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Debatte: Sound and vision

Wo im Grundgesetz steht eigentlich das Recht auf Kunst im Radio niedergeschrieben? Das Festival „Radio Zukunft“ in der Berliner Akademie der Künste.

In einem Prosatext hat Botho Strauß ein Paar erfunden, das völlig zurückgezogen in der gemeinsamen Wohnung lebt. Man geht nicht hinaus in den Lärm der Welt, Besucher werden nicht vorgelassen. Doch drinnen in der Klause führen die beiden unaufhörlich intellektuelle Debatten, sie lernen zusammen, machen Erfahrungen, erweitern ihre Horizonte. Auch Kunstgenuss kommt in der Abgeschiedenheit niemals zu kurz. Das Paar, so die Lösung des Rätsels, hört gemeinsam Radio. Natürlich das opulente Angebot der öffentlich-rechtlichen Kulturwellen, Hörspiele und Features, Konzertübertragungen und Musikdiskurse, philosophische Essays und ausgreifende Berichte aus der Welt der Wissenschaft. Hat Botho Strauß eine Szene von weltfremder Kauzigkeit entworfen oder doch nur auf Wirkungen hingewiesen, die das Kulturradio für jeden engagierten Hörer haben kann?

In der Berliner Akademie der Künste treffen sich seit Donnerstag Produzenten und Programmverantwortliche deutschsprachiger und europäischer Kulturwellen, um über Gegenwart und mögliche Zukünfte ihrer Sender zu reden. Beunruhigender Hintergrund sind die jüngsten Revolutionen der Medientechnologie, die wachsende Macht des Internets und sozialer Netzwerke, all die neuen Formen digitaler Verfügbarkeit, die den Alltagsbetrieb der Sender unter Druck setzen. Vor allem soll es um die Zukunft der Kunst im Radio gehen, um das Über- und Weiterleben des Hörspiels und all jener Kompositionen aus Klängen, Geräuschen, die wahlweise Soundart, Audioart, Klangkunst, Radiokunst genannt werden.

Das vom Berliner Autor und Hörspielregisseur Oliver Sturm kuratierte Festival besinnt sich zu Anfang auf die politischen Fundamente der eigenen Arbeit. Juristische Vorträge über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Antwort auf den Medienterror der Nationalsozialisten, über die präzisen Hintergründe des schönen Begriffs Kulturauftrag, wo genau im Grundgesetz eigentlich das Recht auf und die Pflicht zur Kunst im Radio niedergeschrieben sind.

Im Sendealltag haben die Kunstproduzenten eher gegen graue Eminenzen zu kämpfen, die mit den Buchstaben des Grundgesetzes nicht zu fassen sind. Die Allgegenwart sogenannter „Radioberater“ in den Direktionsetagen, sagte Medientheoretiker Wolfgang Hagen, habe zu einer Selbstähnlichkeit deutscher Kulturwellen geführt. Unaufdringlich und konsonant müsse das moderne Kulturradio klingen, man betreibe Mood-Management, sorge sich wenig um den Geist, mehr aber um die gute Laune des Publikums. Wie sich die Launen der Angestellten einer Institution entwickeln, wenn diese zur Abwicklung ansteht, erläuterte der Psychoanalytiker Adrian Gaertner in einem tragikomischen Vortrag.

Zum Programm des Festivals gehören Werkstattberichte, Performances und Live-Hörspiele. Prominenter Gast des Eröffnungstages war Regisseur Robert Wilson, der unter dem Titel „My Vision of Radio“ sein Publikum zunächst mit einem dreiminütigen Schweigen vorm Mikrofon überraschte und anschließend eindringlich gegen Routinen des Hörens plädierte, die nur eine spezielle Form der Taubheit sind.

www.adk.de. Das Festival läuft noch bis zum Sonntag

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