal hören. Nur wenige folgten ihm. Die Kernfrage: Wie kommt der Prophet zum Berg? Dabei hängen die Vermittlung von Glaubenswissen und die anziehende Begegnung mit gelebtem Glauben durchaus zusammen, sind aber nicht identisch. Die Antwort kann daher nur vielstimmig und unvollkommen ausfallen.

Die evangelische Kirche legt neuerdings regelmäßig das Blatt "Chrisma" mehreren überregionalen Zeitungen bei. Verkündigung als Beilage? Ja! Die Kirchenzeitung erreicht keine Fernstehenden. Die Beilage soll wie ein Aperitif sein: den Geschmack auf "Mehr" wecken. Zu diesem "Mehr" muss sie konkrete Hinweise geben, sei es durch Fragestellungen, die auf die nächste Nummer neugierig machen, durch Anregungen zum Weiterlesen, sogar für die Bibel ... Die Adressen von Begegnungsstätten, die Austausch ermöglichen, ein Forum, nicht Bekehrungseinrichtungen sind, dürfen nicht fehlen.

Die Zeitung nicht als Kanzel, vielmehr als paulinische Straße. Das wollte vor fast 30 Jahren die Zeitschrift "Publik" sein. Ich gehörte dem Herausgebergremium an. Wir wollten die Fragenden, die Kritischen, die Suchenden erreichen. Das verstanden gewisse "Mächtige" als Abweichungen von der "reinen Lehre", und es war dann einfach, Finanzargumente gegen den Fortbestand einzusetzen. Das Eingehen auf die Fragenden bestimmt auch das "Wort zum Sonntag", die "Worte vor dem Tag". Sie treffen, zum Beispiel kurz vor den Nachrichten platziert, auf eine höchst gemischte Zuhörerschaft: Desinteressierte, Suchende, Enttäuschte und auch Glaubende. Wie gebe ich Brot und nicht Steine? Und das in 2,5 Minuten! Meine Erfahrung: Ein Verkündigungskern, gewiss in unserer Sprache, aber mit der Kraft der Sprache, hat Wirkung. Ich staune, wie die Resonanz zugenommen hat. Ich werde im Supermarkt, auf der Straße angesprochen, werde wegen der Texten angeschrieben. Und ich staune, wer mich anspricht: offensichtlich nur im Ausnahmefall Kirchgänger. Und doch, alle diese Vermittlungsformen sind nur sehr begrenzt Begegnung mit Kirche, mit Glauben.

Selbstverständlich haben in diesem Zusammenhang Krankenhäuser und Schulen in kirchlicher Trägerschaft ihre besondere Bedeutung. Die Atmosphäre der Zuwendung zieht offenbar an. Suppenküchen, Obdachlosenunterkünfte gehören dazu. Sie alle sind intensive Spuren der Mitmenschlichkeit in unserer Gesellschaft. Die Begegnung mit solchen Spuren kann den Wunsch nach "mehr" wecken. Wer gibt dann dort Auskunft über den Glauben, über Kirche? Die christlichen Krankenbesuchsdienste, für die es Ausbildungsangebote gibt, sind eine Antwort, eine Intensivierung von "Chrisma". Das trifft auch für die liturgischen Handlungen zu, die eine gesellschaftliche Bedeutung haben: Taufe, Hochzeit, Begräbnis. Die Fernstehenden, die Nicht-Glaubenden müssen dabei Kirche als Begleiterin des menschlichen Lebensweges, nicht als dauerhafte Abschreckung erfahren können.

Christliche Verkündigungen, die zur Entscheidung befähigen soll, will Glaubenswissen vermitteln und Leben aus dem Glauben bezeugen. Glaubenswissen hat hohe Bedeutung für das Verstehen unserer abendländischen Kultur und Geschichte. Doch auch gelebter Glaube ist von öffentlicher Bedeutung. Die Entscheidung des einzelnen Glaubenden ist Privatsache, aber Religion ist nicht Privatsache. Nur wer sich an ein Absolutes bindet, ist fähig, nichts Endliches zu verabsolutieren, sich keiner Diktatur, und sei es die der eigenen Meinung, auszuliefern. Wer Sinn und Erfüllung nur im Hier und im Heute sucht, betrachtet den Mitmenschen als Konkurrenten. "Totale Diesseitigkeit entsolidarisiert" (Paul Zulehner).

Tausende strömen in kunsthistorisch bedeutende Kirchen. Führungen müssen mehr sein als Kunstgeschichte: Geschichte und Zeugnis des Glaubens. Inzwischen gibt es in vielen solcher Kirchen zu fester Uhrzeit eine halbe Stunde des Nachdenkens, des Betens, der Orgelmusik. Ich nenne auch die Orgelkonzerte.

Demokratische Säule: Bekenntnisbereitschaft und Toleranz gehen zusammen! Beide bestimmen auch das "Begegnungsmodell", das die evangelische Kirche Berlin-Brandenburgs und die Erzdiözese Berlin, die Vorpommern, Brandenburg und Berlin umfasst, für den Religionsunterricht entwickelt haben. Es soll die Brandenburger Form, die keinen Bekenntnis gebundenen Unterricht zulässt, und die Berliner Form, die den sich zu keiner Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft Bekennenden jede Information über Religion verweigert, ablösen. Jede Religionsgemeinschaft bietet "ihren" Unterricht an. Auch der Lebenskunde-Unterricht der Humanistischen Union gehört dazu. Die anderen, in Berlin zur Zeit gut 60 Prozent jeden Jahrgangs, erhalten Unterricht in LER (Lebenskunde, Ethik, Religionskunde) oder Philosophie. Aber für alle gibt es Wochen der Begegnung. Ein gemeinsames Thema wird gesetzt. Erster Tag: jede Gruppe für sich, zweiter Tag: die Lehrer vertauschen sich; am dritten Tag mischen sich die Schüler und geben einander Auskunft. Den vierten Tag füllt eine Plenardiskussion und der fünfte Tag schließt mit der Besinnung auf das Besprochene in der eigenen Gruppe. Sprachfähig, wenn es um existenzielle Fragen geht und auskunftsfähig im eigenen Glauben! Bekenntnis und Toleranz.

Hanna-Renate Laurien war Senatorin für Schule, Jugend und Sport und Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses. Sie ist Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken.

Hanna-Renate Laurien

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