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Ferres

© ARD

DDR im TV: So oder so, Geschichte wird gemacht

Die frühere DDR hat Konjunktur im Fernsehfilm. Und mit jeder Produktion stellt sich die Frage nach der richtigen Perspektive neu.

Es geht mal wieder um die DDR. Dies ist die Ankündigung eines kleinen Fernsehwunders heute Abend im ZDF mitsamt einer Betrachtung über die Unwahrscheinlichkeit von Wundern im Fernsehen sowie einer kleinen historischen Lagebestimmung.

Woran erkennt man die Alten? Immer daran, dass ihnen irgendwelche Vorvergangenheiten ziemlich gegenwärtig vorkommen. Peter Sloterdijk hält Denker, die erst 2000 oder 3000 Jahre tot sind, durchaus für seine Zeitgenossen. Und wahrscheinlich kann keiner, der das Ende der DDR miterlebt hat, genau sagen, wann das war: Gestern war das natürlich, irgendwie, andererseits ... andererseits ist das fast zwanzig Jahre her, und es wird höchste Zeit, einmal deutlich festzustellen, dass die DDR längst Geschichte ist und insofern den alten Griechen näher als uns. Gewissermaßen. Und wer von beiden leichter zu begreifen ist, ist noch sehr die Frage.

Von den Unterzwanzigjährigen sollen nur noch ein paar überdurchschnittlich Gebildete wissen, wer Erich Honecker war. Das ist doch sympathisch. Rein kulturgeschichtlich betrachtet, ist es ohnehin wichtiger zu wissen, wer Donald Duck war. Andererseits: Die Konturen des Heute erklären sich aus denen des Gestern, und sollte man diese Konturen allein dem „Leben der Anderen“ überlassen?

Seit Anfang des Monats fällt das öffentlich-rechtliche Fernsehen jenseits der Werkstatt Knopp als neuer deutsch-deutscher Geschichtsbildner auf. Die jüngsten Schrecknisse hießen „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ mit Veronica Ferres und „Sehnsucht nach drüben“ mit Wolfgang Stumph. „Sehnsucht nach drüben“ war gewissermaßen ein letzter Ausläufer der gesamtdeutschen TV-Ostalgie-Welle vor ein paar Jahren, also eher harmlos doof, mit der deutsch-deutsch versöhnenden Aussage: Wir sind doch alle bloß Spießer. Nun ja. Aber die Vorzeichen haben sich geändert. Das Massenmedium Fernsehen schafft nun ein Massen-DDR-Bild nach der Selbstverständlichkeit, sie selbst erlebt zu haben. Welches?

Kurt Maetzig, der große alte Defa-Regisseur („Das Kaninchen bin ich“/1965), bald einhundert Jahre alt, besitzt etwas, das bei Künstlern selten ist: ein vollkommen unsentimentales, nüchternes Verhältnis zu sich selbst und zur DDR. Dieser Maetzig, der keine Scheu hat zu bekennen, dass er sich schämt für seine „Thälmann“-Filme, nannte kürzlich den Defa-Fundus das eigentliche Bildgedächtnis der DDR. Und gut, sagte er, dass es das gibt. Spontaner Beifall im „Deutschen Theater“. Denn jeder wusste, wem Maetzig die DDR nicht überlassen wissen wollte. Filmen wie „Die Frau vom Checkpoint Charlie“. Die sind weniger ein Spiegel der DDR als ein Spiegel der gegenwärtigen Fernsehästhetik. Sie sind ideologische Produkte.

Die Kinder der DDR sind da oft empfindlich. Denn die DDR war vorsätzlich ideologisch, sie war eine ideologische Gesamttatsache. Jenseits ihrer eigenen Selbstlüge wäre sie sofort in sich zusammengefallen. Filme wie „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ aber sind ideologisch, verlogen also, wegen ihrer Anbiederei ans Publikum. Weil sie ihm keine intellektuelle Herausforderung zumuten möchten, die über die Unterscheidung von Schwarz und Weiß, Gut und Böse hinausgeht. Keine Nuance, keinen Gegenton. Es ist legitim, wenn eine Seifenoper sagt: Ich bin eine Seifenoper. Wenn sie sagt: Ich bin ein Geschichtsbild, wird es fatal.

Es liegt am Medium, hat man schon gedacht, es ist zu grob. Zu sentimental und zu grob. Und nun kommen „An die Grenze“ und der schöne Beweis: Es geht doch. Das Fernsehen kann – manchmal – alles. Und das mit dem sperrigsten aller nur denkbaren Sujets, der NVA.

Für alle Unterzwanzigjährigen: Das war die „Nationale Volksarmee“. Wie viel Ideologie steckt schon in diesem Namen. Und zu diesem Namen gehörte ein Reglement, das geradewegs von den Preußen und der Wehrmacht herkam. Die Uniformen sahen ohnehin fast aus wie die alten Wehrmachtsuniformen. Nur Zynismus? Nicht ganz, denn das mit der Volksarmee haben ihre Gründer noch geglaubt. Die Soldaten, erst recht die späteren, fast nie. Und der Westen hat die DDR-Grenzsoldaten über Jahrzehnte als gesichtslose Handlanger der Macht, wenn nicht, je nach Kalter-Kriegs-Lage, als schießwütige Monstren dargestellt. Vielleicht darum war der Produzent Christian Granderath („Nach fünf im Urwald“) so erstaunt, als ihm sein Ost-Drehbuchautor Stefan Kolditz irgendwann erzählte, dass er in den Siebzigern an der deutsch-deutschen Grenze gestanden hatte. Der Produzent: „Seine Eindrücke und Erinnerungen waren völlig anders als das Bild, das ich als Westdeutscher von der Grenze, von den Grenzsoldaten und vom Schießbefehl hatte.“ Schreib das auf!, sagte der Produzent. Das interessiert doch sowieso keinen!, antwortete der Autor. Nach drei Jahren machte er es doch und behielt recht. Kein Sender wollte den Film. Dann kam das ZDF.

Es ist eine einfache Geschichte. Junger Mann kommt an die innerdeutsche Grenze. Er hat noch alle Geradlinigkeit, Naivität, allen Gerechtigkeitssinn und alle Erwartung, die besitzt, wer jung ist und nicht zu früh gebrochen wurde. So vieles also, was man in einer Armee nicht gut gebrauchen kann, und bei den DDRGrenztruppen schon gar nicht. Der Grenzsoldat Ulrich Mühe bekam einst Magengeschwüre mit dem Gewehr in der Hand an der innerdeutschen Grenze. Dem jungen Alexander (mit großer Intensität: Jakob Matschenz) geht es nicht viel besser. Auch, weil er einen DDR-prominenten Vorzeigechemiker als Vater hat. Erstes Diensthalbjahr und Quasi-Bonzenkind – das wird schwer. Was Drehbuchautor Stefan Kolditz von Alexander unterscheidet, ist, dass er schon keine Illusionen mehr über die DDR hatte, als er an die Grenze kam. Wie die meisten. Alexander aber, das Privilegien-Kind, will die DDR noch beim Wort nehmen. Das heißt zuerst: „Keine Privilegien für niemanden, nicht mal für mich. Ich gehe an die Grenze!“

Ein Schweizer Regisseur, ein Produzent aus Westfalen, junge gute Schauspieler, die die DDR höchstens noch aus der Sandkastenperspektive kennen, und ein paar der besten alten Ostschauspieler wie Jutta Hoffmann – alles stimmt. Also zuerst die Atmosphäre. Lauter Parallelgesellschaften: die Grenzgebietbewohner, die die Grenzsoldaten verachten. Die „EKs“ (Entlassungskandidaten), die die Neuen, die „Spruze“, quälen. Der Witz, die Hellsichtkeit, die Illusionslosigkeit einer Jugend und deren Grausamkeit. Vor allem die Illusionslosigkeit der späten DDR. Die Gebrochenheit der Offiziere, von denen manche schon ahnen, wer am verächtlichsten ist: sie selber. Einer von ihnen, Hauptmann Dobbs (Jürgen Heinrich) erfährt, dass seine Frau (Corinna Harfouch) ihn mit dem Hauptfeldwebel betrügt. Dobbs erschießt sich in der Kaserne. Und allgegenwärtig in einer weiteren Hauptrolle: die unberührte freie Natur des Grenzstreifens, die Gegenwelt zu einer nur allzu versehrten Kasernenwelt. Lässt sich der aufrechte Gang nur lernen, wo ihn nichts hindert? Oder richtet man sich nicht erst gegen Widerstände auf?

Leander Haußmann ist vor zwei Jahren mit „NVA“ gescheitert. Nicht weil er eine Komödie und „Verharmlosung“ wollte. Im Gegenteil, gerade Haußmanns Verachtung der DDR ließ keine andere Form zu. Darin lagen Haußmanns Souveränität und Humanität zugleich. Doch war die Komödie ein Korsett. Der Schweizer Urs Egger wirft es einfach ab. Als ob es nichts Einfacheres gäbe, als einen Armeefilm zu drehen, und dann noch über die DDR.

„An die Grenze“, 20 Uhr 15, ZDF

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