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Medien: Das Ich entscheidet

Google verliert vorm Bundesgerichtshof: Suchvorschläge können Persönlichkeitsrechte verletzen.

Als Unternehmer S. im Mai 2012 seinen Namen googelte, war er entsetzt, welches Ergebnis ihm in Verbindung mit seinem Namen angezeigt wurde: „Scientology“ und „Betrug“. Dabei hatte der Unternehmer, der im Internet Nahrungsergänzungmittel und Kosmetika vertreibt, nach eigener Aussage weder etwas mit der Sekte zu tun noch war er betrügerisch tätig; auch ein Ermittlungsverfahren ist nicht gegen ihn eingeleitet worden. Wer aber seinen Namen googelte, konnte glauben, dass es eine Verbindung gibt. Das wollte der Mann nicht auf sich sitzen lassen und klagte gegen Google wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. Am Dienstag gab ihm der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe recht – in einem Urteil, das weitreichende Konsequenzen für den US-Suchmaschinenkonzern und seine Nutzer haben könnte. Im Speziellen für Bettina Wulff.

Streitpunkt ist die Google-Funktion Autocomplete, die seit 2009 angeboten wird. Wer einen Namen oder einen Begriff googelt, bekommt von der Suchmaschine automatisch Ergänzungen vorgeschlagen. Gibt man beispielsweise „Wie wird das Wetter“ ein, wird als Ergänzung vorgeschlagen: „zu Ostern 2013“, „im April 2013“, „in Berlin“. „Die bei der Autovervollständigung sichtbaren Suchbegriffe spiegeln die tatsächlichen Suchbegriffe aller Nutzer wider“, sagt Google-Sprecher Kay Oberbeck. Sie seien weder eine Meinungsäußerung noch eine Tatsachenbehauptung.

Nun ist die Frage nach dem Wetter harmlos. Immer wieder aber kommt es zu Kombinationen, die offensichtlich nichts mit den betroffenen Personen gemein haben und nur Gerüchte wiedergeben. Wer beispielsweise den Namen einiger prominenter Fußballer oder Trainer eingibt, bekommt als Ergänzung „schwul“ angezeigt.

Grundsätzlich sei die Autocomplete-Funktion zulässig, urteilte der BGH am Dienstag. Google als Beklagter sei „nicht vorzuwerfen, dass sie eine Suchvorschläge erarbeitende Software entwickelt und verwendet hat“, heißt es in der Mitteilung. Vorzuwerfen sei der US-Firma aber, „dass sie keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen hat, um zu verhindern, dass die von der Software generierten Suchvorschläge Rechte Dritter verletzen“.

Im Fall des Unternehmers S. beinhalteten die zum Namen ergänzten Vorschläge „Scientology" und „Betrug“ „eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts“, da ihnen „ein fassbarer Aussagegehalt innewohnt, dass zwischen dem Kläger und den negativ belegten Begriffen ,Scientology‘ und/oder ,Betrug‘ ein sachlicher Zusammenhang bestehe“, teilte der BGH mit. S. würde hierdurch in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt, wenn diese Aussage – wie er vorgetragen habe – unwahr wäre. Diese Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts von S. sei Google „auch unmittelbar“ zuzurechnen. Der US-Konzern habe mit dem von ihm geschaffenen Computerprogramm „das Nutzerverhalten ausgewertet und den Benutzern der Suchmaschine die entsprechenden Vorschläge unterbreitet“.

Daraus folge allerdings noch nicht, dass Google für jede Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch Suchvorschläge hafte. Der Betreiber einer Suchmaschine sei auch nicht verpflichtet, die durch eine Software generierten Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen. Sondern erst wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlange, sei der Betreiber verantwortlich. „Weist ein Betroffener den Betreiber auf eine rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, ist der Betreiber verpflichtet, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern“, so der BGH, der damit Google in die Pflicht nimmt (AZ: 15 U 199/11). Auf den US-Suchmaschinenriesen könnte künftig viel Arbeit zukommen.

Mit dem Urteil vom Dienstag hob der BGH ein anderslautendes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln aus dem Jahr 2012 auf. Dort muss der Fall nun zum Teil neu verhandelt werden. Geprüft werden muss, ob durch diese Kombinationen wirklich die Rechte des Unternehmers verletzt worden sind.

Google zeigte sich „enttäuscht und überrascht von der Entscheidung des BGH“. Es sei auch „angesichts zahlreicher gegenteiliger Gerichtsurteile nicht nachvollziehbar“, dass Google für die von Nutzern eingegebenen Suchbegriffe haften soll, sagte Google-Sprecher Oberbeck. Er verwies darauf, dass es für Nutzer der Suchmaschine bereits jetzt die Möglichkeit gebe, Inhalte zu melden und diese entfernen zu lassen. Google will die schriftliche Begründung des BGH und die Entscheidung des OLG Köln abwarten und behält sich weitere rechtliche Schritte vor.

Fest steht, dass das BGH-Urteil auch Konsequenzen für die Klage von Bettina Wulff gegen Google haben könnte. Deutschlands frühere First Lady wehrt sich dagegen, dass in Kombination mit ihrem Namen Begriffe wie „Escort“, „Rotlicht“ und „Prostituierte“ angezeigt werden. Wulffs Anwalt Gernot Lehr bezeichnete die Entscheidung des BGH als „erfreulich“. Das Urteil bestätige die Notwendigkeit der Klage Wulffs beim Landgericht Hamburg „gegen die massiven Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die Autocomplete-Funktion von Google“, sagte Lehr. „Die heutige BGH-Entscheidung ist ein gutes Signal zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte auch im Internet.“ Der Prozess von Wulff gegen Google war vorab verschoben worden, um das Urteil des BGH abzuwarten.

Unternehmer S. muss nun abwarten, wie das OLG Köln entscheidet. Wer heute seinen Namen bei Google eingibt, bekommt zumindest nicht mehr die beanstandeten Begriffe „Scientology“ und „Betrug“ als Ergänzung angezeigt. Das, so heißt es bei Google, habe aber nur damit zu tun, dass die Nutzer nicht mehr nach dieser Kombination suchen würden.

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