zum Hauptinhalt
Am Boden morden, plündern oder zerstören. Anschließend im virtuellen Raum die Weltöffentlichkeit mit schrecklichen Bildern schockieren: der sogenannte "Islamische Staat", abgekürzt IS.

© BR

Darknet, Cyber-Jihad etc.: Wie das Fernsehen den Terrorkrieg im Internet erklärt

Am späten Montagabend lief die Doku "Die mörderische Strategie des ,Islamischen Staates'" in der ARD. Leider wurde das Thema verfehlt.

Eine der schlimmsten Bemerkungen in der Schule - „Thema verfehlt!“. Bei der Erörterung eines Problems, im Labyrinth der Gedanken verirrt und nicht mehr den Ausgang gefunden. In der Ausbildung erlaubt, man lernt ja noch. Aber ein TV-Beitrag, der sein Thema verfehlt? Total verfehlt? Eine ziemliche Kunst.

Exclusiv im Ersten, eine Reportage mit reißerischem Voll-Treffer-Label: Terrorkrieg im Internet – Die mörderische Strategie des „Islamischen Staates“. Der Titel, fast noch das Beste an diesem 30-Minuten-Chaos-Machwerk. Auf der ARD-Internet-Seite wird effektvoll und dramatisch dick aufgetragen: „Am Boden morden, plündern oder zerstören. Anschließend im virtuellen Raum die Weltöffentlichkeit mit schrecklichen Bildern schockieren und gleichzeitig die eigenen Anhänger weiter radikalisieren: Der (…) IS ist die erste Terrororganisation, die kühl berechnend auf die Macht der Bilder und elektronischer Botschaften setzt“.

Erste Station, Passau. Interview mit einem IT-System-Kaufmann. Er soll eine Vereinigung gegründet haben, um Cyber-Terrorismus zu begehen. Eigentlich wollte er mit der Waffe nach Afrika. Boko Haram unterstützen. Er scheitert an der Bürokratie. Pass eingezogen, er muss in Deutschland bleiben. Wird zum furchterregenden Cyber-Jihadisten: „Ich habe es auch angekündigt. Wenn sie mich nicht rauslassen, dann werden sie den Terroristen bei sich im Land haben (…) Das war dann so eine Egosachen, was ganz persönliches.“

Vorgetäuschte PKW-Unfälle

Dann definiert er die unterschiedlichen Formen von Cyber-Jihad. Propaganda über das Internet, Hackerangriffe. Das wäre eigentlich Aufgabe der Beitragsmacher. Statt Beispiele kommt jetzt der Themenkreis "Terrorfinanzierung“. Razzia in Oberhausen. Alfred F. soll mit seiner Bande durch vorgetäuschte PKW-Unfälle mehr als Hunderttausend Euro erbeutet haben. Sicher kriminell, aber ist das die mörderische Internet-Strategie des IS?

Dann kommt Philip B. ins Spiel. Ein toter Terrorist. 2014 hat er sich und 20 Unschuldige in Mossul in die Luft gesprengt. Er kommt aus Dinslaken. Hatte dort eine Terrorzelle. Es gibt noch andere Jihadisten aus Dinslaken. Weil keiner vor der Kamera etwas dazu sagen will, liefert der Kassenwart vom King’s Sport-Club einen nichtssagenden O-Ton ab. Erst banal, dann substanzlos. Bei Recherchen entdecken die Beitragsmacher Fotos. Muslime mit erhobenem Zeigefinger. Verbreitet in Sozialen Medien. Der erhobene Zeigefinger, scheinbar das Markenzeichen der IS-Terroristen. Wow.

Nach dieser aufwendigen Enttarnung der mörderischen IS-PR, darf der Cyber-Jihadist vom Anfang verquaste Erklärungen zu Propaganda abliefern. Auch das wäre von den Beitragsmachern besser und sinnvoller. In Israel beobachtet das Institut MEMRI islamistische Medien. Ein „brandneues, hochprofessionelles Propaganda-Video“ wird kurz gezeigt. Verschiedene Kämpfer rufen in verschiedenen Sprachen zum Kampf auf. Der Präsident von MEMRI beklagt die Tatenlosigkeit des Westens. Besser hätte er über Wirkung und Taktik der Videos was gesagt.

Dann ein paar Minuten Anschlag auf "Charlie Hebdo". Die Aussage, dass Cyber-Jihad auch eine kulturelle Herausforderung ist. Das Kurzportrait eines spanischen Konvertiten. Das Darknet, wo es Anleitungen zum Bombenbauen gibt. Und Sicherheitslücken öffentlicher Einrichtungen. Nach dieser Tour de Force durch alles, was irgendwie mit IS, Islam und Internet zu tun hat, fragt man sich, ob es bei der ARD eigentlich noch die guten, alten Abnahmen gibt? Qualitätserzeugnisse von Qualitätsmedien sollten durchdachter und intelligenter sein. Und formal hochwertiger. Exclusiv im Ersten? Eher ein wirre Billig-Reportage vom Wühltisch.

Zur Startseite