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Medien: Das Erste macht blau

„Tagesschau“ und „Tagesthemen“: Tiefsee-Design und „verlängerte“ Sprecher

Von Hamburg geht weiterhin keine Revolution aus. Also auch nicht von Hamburg-Lokstedt, wo mit ARD-aktuell die Nachrichtenzentrale des Ersten arbeitet. Was sich bei „Tagesschau“, „Tagesthemen“ und „Nachtmagazin“ geändert hat, hat gerade noch etwas Evolutionäres. Die Sprecher und Moderatoren stehen jetzt, das Studio ist überarbeitet, ebenso das Layout der Sendung. Dass Eva Herman während der „Tagesschau“ um 20 Uhr steht-sitzt, erkennt der aufmerksame Zuschauer an der Knopfleiste ihrer Kostümjacke: Waren vorher zwei Köpfe zu sehen, so sind es jetzt vier. Die frühere Dame ohne Unterleib ist „verlängert“ worden. Herman hat an Figur gewonnen – nicht so sehr an Statur: Die „Tagesschau“-Sprecherin bleibt selbst im Stehen in die Bild-Schablone eingepasst. Die Nachricht ist der Star, nicht ihre Vorleserin.

Zweiter Eindruck: Das „Nachrichten-Blau“ des ARD-Nachrichtenflaggschiffs ist noch blauer geworden, sattblau. Eva Herman hat mit ihrer Jacke in Blassrosa feinfühlig darauf reagiert. Eleganz und Seriosität gehen ins eins und heben sich in dieser Kombination von den Konkurrenz-Nachrichten ab. Die „Tagesschau“ betont weiter ihre offiziöse Form.

Im Studio wirkt der Bildausschnitt um eine Spur aufgezogener, Grafik und Schrifttyp präsentieren sich in Nuancen anders (oder ist das Einbildung?), der Hintersetzer hat eine scharfe Kontur verpasst bekommen. In Machart und Abfolge setzt die zuschauerträchtigste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen unverdrossen auf News pur: In den Filmbeiträgen fahren Limousinen vor, sagen Politiker kurze Sätze, die weniger bedeutsamen Nachrichten werden mit eingeblendeten Symbolbildern in der linken Bildhälfte optisch gestützt. Nein, die „gute, alte Tante Tagesschau“ schaut beim Publikum so unaufdringlich wie eh und je herein.

Und dann die „Tagesthemen“, immer noch im tiefseeblauen Studio. Anders als Eva Herman kommt Anne Will das neue Format eher entgegen. Zum ersten Mal sah man die Moderatorin bis zur Taille. Zum ersten Mal dürften viele Zuschauer mitbekommen haben, dass es nicht nur ziemlich schlecht um die EU steht, sondern dass einem das Thema von einer der attraktivsten Frauen im Fernsehgeschäft näher gebracht wird, auch wenn sich über Anne Wills glatt-strenge Langhaarfrisur weiter streiten lässt. Es muss ja nicht gleich ins Ondulierte gehen, aber ein bisschen mehr, sagen wir, wilde Nina-Ruge-Welle könnte es schon sein. Trotzdem, Anne Will war die Gewinnerin des Abends, des „Tagesthemen“-Relaunchs. Wirkte es nur so, oder ließen Dekolleté und Blazer bei Anne Will jetzt wirklich mehr Haut sehen? Und was wird der noch viel größere Kollege Ulrich Wickert alles von sich zeigen, wenn er erst einmal aufgestanden ist?

Dem Wichtigsten vom Tage tut dieser schöne Anschein keinen Abbruch. Letztendlich bleiben die „Tagesthemen“ auch mit mehr Blau und mehr Anne Will – die „Tagesthemen“. Die EU-Chefs in den USA bei George W. Bush, die Diskussion um Urlaubstage und Steuererhöhungen, Walfang, Paul Klee, das passte alles in die halbe Stunde, wurde gewohnt hintergründig und informativ präsentiert. Ein großes Plus beim Interview mit USA-KorrespondentTom Buhrow: kein umständliches Wegwenden und An-der-Kamera-Vorbeigucken der Moderatoren mehr; auch der Interviewpartner ist jetzt besser im Studio-Bild.

Apropos, vielleicht kann sich die Regie noch etwas einfallen lassen, was die Eingangs- und Ausgangstotalen der „Tagesthemen“ betrifft, wenn die Nachrichtensprecher immer von der Seite eingefangen werden, nun sichtbar lässig am geschwungenen Tisch lehnend. Da wirkte Jens Riewa im Bild fast so, als würde er sich am Nachrichten-Tresen gleich noch ein Bier bestellen.

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