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Medien: Das Literarische Quartett: Der Chef geht

Gescholten viel und nie bewundert, könnte man in Abwandlung eines Dichterwortes das "Literarische Quartett" nennen. Wohl nur der Rücktritt Konrad Adenauers vom Kanzleramt war langwieriger als das Ende dieser Sendung.

Gescholten viel und nie bewundert, könnte man in Abwandlung eines Dichterwortes das "Literarische Quartett" nennen. Wohl nur der Rücktritt Konrad Adenauers vom Kanzleramt war langwieriger als das Ende dieser Sendung. Oft vorhergesagt, noch öfter beschworen, hat nun das ZDF das letzte Zusammentreten des Dreigestirns und eines Kometen für Dezember 2001 angekündigt. Zugleich wird wie beschwichtigend mitgeteilt, dass Marcel Reich-Ranicki damit keineswegs als regelmäßiger Causeur von der Mainzer Mattscheibe verschwinden wird. Hatte die ARD letzthin das ZDF dadurch getoppt, dass der Literaturpapst kontinuierlich im Dialog mit Intendant Peter Voß auftrat, so toppt nun das ZDF die ARD dadurch, dass künftig Marcel Reich-Ranicki im Dialog mit sich selbst auftreten wird. "Ich will sehen", könnte er mit einem Nestroyschen Helden sagen, "wer stärker ist: Ich oder ich."

Es wird trotzdem nicht dasselbe sein. 14 Jahre lang hat Reich-Ranicki gezeigt, wer Chef im Ring ist. Erst mit einem festen Quartett, dann mit einem Terzett plus Gast. Aber da konnte von einem Terzett schon keine Rede mehr sein. Der Chef hatte zwei Gehilfen, Sigrid Löffler und Hellmuth Karasek, die für die Versuchsballons zuständig waren. Der Gast durfte ihnen hinterher schauen und auf die Worte des Herrschers aller Temperamente warten. Wenige nur meldeten sich von selbst zu Wort. Dabei hatte er Ironie bei seinen Gesprächspartnern gern. Doch waren die meisten so stolz darauf, eingeladen zu sein, dass ihnen Ironie nicht in den Sinn kam.

Karasek war der Wasserträger in der Runde. Ein Begriff aus dem Fußball. Der geniale Spielmacher braucht jemanden, der den Bällen nachrennt und sie herbeischleppt. Karasek versteckte das Gediegene seiner Arbeit hinter verspielten Pointen, gezielten Sarkasmen und, gelegentlich, treuherzigen Erläuterungen.

Sigrid Löffler war das politisch-moralische Gewissen der Veranstaltung. Bei ihr ist die Vergangenheitsform schon heute richtig, denn sie ist nach einem Streit mit dem Chef ausgestiegen. Sigrid Löffler achtete darauf, dass dem Inhalt der vorgestellten Romane gebührend Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Nicht, wie die Bücher geschrieben waren, sondern was in ihnen stand, regte sie zur Kritik an. Aber sie ist Österreicherin. Und so hatten es österreichische Autoren gut bei ihr. Über österreichische Autoren fand sie stets zur literarischen Kritik. Unvergessen ist ihr patziger Blick, der unter verschiedenen Frisuren der gleiche blieb.

Ihr nachgefolgt ist Iris Radisch aus Hamburg, die Medea unter den Murmelnden. Sie brachte eine Leidenschaft in die Runde, die jedes Nachtprogramm bis zur Morgenröte am Leben halten könnte. Aber sie ist zu spät gekommen.

Hat die Sendung der Literatur genutzt? Oder den Lesern? Sicherlich hat das "Literarische Quartett" die Zahl der Leser guter Literatur vergrößert. Dass qualitätsvolle Romane nicht nur für Philologen geschrieben werden, musste man vielen Menschen in Deutschland erst noch beibringen. Reich-Ranicki hat viel dazu getan, dass dies geschah. Das "Literarische Quartett" war dabei eines seiner wichtigsten Vehikel.

Der Erfolg, den die Sendung hatte, verdankte sich allerdings nicht ihren ehrgeizigen Zielen, den klangvollen Namen, die dabei hin- und herflogen, dem höhnischen oder erbitterten Gerede, das auf sie zu folgen pflegte. Der Erfolg war dem Entertainer Marcel Reich-Ranicki geschuldet. Er hätte auch über Kartoffelernten in Pommern oder Textildrucktagungen in Pirmasens reden können - die Leute an den Fernsehern wären gebannt gewesen. Wer heute die Börsenberichte der großen Nachrichtensendungen verfolgt, weiß, wo er überall als Vorbild wirkt. Aber wie kläglich wirken die Nachahmer im Vergleich zum Original.

Was ist, was war das "Literarische Quartett"? Eine Streitsendung ohne ideologische, politische, religiöse Gegensätze. Und dennoch eine Streitsendung von höchster Dynamik. Diskussionen, die ihr Publikum in Atem hielten, obwohl es nicht um die letzten Fragen des Gewissens ging. Das war in Deutschland selten. Über Bücher kann man sich streiten, auch wenn es dabei nur um Bücher, um Literatur geht? Wer hätte das gedacht!

Die Folge, der Erfolg des "Literarischen Quartetts" und Reich-Ranickis war ein anderer Respekt vor Büchern, als er vorher geherrscht hatte, ein zivilerer Respekt. Ein Respekt, über den man im Einzelfall streiten konnte, eben. So gewann die Literatur.

Jürgen Busche

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