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Medien: Der authentischste TV-Bulle

England-Krimi: Die neue ZDF-Reihe „Der Preis des Verbrechens“ schildert akribisch Polizei-Arbeit

In East London verschwindet die fünfjährige Julie. Sie spielt allein auf einem tristen Spielplatz inmitten einer tristen Hochhauslandschaft. Eine alte Frau sieht von ihrem Balkon aus, wie ein Erwachsener ihr die Hand reicht. Julie scheint ihn zu kennen und geht mit. Als ihre Eltern sie vermissen, beginnt eine pannenreiche Suche. Die Polizei übersieht wichtige Spuren, und so dauert es bis zum nächsten Tag, bis die kleine Julie gefunden wird – missbraucht und tot.

Am Ende des traurigen ersten Falls in der neuen, kleinen ZDF-Reihe „Der Preis des Verbrechens“ wird es viele Indizien und eine Anklage wegen Mordes geben, aber auch Irrtümer, widersprüchliche Details und – kein Geständnis. Die Geschworenen geben zwar ein einstimmiges Urteil ab, doch bis dahin hat Autorin Lynda La Plante so viele Zweifel sowohl an der Schuld als auch der Unschuld des Angeklagten gesät, dass das Fernsehpublikum noch eine Weile über den Fall grübeln dürfte. „Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Krimi anzuschauen, bei dem man von der ersten Szene an weiß, wer der Mörder ist“, sagt La Plante. Hier wäre man allerdings froh, wenn man es wenigstens nach der letzten Szene wüsste.

Aber Lynda La Plante möchte der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommen, und dort sind die glatten und keinen Zweifel zulassenden Konstruktionen herkömmlicher TV-Krimis auch nicht unbedingt die Regel. In Großbritannien läuft die Reihe seit 1996 unter dem nüchterneren Titel „Trial and Retribution“, also „Gerichtsverhandlung und Vergeltung“. Das ZDF hat erst einmal die Rechte an zwei Fällen erworben.

Akribisch will die 58-jährige englische Erfolgsautorin La Plante, die beim ZDF bisher mit den Reihen „Heißer Verdacht“ und jüngst mit „Commander – Eine Frau an der Macht“ vertreten war, vor allem die polizeiliche Ermittlungsarbeit und die juristische Aufarbeitung schildern. Zweimal 100 Minuten benötigt sie dafür und verzichtet dabei auf jegliche Handlungsstränge (etwa über das Privatleben der Polizisten und Anwälte), die nicht für den Fall eine direkte Rolle spielen. Etwas übertrieben oft arbeitet Regisseur Aisling Walsh mit der „split screen“-Technik, zeigt also gleichzeitig mehrere Kameraperspektiven auf einem geteilten Bildschirm.

Der Glaubwürdigkeit des Stoffs schadet diese Spielerei aber offenbar nicht. Hauptdarsteller David Hayman wurde in der Rolle als Chief Inspector Mike Walker in England zum „authentischsten Polizeibeamten im Fernsehen“ gewählt. Wenn das zutrifft, sind Polizisten auf der Insel wortkarg, kühl, nicht besonders humorvoll, aber auch nur selten aufbrausend und besonders hartnäckig und klug. Authentisch wirkt außerdem die Milieuschilderung des „sozialen Brennpunkts“ East London: Julies Familie hat schon Sorgen genug, nun überfordert der Verlust der Tochter alle, Eltern wie Geschwister. Und bei dem impulsiven Stiefvater entlädt sich die Verzweiflung häufig in Gewalt. Der Hauptverdächtige, ein allein stehender Außenseiter in der Siedlung, wandelt sich dagegen in der Untersuchungshaft von einem stets betrunkenen Ekelpaket in einen Unschuldsengel. „Im ersten Teil sieht man, wie er sich als Tier verhält, und im zweiten, wie das Kind hervorkommt“, sagt Lynda La Plante. Am Ende werden sich das Publikum wie die Geschworenen fragen, welchem Rollenspiel sie mehr Glauben schenken wollen.

„Der Preis des Verbrechens“, ZDF,

23 Uhr

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