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Medien: Das Schiff der hundert Stimmen

Kein Kompass könnte den Ort dieses Schiffes lokalisieren. Nicht, wo es in der Geschichte liegt, nicht, wo in der Zeit.

Von Caroline Fetscher

Kein Kompass könnte den Ort dieses Schiffes lokalisieren. Nicht, wo es in der Geschichte liegt, nicht, wo in der Zeit. Irgendwo auf der Achse zwischen dem Mittelalter, dem 19. Jahrhundert, dem 11. September 2001 und der Zukunft Zentralasiens ist der Dampfer vor Anker gegangen, auf dem derzeit 100 Sprachen gesprochen werden.

Eigentlich ist es kein Dampfer - eher ein großer Container aus Glas und Stahl. "Medienschiff" nennen sie ihn hier. Außen verkündet die blaue Schrift auf einer gigantischen Plane "UN-Talks on Afghanistan 2001". Auf dem Oberdeck steht ein Riesenfestzelt, in dem Dutzende Fernsehsender ihre Kameras für die Live-Schaltungen aufgebaut haben - mit Blick aufs Rheinufer, dessen kahle Platanen im Rücken der Sprecher zu sehen sind.

Das Medienschiff in Königswinter, gesponsert wie die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg vom Auswärtigen Amt, ist eine Nachrichtenmaschine. Eine große Zentrifuge, die in alle Welt verteilt, was vom Berg über den Rhein nach unten ans Ufer dringt. Auf dem Schiff erzählt Ahmad Fawzi, Sprecher der UN, jeden Mittag einer nachrichtendurstigen Gruppe Akkreditierter, was es Neues gibt, "soweit ich etwas sagen kann".

Ohne das Medienschiff fände die Konferenz in den Köpfen der meisten Menschen in der Welt nicht statt. "Ein irrer Ort", sagt Janet Barrie von BBC, "die UN, Bonn, all diese Afghanen und wir!" Was Ahmad Fawzi oder die vier afghanischen Delegationen den Medien sagen, übersetzt und verarbeitet Rong Changhai von der Agentur Xinhna für eine Milliarde Chinesen in seine Sprache. Unter Deck und an Deck des Medienschiffes finden sich etwa 50 oben offene Arbeitskabinen für Radio- und Fernsehleute, die am meisten Gehetzten unter den Journalisten. Bildschirme flimmern, an Monitoren wird geschnitten und schnell und langsam abgespielt. Radioleute lesen ihre frischen Texte auf italienisch, koreanisch, spanisch, englisch, paschtu, dari, farsi. "China interessiert sich außerordentlich für die Sicherheit Zentralasiens" sagt Changhai, "Proteste gegen Amerika hat es bei uns bisher kaum gegeben."

Auffallend viele Japaner sind hier, unter den 1200 nach Königswinter gereisten Journalisten. "Die fünf großen Tageszeitungen Japans konkurrieren hart. Wirklich hart." Tsuruhara Tetsuya lächelt angestrengt. Seine Zeitung "Yomiuri Shimbun" hat eine Auflage von zwölf Millionen Exemplaren täglich, der japanische Journalist spricht englisch und französisch fließend, hat sein Büro in Brüssel und war bis April Korrespondent in Paris. Sein Umgang mit dem Kollegen Kinya Fujimoto von der "Sankei Shimbun" ist herzlich und höflich trotz aller Konkurrenz.

Je näher ein Medium geographisch am afghanischen Geschehen ist, desto verwickelter sind dessen Vertreter in der Sache. Jedesmal, wenn sich Afghanen durch das Kameraspalier und vorbei an den überall präsenten Sicherheitsbeamten den Weg zum Pressepodium bahnen, beobachten die Journalisten aus der Region und lesen an den Mienen der Einzelnen den Stand der Verhandlungen ab. "Mohamad Jalil Shams von der Zypern-Gruppe ist mein Onkel", sagt der afghanische Reporter Fawad Shams zu seinen spanischen Nachbarn, "aber so richtig einverstanden bin ich mit seiner Position nicht." Der andere da oben, sagt Shams junior, Delegationsleiter der Zypern-Gruppe Jareer, ist ein Schwiegersohn von Hekmatyar. Hekmatyars Ruf als Politiker im Krieg ist zweifelhaft. Das weiß der afghanische Journalist auch. Für die meisten der Berichterstatter von außerhalb der Region zählen hier allein die Auftritte, die politischen Aussagen und die Bereitschaft, auf heikle Fragen zu antworten. Afghanen, Iraner, Libanesen, Pakistani lesen Texte anders.

Am Freitag präsentierten sich auch Vertreter von "Reporter ohne Grenzen" den Reportern auf dem Geschichtsschiff. "Acht von uns betrauern wir jetzt schon. Seit Beginn des Krieges sind mehr Reporter gestorben als westliche Soldaten", mahnt Robert Ménard, Generalsekretär der Organisation. Ohne Verantwortung, sagt Ménard, schicken viele Redaktionen vor allem freie Mitarbeiter los. Und er greift die USA an für die Bombardierung einer Station des arabischen Fernsehsender Al Dschashira in Kabul. "Wir glauben da nicht an einen Zufall", sagt er. Daran glaubt auch Sender-Mitarbeiter Ahmad Kamel nicht, der sich nach der Pressekonferenz mit seiner Kollegin Afaf Saoudi darüber austauscht.

Für viele aus dem Schiff heißt das nächste Reiseziel Kabul. Wie sie sich dann verhalten sollten dort, wollen sie von "Reporter ohne Grenzen" wissen. Eine klare Antwort geben auch die grenzenlosen Reporter nicht. Sie appellieren an die neue Führung in Kabul, Pressefreiheit und Sicherheit für die Kollegen zu garantieren. Es klingt hilflos. Zwischen den Zeilen sagen sie "fahrt einfach nicht hin". Aber das wird wenige abhalten.

Ohne zu schwanken, steht das surreale Medienschiff vertäut in der starken Rheinströmung. Wie hier werden die Nachrichtensammler auch in Kabul ihre Kameras und Mikrofone aufbauen. Auf dem Festland. Aber vielleicht wird es ihnen eher vorkommen wie die hohe See.

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