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In der Öffentlichkeit macht sich Schauspielschülerin Fine (Stine Fischer Christensen) mit blonder Perücke quasi unsichtbar.F.: Arte

© Â SWR/teamworx

Christian Schwochows Gesellenstück: Die Hölle vor dem Ruhm

Der Film „Die Unsichtbare“ erzählt von der Qual des Schauspielerwerdens. Regisseur Christian Schwochow hat das Drama mit einer Spitzenbesetzung fürs Fernsehen inszeniert.

Ulrich Noethen, Dagmar Manzel, Anna Maria Mühe, Ullrich Matthes, Ronald Zehrfeld, Corinna Harfouch, Gudrun Landgrebe – wer die Namen aus der deutschen Schauspielerelite liest und dann in der Film-Ankündigung für „Die Unsichtbare“ etwas von einer Schauspielschülerin und deren psychischen Riesenproblemen erfährt, der denkt an die üblichen milden Gaben, mit denen Promis Nachwuchsfilme zu fördern versuchen.

Aber „Die Unsichtbare“ ist alles andere als eine Übung jugendlichen Sturms und Drangs. Der 1978 auf Rügen geborene Christian Schwochow hat mit diesem 2011 gedrehten Film sein Gesellenstück geschaffen, bevor er mit der Verfilmung von „Der Turm“ zum Meister (GrimmePreis) wurde. Was Schwochow geschrieben und inszeniert hat, handelt in seiner todernsten und radikalen Bildsprache von einer unaufhaltsamen künstlerischen Berufung. Nur dass es bei der Heldin, der Schauspielstudentin Fine (gespielt von der Dänin Stine Fischer Christensen), nicht wie in Stephen Daldrys „I will dance“ um den Aus- und Aufstieg aus proletarischen Milieu geht, sondern um die Selbstrettung aus seelischer Not.

Es scheint, als hätten die Etablierten von Bühne und Film viel mit dieser Geschichte anzufangen gewusst – ihr Einsatz ist überzeugend. Sie spielen hier nicht nur für sich, sondern für die Ehre der ganzen Darstellerzunft. Gudrun Landgrebe treibt als Schauspiellehrerin mit ihren Eleven Ausdrucksgymnastik und wirkt überhaupt nicht seraphisch distanziert, sondern bewegend und bewegt. So bekommt man sie so nur selten zu sehen.

Ullrich Noethen verkörpert den modernen Regietyrannen. Er verrät diese Figur nicht, sondern lässt hinter genialischem Gehabe einen suchtgefährdeten Menschen erkennen, den nur die heilige Theaterarbeit retten kann. Dagmar Manzel schafft es nicht bis auf die Bühne, sondern pflegt die geistig behinderte Schwester der Heldin. Sie spielt eine wütende und versteinerte Mutter, die auf Fine wie eine Gefängniswärterin wirkt. Offenbar braucht die Berufung zum Schauspieler solche Herausforderung.

Man sieht die Gespenster, die sich der wahngefährdeten Persönlichkeit Fine auf der Reise zum Bühnenruhm in den Weg stellen oder sie begleiten. Sie sind allesamt groß besetzt, wobei noch ein attraktiver U-Bahn-Ingenieur (Ronald Zehrfeld) hinzukommt, dessen erotische Verlockungen Fine aber von ihrer Tour Richtung Bühne nicht abbringen können.

Wer in den Tempel der Mimen eintreten will, der muss erst sich selbst reinigen. So will es dieser Film, der seine rührend altmodische und idealistische Botschaft hinter Blutszenen, Schauspielerschweiß und Körperentblößung versteckt. Der Film „Die Unsichtbare“ verlangt: Erst muss du dich im Privaten trauen, nackt zu werden, um als Schauspielerin zeigen zu können, was Nacktheit auf der Bühne sein soll. Fine muss lernen, dass der Beruf des Darstellers alles, was das Leben sonst noch bietet und verbietet, verwandelt.

Fischer Christensen hält diese Rolle über alle Schmerzen hinweg mit schüchterner Unbeirrbarkeit durch. Autor Schwochow führt sie unerbittlich ins Elend des Lebens, aber Regisseur Schwochow lässt sie nicht fallen. Denn beide brauchen sie für einen herrlichen Schluss. Die aufgeregten Darsteller fiebern hinter der Bühne der Premiere entgegen. All die psychischen Borderliner, die verrückten Sonderlinge, die gnadenlosen Selbstquäler umarmen sich und muntern sich auf. Dann beginnt das Leben im Falschen, das für sie das Echte geworden ist: Der Bühnenvorhang geht auf. So schön hat man Fine den ganzen langen Film nicht gesehen wie hier, wo sie der Scheinwerfer anstrahlt. Die Unsichtbare wird sichtbar. Nikolaus von Festenberg

„Die Unsichtbare“, Arte, Freitag, um 21 Uhr 45

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