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Medien: Dein Freund und Folterer

Jack Bauer hat keine Skrupel. Diskussion in den USA um die neue „24“-Staffel

Verhörspezialist Bauer rammt dem Gefangenen das Messer bis zum Anschlag in die Schulter. Als der immer noch nicht redet, übernimmt sein Kollege und fängt an, das Bein des Opfers langsam aufzuschlitzen, bis es doch den Aufenthaltsort seines Anführers preisgibt. Jack Bauer und seine Truppe von der fiktiven Anti-Terror-Einheit in Los Angels sind keine Kinder von Traurigkeit, wenn es darum geht, aus bösen Buben Informationen herauszupressen. Folter gehörte von Anfang an in der Thrillerserie „24“ zu den Mitteln der Wahl, aber in der in den USA gerade angelaufenen sechsten Staffel treiben die Macher die Sache auf die Spitze. Nun geht es nicht mehr um die tickende Bombe, deren Explosion Agent Bauer (Kiefer Sutherland) verhindern muss, jetzt reißen Selbstmordattentäter die Menschen in den USA in U-Bahnzügen, Bussen und öffentlichen Plätzen in den Tod. Es kann nur darum gehen, noch Schlimmeres zu verhindern – mit allen Mitteln.

Je nach Perspektive sei „24“ entweder eine „neokonservative Sex-Fantasie“ oder „die kollektive Identität unserer Nation außer Rand und Band“, beurteilt der Kritiker des Nachrichtenmagazins „Newsweek“ die neue Staffel. Das „Time“-Magazin nennt die vom konservativen Sender Fox produzierte und ausgestrahlte Echtzeitserie schlicht das „offizielle Kulturprodukt des Kampfes gegen den Terrorismus“.

Macher Joel Surnow sieht sich selbst als einen der wenigen gestandenen Konservativen in Hollywood und ist davon überzeugt, dass „Amerika will, dass jemand wie Jack Bauer diesen Kampf führt“. Im Weißen Haus klatschen sie Beifall, der Quotenrenner gehört nach eigenem Bekunden zu den Favoriten von Vize-Präsident Dick Cheney und dem Chef des Ministeriums für Heimatverteidigung, Michael Chertoff. John McCain, republikanischer Senator, Präsidentschaftskandidat und eigentlich ein Foltergegner, ließ sich zu einem Kurzauftritt überreden.

Doch genauso, wie im wirklichen Leben die Nation langsam aus ihrem Kriegstaumel erwacht und anfängt daran zu zweifeln, dass ihre Regierung den Kampf gegen die Richtigen mit den adäquaten Mitteln führt, beginnt sie auch im Fernsehen genauer hinzusehen. Stand „24“ zunächst in der Kritik, weil es die Bedrohung einseitig als von islamischen Radikalen ausgehend beschrieb, ist nun die ausufernde Folter Gegenstand der Debatte. Der Parents Television Council, eine unabhängige Gruppe, die über den jugendgefährdenden Inhalt im amerikanischen Fernsehen wacht, verzeichnete 102 Folterszenen zwischen 1996 und 2001. Von 2002 bis 2005 schnellte die Zahl auf 624 hoch, „24“ war dabei mit 67 Szenen in den ersten fünf Staffeln der Hauptsünder. Ebenso bemerkenswert wie die Masse der Szenen ist jedoch die neue Konstellation in der Nach-9/11-Welt: „Einst waren es praktisch ausnahmslos die Bösen, die im Fernsehen gefoltert haben“, sagt David Danzig von der Menschenrechtsgruppe Human Rights First in Washington, „heutzutage tun es meistens die Helden.“

Mit fatalen Folgen, befürchten mittlerweile sogar die US-Militärs. Fiktive Charaktere wie Jack Bauer dienten den US-Soldaten im Irak als zweifelhafte Vorbilder, warnen sie, und bestanden auf einem Treffen mit den Produzenten. Der Heeres-Kommander a. D. Stu Herrington, der unter anderem die Verhältnisse auf der US-Militärbasis Guantanamo untersuchte, sagte danach: „Wenn Jack Bauer für mich arbeiten würde, stände ihm eine Anklage ins Haus. Ich finde es sehr beunruhigend, dass die guten Jungs illegale, unmoralische und dumme Dinge tun und sogar damit Erfolg haben.“ General Patrick Finnegan klagte jüngst im „New Yorker“: „Die jungen Soldaten fragen uns: Wenn Folter falsch ist, was ist dann mit ,24’ los? Es stört mich sehr, dass für Jack Bauer, obwohl er manchmal Zweifel hat, Folter stets die patriotisch richtige Sache ist.“

Produzent Howard Gordan kündigte vor wenigen Tagen an, in den restlichen Folgen der sechsten „24“-Staffel, die derzeit gedreht werden, solle Folter eine geringere Rolle spielen. Als Reaktion auf die öffentliche Kritik will er das allerdings nicht verstanden wissen: „Unser Appetit darauf ist einfach zurückgegangen. Außerdem sagt meine Frau: Es ist zu viel.“

„24“, die letzten Folgen von Staffel V, ab 21 Uhr 10 bei RTL 2

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