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Medien: Das deutsche Diven-Massaker

In seinem neuen Fernsehspiel „Fahr zur Hölle, Schwester“ schwelgt Oskar Roehler in Horrorfilm-Ästhetik

Von Barbara Nolte

Oskar Roehler schafft sich langsam eine kleine Künstlerfamilie, wie Rainer Werner Fassbinder immer eine hatte. Im Mittelpunkt steht Hannelore Elsner. Als verzweifelte Schriftstellerin Hanna Flanders schickte er sie mit zerzauster Perücke und wehendem Dior-Mantel über die Äcker von Marzahn. Elstner bekam den Deutschen Filmpreis dafür, Roehlers Film „Die Unberührbare“ sogar eine Oscar-Nominierung. Heute Abend lässt Roehler seinen Star im tiefer gelegten Ford mit Flammenaufkleber mit 150 Stundenkilometern über Landstraßen rasen. Er lässt Elsner tanzen – als Kind verkleidet, im weißen Tutu. Sie muss stöhnen, flüstern, schreien. Dass Oskar Roehler die sehr charmante, aber auch ein wenig brave Fernseh-Schauspielerin Hannelore Elsner zu immer neuen Figuren formt, ist wohl eine der wenigen positiven Dinge, die man über seinen neuen Film „Fahr zur Hölle, Schwester" (RTL, 20 Uhr 15) sagen kann.

Denn Elsners Rolle ist diesmal völlig abstrus. In ihrer ersten Szene spielt sie mit der E-Gitarre Jimi Hendrix nach, sie singt, nein, jault dazu. Hennarote, filzige Haare. Auf der Stirn hat sie den Schriftzug „Fuck" eintätowiert. Nach so einer Einführung besteht kein Zweifel: Diese Frau ist verrückt. Der ist alles zuzutrauen. Nur merkt das im Film keiner. Was sich besonders für Iris Berben, die Elsners verhasste Schwester Claire spielt, als verhängnisvoll herausstellt. Berben kommt unangemeldet zu Besuch, mit ihrem Klingeln Elsners Gitarrensolo unterbrechend. Sie will mit ihrer bettlägerigen Mutter reden, die immer mit der Schwester zusammen im einsamen Elternhaus lebte. „Mama ist nicht da. Sie ist in letzter Zeit oft unterwegs, sie hat viele Hobbys“, sagt Elsner. Und mit dem Satz ist auch der Rest der Handlung vorgezeichnet: Die Mutter muss eine Leiche sein, irgendwo im Haus oder Garten versteckt. Und Iris Berben wird auch ihre Mühe haben, lebend hier wieder wegzukommen. Nach ein paar Einstellungen ist also aus dem „spannenden Thriller“, wie ihn RTL im begleitenden Presseheft ankündigt, alle Spannung raus.

Was bleibt aber dann noch? Ein Geschwisterkonflikt, der in der Kindheit beginnt – die Mutter macht die ältere Schwester für Claires Lähmung verantwortlich. Und der mit einer auf dem Speicher gefesselten und geknebelten Iris Berben endet. Nur ein paar Meter entfernt von der von Maden zerfressenen Leiche der Mutter. Und es bleibt eben diese schreiende, flüsternde, singende Hannelore Elsner, die im Film permanent beklemmende Stimmung verbreitet. Das Ganze wird garniert mit Horrorfilm-Elementen – zum Beispiel, als Iris Berben ihre eigene Beinprothese als Knüppel gegen die Schwester schwingt. Filmblut spritzt, Mehlwürmer krabbeln. Es gibt Tote und Verletzte. Man spürt richtig, dass es Oskar Roehler großes Vergnügen bereitet hat, so eine Sauerei zu veranstalten.

Die Ästhetik ist für Oskar Roehler nicht neu. Er hat schon immer solche Filme gemacht, zum Beispiel zusammen mit Christoph Schlingensief „Das deutsche Kettensägenmassaker“. „Die Unberührbare“ war eher die Ausnahme. Bei der „Unberührbaren“hatte Roehler das Scheitern seiner eigenen Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner, verfilmt. Wohl deshalb ging er so respektvoll mit seinem Stoff um, und deshalb ist der Film für ihn so ungewöhnlich ruhig geraten. In „Fahr zur Hölle, Schwester“ schwelgt er wieder in alter Trash-Ästhetik. Handlung, Motive der Figuren – Nebensache.

Immerhin ist es Roehler diesmal gelungen, seinen Splatter-Film ins deutsche Primetime-Fernsehen zu mogeln. Ins Reservat der freundlichen TV-Familien mit ihren kleinen Problemchen. Dorthin also, wo er vielleicht wirklich noch jemanden schockt. Schlingensief hat das nie geschafft. Hannelore Elsner und Iris Berben waren die Vehikel. 20-Uhr- 15-Fernsehen, das ist ihre Domäne. Und jetzt geht Hannelore Elsner dort als eine Mischung aus Milva und Ozzy Osbourne auf ihre Fans los. Eins muss man sagen: Das sprengt den Rahmen.

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