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Bewährtes im Neuen: Reporterlegende Günther Koch hat im Digitalradio 90elf inzwischen sogar einen eigenen Kultkanal. Foto: pa/dpa

© picture-alliance / dpa/dpaweb

DABplus: Neue Töne im Radio

Eine Welle zum Entspannen, Sender nur für Fußball und Literatur sowie neue Zusatzdienste – im Herbst gehen die neuen bundesweiten Digitalstationen auf Sendung.

Es wäre nicht der erste rote Knopf, der in Berlin etwas früher als erwartet gedrückt wird. Beim Start des Farbfernsehens kam ein Techniker 1967 Willy Brandt einige Sekunden zuvor und entließ die ersten bunten Bilder schon vor dem historischen Akt. Dies könnte sich in diesem Jahr in ähnlicher Form bei einer anderen Technik wiederholen. Nachdem der Start des bundesweiten Digitalradios – nach jahrelangem Stillstand – gerade besiegelt wurde, sollen die sechs privaten sowie drei öffentlich-rechtliche Programme im Herbst 2011 auf Sendung gehen. Welchen besseren Ort als die Funkausstellung in Berlin könnte es somit geben, die neue Radioära in Betrieb zu nehmen? Nach allem Hin und Her der vergangenen Jahre wären die Protagonisten des Digitalradios allerdings froh, mit der bundesweiten Ausstrahlung der Programme bereits im August beginnen zu können. „Auf der IFA könnten wird dann sagen: ,Wir haben es geschafft‘“, hofft Michael Richter, Chef des Lobbyverbandes Digital Radio Plattform.

Anders als im UKW-Betrieb sind die Wellen mit der neuen Technik DABplus von der Nordsee bis zu den Alpen unter der gleichen Frequenz zu erreichen. Zudem lässt die Digitaltechnik die Ausstrahlung zusätzlicher Informationen beispielsweise für Verkehrsinformationen zu. Bei den Programmveranstaltern handelt es sich um ERF Medien mit ERF Radio, Entspannungsradio mit dem Sender LoungeFM, Die Neue Welle Rundfunk-Verwaltungsgesellschaft mit Radio Rauschgold und Radio 97,1 MHz Hamburg mit Energy. Regiocast Digital bringt das Fußballradio 90elf, RemiX Radio sowie litera digital auf Sendung. Zudem wird der Sendernetzbetreiber Media Broadcast mehrere Telemediendienste anbieten. Das öffentlich-rechtliche DRadio Wissen, das als digitaler Ableger des Deutschlandradios erst Anfang 2010 startete, ist dann auch als Antennenradio zu hören. Auch Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur werden über DABplus ausgestrahlt. Zum Empfang sollte man am besten ein sogenanntes Mehrnormengerät anschaffen, das sowohl UKW als auch DAB und DABplus empfangen kann.

Gerade für Spartensender bedeutet die bundesweite Ausstrahlung ganz neue Möglichkeiten, Werbekunden zu gewinnen. Diese Chance sieht auch 90elf, Deutschlands erster Fußballsender, der bislang ausschließlich über das Internet zu empfangen ist. Zu den Besonderheiten gehört, dass sich die Hörer von 90elf im Internet selbst ihre eigene Fußballkonferenz zusammenstellen können. Wie im Internet können sich die Hörer aber auch bei DAB-plus-Radio ein ganz bestimmtes Spiel auswählen. Mit steigender Verbreitung entsprechender Digitalradioempfangsgeräte lassen sich neue Einnahmequellen erschließen, die dann wiederum Investitionen in neue Formate und den Ausbau des Programms an den fußballfreien Tagen erlauben, hofft der zu Regiocast Digital gehörende Sender, dessen bekannteste Stimme Reporterlegende Günther Koch ist.

Mindestens ebenso ambitioniert ist der 24-Stunden-Betrieb von litera digital. Zurzeit wird bei Regiocast noch am Konzept gefeilt. Fest steht nur, dass es ausschließlich um Literatur gehen soll. Allein mit Rezensionen neuer Bücher ist allerdings keine Sieben-Tage-Woche zu bestehen. Geplant sind Ausstrahlungen mehrstündiger Hörbücher sowie Talkformate rund um das Thema Literatur. „Wir planen kein ,Literarisches Quartett‘, sondern einen Sender, der sich an den Ansprüchen seiner Hörer ausrichtet“, sagt dazu Sprecher Martin Hülsmann.

Und zu diesen Ansprüchen könnte in Zukunft auch der Wunsch nach Entspannung gehören. Der aus Österreich stammende Sender LoungeFM hat sich mit seiner Mischung aus sanften Trommelklängen, harmonischen Elektrobeats und schwungvoller Saxophonmusik in der Alpenrepublik einen Namen gemacht und versucht derzeit, mit einem Tochterunternehmen in Deutschland Fuß zu fassen. Die Bewerbung für die Berliner Frequenz 101,9 war 2010 jedoch gescheitert.

Anders als das digitale Antennenfernsehen DVB-T ist das Digitalradio aber auch nach dem offiziellen Startschuss noch lange kein Selbstläufer. So fehlt der politische Wille, ein Datum für das Ende des analogen UKW-Radios festzulegen, kritisiert die Digital Radio Plattform. Die erste Frist im Jahr 2010 verstrich nahezu unbemerkt, die nächste Frist für das Jahr 2015 wurde bereits vorsorglich auf das Jahr 2025 verlegt.

Ein Grund dafür ist, dass die meisten Radiohörer die Beschränkungen der vorhandenen Technik als nicht so stark empfinden. Aber auch das Debakel mit dem digitalen Radiostandard DAB spielt eine Rolle. Eine Aufrüstung auf den neuen Standard ist nicht möglich, wer sich also bereits früh ein Digitalradio zugelegt hat, kann dies absehbar einem Technikmuseum stiften. Um bei den Verbrauchern die nachvollziehbare Zurückhaltung abzubauen, hat Digital-Lobbyist Richter eine Abwrackprämie für alte Radiogeräte ins Spiel gebracht. Bei einem Fachkongress in Leipzig im vergangenen Jahr hatten viele Besucher ihre alten UKW-Radios gegen DABplus-Geräte ausgetauscht.

Eine Hoffnung ruht auf Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle und darauf, dass sich sein Haus für das Digitalradio ähnlich starkmacht wie für den Ausbau der Internetbreitbandversorgung. Anfang Februar findet in Berlin ein Auftaktgespräch statt, um die Schritte zum Start des bundesweiten DAB-plus-Betriebs festzulegen. Dann wird sich zeigen, wie gut die Chancen sind, dass auf der Funkausstellung wieder einmal ein roter Knopf gedrückt wird.

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