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Ist das Internet umweltschädlich?

© imago/Westend61

Das grüne Internet: Immer hungrig

Ständig sind wir online. Das Internet aber braucht Strom. Ist das Netz das Ende aller Öko-Träume – oder bietet es auch Chancen für eine neue Nachhaltigkeit?

Steckdosen müssen heute überall sein. Die Menschen suchen sie. Im Zug, im Wartezimmer beim Arzt, am Flughafen. Die Menschen brauchen sie. Das Smartphone will Strom. Bei all den vielen Apps hält selbst der beste Akku nicht lange. Zur Monatsmitte stellt sich heraus, dass die Datenflatrate keine ist. Internet gedrosselt. Wie ist noch gleich das W-Lan-Passwort?

3,5 Milliarden Mal fragen Nutzer weltweit jeden Tag bei Google nach. Das Internet, es ist in unserer Hosentasche, im Café, daheim. Es fühlt sich an wie eine Wolke, die uns umhüllt. Es ist aber keine. Es gibt eine physische Infrastruktur hinter den URL-Adressen. Sie braucht Strom, ständig. Es ist das Grundrauschen der Informationsgesellschaft. Egal ob Youtube-Videos, Cloud-Anwendungen oder Netflix: Je mehr Daten wir durch die Leitungen jagen, je mehr Informationen wir speichern wollen, desto mehr muss die Infrastruktur des Netzes leisten. Das kann doch nur schlecht für die Umwelt sein, oder? Ist das Internet der neue Klimakiller oder kann es ein gutes, ein ökologisches Netz geben?

Wer die Frage nach einem grünen Internet stellt, muss das große Einmaleins der Konsumgesellschaft durchrechnen. Es geht nicht nur um die Stromrechnung daheim, um Smartphones an der Steckdose und Computer im Stand-by-Betrieb. Es geht um Rohstoffe, um Lieferketten, die die ganze Welt umspannen. Um die Produktionsbedingungen der Geräte, die den Netzzugang erst möglich machen, und um Geschäftsmodelle wie die von Amazon, die ohne das Netz nicht denkbar wären. Und es geht um: Server und Rechenzentren. Auf sie entfällt ein großer Teil des Stromverbrauchs, wenn wir im Netz unterwegs sind.

Mobiler Datenverkehr steigt stark

Würde man die Datenmenge des deutschen Internetverkehrs im Jahr 2013 auf DVDs brennen wollen, müsste man drei Milliarden DVDs pressen, rechnet der Netzwerk-Ausrüster Cisco vor. Vor allem der mobile Datenverkehr steigt stark. 2013 gab es laut Cisco in Deutschland ein Plus von 75 Prozent. Server und Rechenzentren in Deutschland haben seit 2008 dennoch einen etwa gleichbleibenden Energieverbrauch, sagt Christian Herzog vom Branchenverband Bitkom. Er belief sich 2013 auf zehn Terawattstunden. Damit entfallen rund zwei Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs auf den Betrieb solcher Anlagen. Der Grund für den Stillstand: Höhere Nachfrage und bessere Effizienz liefern sich gerade ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Noch.

Das Nullsummenspiel aus steigender Nutzung und steigender Effizienz wird nicht ewig so weitergehen, prophezeit Herzog. „Es gibt einen Boom der mobilen Geräte und immer mehr neue Anwendungen und Programme“, sagte er. Mehr Leistung bedeutet auch einen höheren Stromverbrauch. „Wir gehen davon aus, dass das nicht mehr wie in den letzten Jahren vollständig durch effizientere Server kompensiert werden kann.“

Wer ein Rechenzentrum betreibt, bei dem sind die Stromkosten heute schon der höchste Posten auf der Rechnung, sagte IT-Experte Herzog. Sind die Server optimal ausgelastet, spart das Energie und lohnt sich für die Betreiber. Der wichtigste Hebel, um den Energieverbrauch der Anlagen zu senken, ist das Kühlsystem. Die Systeme produzieren viel Wärme und müssen ständig gekühlt werden. In kalten Ländern wie Island, Finnland, Schweden oder Norwegen entstehen seit einigen Jahren regelrechte Serverfarmen, betrieben von Unternehmen wie Google und Facebook. Sie machen sich kühle Außentemperaturen zunutze.

Auf 20 Grad Celsius runtergekühlt

Auch wenn es in Deutschland die ersten vollständig mit Ökostrom betriebenen Anlagen gibt, verhindern andernorts veraltete Standards einen umweltfreundlicheren Betrieb. „Momentan wird häufig auf Temperaturen von etwa 20 Grad Celsius runtergekühlt. Dabei könnten moderne Geräte auch bei viel höheren Temperaturen von um die 30 Grad noch zuverlässig arbeiten“, sagt Herzog vom Bitkom. Viele Kunden hätten Angst vor Ausfällen durch überhitzte Server – und ließen sich die niedrigen Temperaturen in den Verträgen mit den Betreibern der Rechenzentren zusichern.

Der Greenpeace-Bericht „Clicking Green“ hat 2014 große Internetfirmen untersucht. Das Ergebnis: Ein Fleißsticker für Google, Apple und Facebook. Sie hätten sich dem Ziel verpflichtet, ihre Rechenzentren künftig zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien zu betreiben. Vorrang haben aber andere Dinge, schreibt der US-Bericht. „Die gesamte Branche bleibt auch weiterhin auf rasantes Wachstum fokussiert.“ Schlecht weg kommt Amazon: kein Einsatz erneuerbarer Energien, keine Strategie, das zukünftig zu ändern.

Was aber kann der Einzelne auf seinem täglichen Weg durchs Netz generell tun, um der Umwelt möglichst wenig zu schaden? Wer auf der Suche nach dem grünen Netz ist, dem geht es so wie dem Kunden im Supermarkt, der vor lauter Öko-Siegeln nicht weiß, wo er zugreifen darf und welches Öko-Ranking nur Augenwischerei ist. Umweltbewusstes Verhalten ist im Digitalzeitalter nicht einfacher geworden, im Gegenteil.

Der E-Mail-Anbieter Posteo verspricht Kunden, dass seine Server und Büros mit Ökostrom betrieben werden. Rücklagen werden außerdem laut Posteo bei der Umweltbank angelegt, um nicht indirekt Umweltverschmutzer zu finanzieren. Die deutsche Suchmaschine Ecosia verspricht Nutzern, mindestens 80 Prozent des Gewinns an ein Projekt zu spenden, das Bäume pflanzt. Mit seiner Suche den Regenwald retten – das klingt gut. Die Suchergebnisse kommen aber trotzdem eigentlich von Yahoo. Die US-Firma feiert im Unternehmensblog den „Earth Day“, hat aber sonst in Sachen Umweltfreundlichkeit nicht auf sich aufmerksam gemacht.

System muss ständig abrufbereit sein

Persönlicher Verzicht und Internet-Abstinenz bringen nicht unbedingt weiter. Das ist der Preis der ständigen Verfügbarkeit. „Ich wüsste nicht, wie sie besonders ökologisch im Netz surfen können“, sagt Bitkom-Experte Herzog. „Auch wenn sie ihre E-Mails statt fünf Mal am Tag nur zwei Mal abfragen: Das System muss ja ständig abrufbereit sein.“ Vielleicht sollten wir uns einfach weniger Gedanken über Rankings und Zertifikate machen. Wichtig ist, für welche Aktivitäten wir das Netz nutzen, sagt der Informatiker Franz-Josef Radermacher von der Universität Ulm. Er beschäftigt sich mit der Nachhaltigkeit von Informationstechnologie. Nur weil das Internet Strom verbraucht, dürfe nicht sein überragender Nutzen ignoriert werden. „Wer auf eine Universität schaut und nur nach dem Öko-Fußabdruck fragt, zielt am Kern der Sache vorbei. Dieser betrifft Bildung und das Verständnis für Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen.“ Entscheidend für die Öko-Bilanz des Netzes sei daher nicht die unmittelbare Infrastruktur. Sondern die indirekten Folgen, die das Internet verursacht.

„Früher dachte man, durch das Internet werden viele Flugreisen überflüssig, es werde weniger Papier verbraucht, weil alles online ist. Das Gegenteil ist der Fall.“ Radermacher spricht von einem Bumerang-Effekt. „Durch das Internet kommunizieren wir viel mehr, machen mehr, werden allgemein aktiver.“ Das Konsumkarussell des Pakete-Hin-und-Herverschickens, das Online-Versandhändler wie Amazon angestoßen haben, ist dafür das beste Beispiel. Das Internet hat solche Geschäftsmodelle möglich gemacht. Aber es zwingt niemanden, das Paar Schuhe gleich in drei Größen zu bestellen, damit auch ja eines passt. Der Rest kann ja zurückgeschickt werden.

Das Beispiel zeigt: Das Netz ist das, wozu wir es machen. Es ist ein großartiger Ort, um Möglichkeiten zu finden, weniger zu konsumieren. Dank des Internets ist eine neue Kultur des Teilens möglich, egal ob es um Autos oder Werkzeug geht. Wer eine Internetverbindung hat, für den ist Besitzen weniger wichtig als noch vor Jahren. Wer seinen alten Computer nicht wegwerfen, sondern reparieren will, dem stehen in Berlin 14 Repair-Cafés offen. Dort kann man mit Gleichgesinnten alte Technik wieder funktionsfähig machen. Wo genau? Das steht online.

Angela Gruber

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