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Medien: Das Leben ist keine Baustelle

Sie kann alles, was andere auch können, nur besser. Nun spielt Christiane Paul erstmals eine TV-Kommissarin. Eine Begegnung

Eine junge Frau auf dem Beifahrersitz eines schnell fahrenden Autos. Close-up auf die sich ineinander verkrampfenden Hände. Die Geste verrät, wie sehr sich die Frau beherrschen muss, wie sehr sie erschüttert sein mag. Draußen die Deiche, dahinter das Meer. Drinnen im Auto: die Frau, eingefasst, kontrolliert. Dabei hat sie gerade alles verloren, was ihr lieb ist. Eine Szene aus dem Krimi „Die Tote vom Deich“ mit Christiane Paul, die diesen ZDF-Film der Woche zu einem besonderen macht.

Besonders auch in der Karriere der Schauspielerin. Erstmals spielt Christiane Paul eine Kommissarin, eine junge Zielfahnderin des BKA, die an Frieslands Küste einem Mörder auf der Spur ist und bei einem Einsatz ihren Freund und Kollegen verliert. Für die Rolle der Lona Vogt hat sich Christiane Paul die Haare abgeschnitten. Nun sitzt sie morgens um zehn im Berliner Café Einstein und sieht wieder so aus, wie man sie aus den meisten ihrer rund 30 Filme kennt. Die Haare wieder länger, Pagenschnitt, das blasse Gesicht mit den katzenartigen, hellblauen Augen über schwarzem Rollkragenpullover. Freundlich, lächelnd. „Wollen Sie auch ein Wasser?“

Gegenfrage, Frau Paul: Wieso muss die 32-Jährige jetzt auch noch eine TV-Kommissarin spielen? Christiane Paul gießt nach. „Das wollte ich ja nicht unbedingt. Ich wollte mit Matti Geschonneck drehen. Die Geschichte am Meer und die Figur Lona Vogt waren schon vor mir da.“ Genauso wie Bella Block/Hannelore Hoger, Rosa Roth/Iris Berben oder Lena Odenthal/Ulrike Folkerts, all die prominenten TV-Kommissarinnen. Schon erstaunlich, wie überbesetzt das Genre, wie beliebt diese Figuren im Moment sind. Jetzt noch die Paul. Aber die Schauspielerin verspürt keine große Lust, dem in Serie nachzueifern, obwohl das karrieremäßig eine sichere Nummer wäre. „Das ist schon auch das Traurige am deutschen Fernsehen, dass fast nur noch Krimis funktionieren, dass man alle Geschichten in Krimis verpacken muss.“

Wenn die Krimis allerdings so aussehen wie „Die Tote am Deich“, mit einem grandiosen Duell zwischen Christiane Paul und Martin Wuttke als entflohenem Mörder, wenn Landschaft, Plot und Personen so gekonnt verwoben sind, dann ist das nicht ganz so traurig, eher fernsehpreisverdächtig. Und die Paul, als mitteilsamer Kumpeltyp bekannt, bei den wortkargen Küstenbewohnern in Husum – das ist einer der ungewöhnlicheren Casts der jüngeren Fernsehfilmgeschichte. Folgt, na klar, die typische Journalistenfrage nach Schauspielern und ihrer Rollenauswahl, nach Gemeinsamkeiten von Christiane Paul und der jungen Frau mit Berliner Schnauze in „Deutschfieber“, ihrem ersten Film 1991, oder der Radiomoderatorin an der Seite von Götz George in „Ich und Christine“, der Autodiebin in Mark Schlichters „Ex“, der Karrierefrau in „Workaholic“, der geheimnisvollen Musikerin neben Jürgen Vogel in „Das Leben ist eine Baustelle“, der flippigen Schuhverkäuferin „Im Juli“ oder nun der toughen BKA-Frau Lona Vogt im ZDF-Krimi.

Die Schauspielerin schaut von unten herauf, zur Seite, in dieser Mischung aus Schüchternheit und Selbstsicherheit, die einem das Gefühl gibt: Da sitzt kein Star, der den Kult befördert, der um ihn betrieben wird. Da ist nichts Maskenhaft-Gezwungenes, wie öfters bei Film- und Fernsehprominenz. Diese Lona, Christiane Pauls neue Rolle, sei schon sehr speziell, sehr getrieben. „Sie ist härter, kühler, verschlossener, berufsorientierter als ich.“ Das Ideale an ihrer Arbeit sei ja, dass sie sich in der Figur wiederfinden könne, auch wenn sie deren Eigenschaften in dieser Form nicht hat. Und: „Dass die Figuren vielleicht eine Extremvariante von dir darstellen. Alles andere musst du dir erarbeiten.“

Das Stichwort: Arbeit. Ganz so ungetrieben sieht das Leben von Christiane Paul nicht aus. Sie hat viele PR-Termine. Das Handy klingelt im Café. Ihre Mutter. Doch der Schein trügt. Hektik oder Müdigkeit scheint die im Ostberliner Stadtteil Pankow geborene Ärztetochter, die mit Mann und vierjähriger Tochter in Schöneberg wohnt, nicht zu kennen. Kind und Karriere? Kein Problem. „Gute Organisation“, sagt sie, was wohl auch für das Doppelleben als angehende Ärztin und Schauspielerin gilt, das Christiane Paul jahrelang geführt hat.

Ein kurioser Lebenslauf – von wegen eindeutige Berufsorientierung: Einser-Abitur, mit 16 Model im „Miss Vogue“-Wettbewerb, 1991 für den Film entdeckt, Max-Ophüls-Preis, Bayerischer Filmpreis, Rolle um Rolle und daneben ein Medizinstudium, als ob es das Normalste von der Welt wäre. Berufsziel Chirurgin, Examen mit Bravour. Was dann passierte, erscheint immer noch unfassbar: Den lange erträumten Arztberuf hat Christiane Paul vor drei Jahren aufgegeben, weil sie am Ende nirgendwo zu Hause war. Wenn sie davon erzählt, wie neulich in der NDR-Talkshow, scheint das ihre Interviewer mehr zu beschäftigen als sie selbst. Dabei ist die Sache ganz einfach: Ihre größte Leidenschaft ist die Schauspielerei. Weißkittel sieht Christiane Paul nur noch gelegentlich beim Ehemann, einem Chirurgen, und bei ihrer Lieblingsserie, „Dr. House“. 2006 hat sie „bis Anschlag“ gearbeitet, drei Filme gedreht, Hörbücher aufgenommen, jetzt sitzt sie in der Berlinale-Sonderjury von „amnesty international“. Demnächst starten zwei Filme, darunter „Neues vom Wixxer“, eine Kino-Persiflage auf die Edgar-Wallace-Filme. Sie spielt neben Blacky Fuchsberger und schwärmt sehr von der Arbeit, aber an Christiane Paul in einem Film, der den Titel „Wixxer“ trägt, muss man sich ebenso gewöhnen wie an die Berliner Schnauze als coolen Cop.

Oder wie an die Fotostrecke in der „Elle“ 2006: teure Kostüme, Christiane Paul als Vamp im Stil der Louise Brooks. Blätter schrieben: Mehr Sexappeal, weniger Kumpel, vorbei sei die Zeit des Burschikosen. Noch eine Extremvariante, ein Typwechsel gar? Wer will schon immer Kumpel sein. Wieder dieser Augenaufschlag, ein Blick zu anderen Tischen. „Ich lese eh keine Zeitung. Man kann sein Image nicht wechseln. Das Einzige, was man machen kann, ist seine Projekte so auszuwählen, dass man sich möglichst vielseitig darstellen kann.“ Ob das mit dem Kumpeltyp am Ende stimmt, wisse man eh nicht.

Das mag schon sein. Nach 90 Minuten mit Christiane Paul weiß man aber, dass jeder Fragenkatalog Baustelle bleibt, weil es im längeren Gespräch mit der Schauspielerin bald um andere Dinge geht als um TV-Kommissare, Imagefragen und zukünftige Rollen. Ein letztes Glas Wasser. Ob man Tim Flannerys Buch „Wir Wettermacher“ kenne? Nein. Am meisten beschäftige sie zurzeit der Klimawandel, und was sie und ihre Familie im Alltag dagegen tun könnten.

Der Regisseur Fatih Akin hat mal gesagt: „Christiane Paul ist eine Ausnahme.“ Sie sei die Schönste, wegen ihr gucke er sich jeden Film an. Fatih Akin hat etwas vergessen. Christiane Paul ist nicht nur die Schönste.

„Die Tote vom Deich“,

Montag, ZDF, 20 Uhr 15

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