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Dänische Fernsehserie "Borgen" geht in die letzte Staffel: Spannende Reflexion über den Einfluss der vierten Gewalt

Mit der letzten Staffel heißt es bald Abschied nehmen von einer der großartigsten Serien im Fernsehen: "Borgen". Prostitutionsgesetz, Medienschelte, Flüchtlingspolitik: Die dänische Fernsehserie verrät viel über die Realität. Und sie ist so erfolgreich, dass sie bereits ganz konkret auf die Realität einwirkt.

Wieder einmal Alice Schwarzer. 90 Prominente, von Margot Käßmann bis Wolfgang Niedecken, fordern auf Initiative der Zeitschrift „Emma“ und ihrer Herausgeberin in das Ende der „modernen Sklaverei“ in Deutschland. Konkretes Ziel: eine Änderung des Prostitutionsgesetzes. Sollte es hierzulande eine große Koalition geben, wonach es stark aussieht, gebe es „reale Chancen, dass die unwürdigen und unmenschlichen Verhältnisse in Deutschland sich bald ändern werden“, heißt es im Editorial der jüngsten Ausgabe. Ein gesellschaftlicher Konflikt im Umfeld von parteilichen Ränkespielen – auch das ist ein Thema in der dänischen Serie „Borgen“ über die fiktive Politikerin Birgitte Nyborg, die unerwartet zur ersten Premierministerin Dänemarks gewählt wird. Über ihre privaten Probleme, über ihren Mut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, über die, immer noch, Fast-Unmöglichkeit, Familie, Karriere, Kinder unter einen Hut zu kriegen.

Man schaute sich diese 30-teilige Serie jetzt Woche für Woche auf Arte an, verliebte sich ein bisschen in diese idealistische Politikerin und fragte sich: Warum wird so etwas nicht in Deutschland gemacht? Warum gab es hier in den vergangenen Jahren mit dem „Kanzleramt“ im ZDF einen einzigen Versuch, den Alltag von Politikern an frei erfundenen, aber realitätsnahen Geschichten darzustellen, geschrieben von Hans-Christoph Blumenberg und Martin E. Süskind, ein Konzept, das in den USA und Großbritannien erfolgreich erprobt wurde. Siehe „West Wing – Im Zentrum der Macht“, ein realistischer Blick hinter die Kulissen des Beraterstabs von Jed Bartlet (Martin Sheen), dem demokratischen US-Präsidenten, oder auch Geena Davis in „Welcome, Mrs. President“. Mord und Totschlag, die besten Garanten für erfolgreiche TV-Serien in Deutschland, sind ja nicht per se unterhaltungsaffin. Verglichen mit dem Leben, dem Treiben in der Politik, im Kanzleramt.

Oder eben im dänischen Regierungshaus, „Borgen“. In unserem kleinen Nachbarland hatten und haben Fernsehredakteure den Mut, ihre Zuschauer mit einer aufwendig produzierten Serie aus dem Politbetrieb zu behelligen. Politik und Krimi, Politik und Unterhaltung, Realität und Fiktion grandios kombiniert von Autor Adam Price, ein Trick, der übrigens auch bei der im ZDF laufenden Serie „Kommissar Lund“ funktioniert. Stichwort: Prostitutionsgesetz.

An diesem Donnerstag geht die dritte und letzte Staffel von „Borgen“ zu Ende. In Dänemark hat sie nochmals Wellen geschlagen. Die konservative Opposition, aus dem „richtigen“ dänischen Parlament, startete vor Monaten eine Initiative zum kontroversen Thema Prostitution – genau zu dem Sonntag, an dem sich TV-Regierungschefin Nyborg im dänischen Fernsehen im „fiktiven“ Parlament gegen die Kriminalisierung von Sex-Käufen aussprach.

Fernsehredakteure (und Autoren) in Deutschland sagen ja immer wieder: Warum sollten wir so etwas schreiben, produzieren lassen, das will doch keiner sehen? Wenn denn die Quote noch ein Grund für öffentlich-rechtliche Sender sein darf: „Borgen“ ist ein Erfolg für Arte. Im Fernsehen mit einem Quoten-Durchschnitt von 1,0 Prozent, in Frankreich liefen die letzten beiden Staffeln im Sendeplatzvergleich auf dem Bildschirm sogar überdurchschnittlich gut. Im Web lag die Serie in ihren Streamings über dem Durchschnitt, bei der dritten Staffel mit fast 135 000 Abrufen.

In Dänemark ist die Serie so populär, dass „echte“ Politiker von ihr beeinflusst werden. Wie denn: Lasst mehr Flüchtlinge ins Land? Die Rechtspopulisten beschimpfen das Programm als sozialdemokratische „Propaganda“, genauso wie es sich die Neue Demokratin Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen), in der TV-Serie anhören muss, als sie einen ehemaligen Kommunisten als Wirtschaftsexperten für ihre Partei anheuert.

Zum Ende hin wird dann, zugegeben sehr emotional, bei der Karriere-Politikerin Brustkrebs diagnostiziert. Die Alleinerziehende ist verzweifelt, zeigt es nicht. Ihren zwei Kindern und Parteifreunden verschweigt Nyborg zunächst den operativen Eingriff und die Bestrahlung. Kurz bevor ihre Neuen Demokraten zur Neuwahl zugelassen werden. Die große Chance für ein Comeback. Bei einer Elefantenrunde im Fernsehen bricht die Spitzenkandidatin unter dem Einfluss schwerer Medikamente und den unerbittlichen Fragen des smarten Moderators von TV1 fast zusammen.

Zu guter Letzt: „Borgen“ ist über das Drama ihrer Protagonistin hinaus eben auch eine spannende Reflexion über den Einfluss von Fernsehen und Presse als vierte Gewalt. In der zweiten Staffel stolperte Nyborg über die Enthüllungen eines Boulevardblatts, das ihre kranke Tochter bloßstellt. Als der quotenschwache Sender TV1 einen neuen Geschäftsführer bekommt, ist es mit der seriösen Berichterstattung vorbei. Die Idealistin Birgitte Nyborg hat bei ihrem Auftritt als Erste darunter zu leiden.

Es ist nicht weit hergeholt, wenn man in diesen Tagen an den Fall der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke denkt, die bei ihrem Rücktritt – als Konsequenz um einen Steuerdeal – eine heftige Medienschelte vom Stapel ließ. „Ich kann die politischen, persönlichen und medialen Angriffe, denen ich seit mehr als neun Wochen ausgesetzt bin, nicht länger ertragen“, erklärte Gaschke in ihrer Abschiedsrede am Montag in Kiel.

„Borgen – Gefährliche Seilschaften“, Donnerstag, Arte, 21 Uhr

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