zum Hauptinhalt
Das Passwort zu den rund 250 000 Dokumenten hat Wikileaks-Gründer Julian Assange einem Journalisten der britischen Zeitung „Guardian“ verraten.

© dpa

Passwort-Panne: Das Daten-Desaster

Leck bei Wikileaks: Namen von Informanten stehen unverschlüsselt im Netz. Julian Assange muss nun um den Weiterbestand seines Projektes fürchten.

Wenn Julian Assange am kommenden Dienstag in Berlin auf dem Kongress medienwoche@ifa spricht, soll es um die Zukunft der digitalen Öffentlichkeit gehen. Um Transparenz und was diese für die Welt bedeutet. Was Assange bei seiner Zusage vor einigen Monaten nicht geahnt haben dürfte: Dass er mit seinem eigenen Projekt Wikileaks das Negativbeispiel liefert, welche Folgen Transparenz haben kann.

Mehrere hundert Menschen im Iran, in China, Afghanistan und anderen arabischen Ländern müssen wegen eines Lecks bei der Enthüllungsplattform um ihre Freiheit, womöglich um ihr Leben fürchten. Sie alle haben als Informanten für US-Diplomaten gearbeitet. Die Berichte der Botschaftsmitarbeiter waren Wikileaks zugespielt worden. Daraufhin hatte die Enthüllungsplattform 250 000 Depeschen im vergangenen Herbst im Netz und bei verschiedenen Medienpartnern veröffentlicht. Jedoch waren damals die Namen der Informanten, die besonders gefährdet schienen, unkenntlich gemacht, die Dokumente verschlüsselt worden. Doch nun ist das Passwort im Netz quasi für jedermann zugänglich, die Dokumente sind unverschlüsselt nachlesbar. Für die betroffenen Informanten könnte das lebensgefährlich, für Wikileaks der Anfang vom Ende sein. Wer dafür verantwortlich ist, darüber wird heftig gestritten.

Wikileaks-Gründer Julian Assange weist die Schuld von sich, ebenso sein im Streit geschiedener Sprecher Daniel Domscheit-Berg und die britische Zeitung „Guardian“ – involviert in das Daten-Desaster sind alle drei Parteien. Assange hatte dem „Guardian“-Journalisten John Leigh das Passwort zu dem riesigen Datenbestand mit insgesamt 284 Millionen Wörtern verraten. Leigh veröffentlichte die Kombination in seinem Buch „WikiLeaks. Inside Julian Assange’s War on Secrecy“, das im Februar dieses Jahres erschienen ist – allerdings nicht aus bösem Willen oder Fahrlässigkeit, sondern weil er offenbar davon ausgegangen ist, dass das Passwort nach nur wenigen Stunden wieder verfällt. Doch das passierte anscheinend nicht.

Zudem gelangte die verschlüsselte Version – auch aus Schutz vor Attacken auf die Wikileaks-Plattform – ins Bit-Torrent-System, das Internet-Nutzern dazu dient, große Dateien dezentral bereit zu stellen. Es tauchten damit immer mehr Kopien im Netz auf.

Lesen Sie auf Seite zwei: Die Auswirkungen der Datenpanne

Währenddessen habe sich die Information, dass das Passwort nach dem Gespräch zwischen Assange und Leigh unverändert gültig war, weiter verbreitet, erklärte Wikileaks jetzt in einer Darstellung der Panne. Dieser Kreis habe „in der vergangenen Woche eine kritische Masse erreicht.“

Die Wochenzeitung „Freitag“, ein Medienpartner von DomscheitBergs neuem Projekt Openleaks, hatte über die Verfügbarkeit der Original-Botschaftsdepeschen berichtet. Die Folge war eine neuerliche Eskalation im Krach zwischen Domscheit-Berg und Assange. Der Wikileaks-Gründer, der in London wegen strafrechtlicher Ermittlungen zu einem Sexualdelikt festsitzt und bei dem Medienkongress in Berlin deshalb nur per Video zugeschaltet wird, warf seinem früheren Mitarbeiter über einen Anwalt den Bruch von Absprachen und Selbstverpflichtungen sowie „ein gesteigertes Maß an Niedertracht“ vor.

Domscheit-Berg hält dagegen. „Die Personen, denen dieser Fehler bekannt war, haben dazu viele Monate geschwiegen und auch darauf gebaut, dass Herr Assange, dem der Fehler ja auch lange bekannt ist, verantwortlich reagiert und die betroffenen Personen mit einer öffentlichen Stellungnahme warnt“, schreibt er in einer Mail an die Deutsche Presse-Agentur. „Dies wäre der einzig richtige Schritt gewesen. Man hat allerdings entschieden, das Thema zu ignorieren und totzuschweigen. Dies kann nicht im Interesse von potenziell gefährdeten Menschen sein.“

Keiner Schuld bewusst ist sich auch der „Guardian“. Zwar habe Leigh in seinem Buch ein Passwort genannt. „Aber uns wurde gesagt, dass es ein zeitlich begrenztes Passwort sei, das verfallen und binnen Stunden gelöscht werde“, teilte die Londoner Zeitung am Donnerstag mit. Seit Mittwoch verbreitete sich das Passwort über den Internet-Dienst Twitter. Benötigt wird es nicht mehr. Auch die bereits entschlüsselten Daten sind nun im Internet verbreitet.

Es würde alles getan, um „denen beizustehen, die durch diese illegalen Enthüllungen zu Schaden kommen könnten“, sagte Victoria Nuland, eine Sprecherin des Außenministeriums, der „New York Times“. Wikileaks ist mit dem Desaster bereits beschädigt. Daten dürften der Enthüllungsplattform vorerst nicht mehr anvertraut werden. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false