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Der Berlinale-Talker: Der Kino-König

Filmfans gehen mit ihm zu Bett: Radiokritiker Knut Elstermann macht den Nighttalk auf der Berlinale.

Für viele Radiohörer gehört es zum Frühstücksritual. Wenn am Donnerstagmorgen gegen halb neun die Kaffeetasse bald leer getrunken ist, wartet man schon auf ihn. Auf Radio Eins im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) vergibt Knut Elstermann jede Woche Filmrollen für drei Kinoneustarts. Von null bis fünf, von Verriss bis Klasse. Auf sein Urteil ist Verlass. Dank seiner Empfehlungen gehen Leute ins Kino, in Filme, die sie sich sonst vielleicht nie angeschaut hätten. Sie werden nicht enttäuscht. Elstermanns Radiokollegen haben ihn "Kino King Knut" getauft. Anfangs war ihm diese Auszeichnung peinlich, inzwischen hat er sich daran gewöhnt. Selbst die Leiterin eines israelischen Filmfestivals hat ihn so begrüßt: "Hi, you are the Kino King!" Knut Elstermann ist wohl der beliebteste Kinokritiker beim RBB. Ab Donnerstag moderiert er auf der Berlinale zehn Tage live den "Radio-Eins-Berlinale-Nighttalk" aus der Maxx Bar am Potsdamer Platz. "Das ist für mich der Höhepunkt des Jahres. Ein Filmfest für die ganze Stadt."

Im Moment wirkt das abendliche Berlin noch so entspannt wie der Moderator selbst. Vor den Fenstern des spanischen Restaurants in Mitte zeichnet sich wenig Leben ab. Knut Elstermann bestellt sich einen Wein, rot und samtig, dazu gebackene Sardellen, für die er sich so begeistert, als hätte er sie selbst geangelt. Vor ein paar Minuten hat er die Kopfhörer abgelegt und damit auch seine Mikrofonstimme, die eine Tonlage tiefer daherkommt als im Original. Er trägt eine schwarze Hose, dunklen Pullover, Brille. Sein Gesicht ist blass. Es ist das Gesicht eines Kinokritikers, der ein Viertel seiner Zeit im Kinosaal verbringt. Wer so oft schweigen muss, spricht wohl besonders gern. Knut Elstermann, 48, hat allemal etwas zu sagen. Manchmal fallen die Worte in einer Geschwindigkeit, als finde zwischen ihnen ein Wettrennen statt. "Ich bin kein Freund der Stille, die ist mir irgendwie unheimlich." Vielleicht habe er diese Eigenschaft von seiner Großmutter geerbt. Sie habe die Ruhe gehasst. War man bei ihr zu Besuch, erinnert er sich, wurde viel gesprochen. Hatte man nichts mehr mitzuteilen, ging man. Er sagt: "Ich habe nie verstanden, wenn jemand meint: ,Man muss mit einem guten Freund auch schweigen können.' Schweigen kann ich doch alleine."

Wo kann man heute noch 120 Minuten nur übers Kino reden?

Geboren wurde Knut Elstermann 1960 in Ost-Berlin. Gäbe es einen Film über seine Kindheit, würde er einen kleinen Jungen mit dunklem Haar aus dem Prenzlauer Berg zeigen, der am Nachmittag auf der Straße mit Murmeln spielt. Autos gibt es kaum, um ihn herum bilden Kolonialwarenläden, Kohlenmänner und Wohnhäuser mit Einschusslöchern die Kulisse. In den Hinterhöfen betteln einarmige Scheren- und Messerschleifer um Geld, aus der Eckkneipe dringt der Dampf von gebratenem Schnitzel.

Die Wohnung, in der Knut Elstermann lebte, ist nur einen Katzensprung vom Filmtheater am Friedrichshain entfernt. Dort war der kleine Knut oft zu Gast. Für 25 Pfennig kaufte er eine Eintrittskarte, ging nach dem Film über die Eisdiele hinaus und vorne wieder herein. Er schaute zwei Filme hintereinander, mitunter sah er einen Film drei bis vier Mal. "Ich glaube schon, dass meine Liebe zum Kino damit zu tun hat, dass wir in der DDR relativ wenig Filme relativ häufig gesehen haben. Dadurch konnte man sehr genau beobachten." Ihm fiel auf, dass der Junge in dem Märchenfilm "Der kleine Muck" in einer Szene von einem Mann gespielt wurde. Er nahm Strippen wahr, mit denen man dort fliegende Sachen bewegte.

Eine berühmte Radiosendung in der DDR hieß "7-10: Sonntagmorgen in Spree-Athen". Manchmal ging sie als "Dampfradio" auf Tour und berichtete aus dem Tierpark. Knut Elstermann war als zwölfjähriger Zuschauer dabei. Er erlebte, dass Moderieren ein Beruf ist, in dem er das tun konnte, was er am liebsten machte: unterhalten. Sein erster Radiobeitrag erzählte von einer Aufpasserin in der Alten Nationalgalerie. Kurz nach der Ausstrahlung saß er in der Straßenbahn und dachte: "Die Leute hier haben dich jetzt alle irgendwie gehört." Natürlich weiß er, dass das gar nicht stimmte. Aber damals habe er so etwas wie Stolz gefühlt, sagt er. Mittlerweile ist er fast 30 Jahre im Beruf. Er hat Journalistik studiert, für den Jugendsender DT 64 und für Radio Brandenburg gearbeitet. Seit 1997 ist er bei Radio Eins. Dort moderiert er sonnabends die Sendung "Zwölf Uhr mittags", ein Kinomagazin mit Interviews, Kritiken und Filmmusik. Er sagt: "120 Minuten lang im Radio nur über Kino zu reden ist totaler Luxus. Wo kann man das heute noch?"

Wenn er langsam spricht, macht er Fehler

Jede Woche sieht Elstermann zehn bis zwölf Filme, etwa 300 im Jahr. Vor jedem Film habe er den gleichen Respekt. Er setzt seine Erwartung auf null. So kann er sich immer neu begeistern. Diese Hingabe ist das Gegenteil von Überheblichkeit. Seine Hörer spüren das, wenn er über einen Film spricht und ihn bewertet. "Kino ist wie ein großes Haus mit vielen verschiedenen Wohnungen." Schauspieler und Regisseure sind gern zu Gast in seiner Sendung. Mit allen ist er von Anfang an auf Du und Du. Er sagt: "Ich bin so ein Duztyp." Vermutlich liegt darin der Beginn eines guten Gesprächs. Knut Elstermann erzeugt eine Nähe, die nie unangenehm ist, weil sie aus Interesse entsteht. Und aus dem Bedürfnis, die gewöhnliche Interviewsituation aus Frage und Antwort zu unterwandern. Als er Woody Allen in London treffen sollte, kramte er vor dem Flug aus seinem Schrank eine beigefarbene Hose aus dickem Cord hervor. Seine Frau riet ihm davon ab. Sie würde zu sehr "auftragen", meinte sie. Aber er behielt sie an. Es traf ein, was er sich insgeheim erhofft hatte: Woody Allen saß ihm gegenüber, in genau der gleichen Hose.

Knut Elstermann weiß, dass er manchmal zu schnell redet, aber wenn er langsam spricht, sagt er, mache er Fehler. Er weiß auch, dass nicht jedes Gespräch, das er führt, ein Erfolg wird. Es kommt vor, dass Studiogäste nur mit Ja oder Nein antworten und er sich dann mit Worten überschlägt. Er ärgert sich über so etwas. Cool ist er nicht. Aber er kann darüber lachen, dass er in einem englischsprachigen Interview einmal "she is a working girl", was in dem Fall so viel wie "Hure" bedeutete, mit "Mädchen aus der Arbeiterklasse" übersetzt hat. "Das Gute am Radio ist, dass man sich mal verquatschen kann. Im Fernsehen ist so etwas peinlich. Dann sitzt du da, super geschminkt, in einem schicken Anzug. Jede Panne wird zur Katastrophe."

Auf der Berlinale wird Knut Elstermann jeden Abend ganz öffentlich sein. In der Maxx-Bar unterhält er sich mit Regisseuren, Schauspielern oder Drehbuchautoren. Ein unbekannter koreanischer Regisseur ist genauso gern gesehen wie David Kross aus der Hollywood-Produktion "Der Vorleser". Für die "Spielwiese", wie Elstermann die Maxx-Bar nennt, hat Radio Eins zehn prominente Gastkritiker angefragt. Schauspieler Florian Lukas ist einer davon. Für viele Filmleute ist der Berlinale-Talk bereits so etwas wie ein Fixpunkt geworden. Ein Ort, an dem man nach den Vorführungen vorbeikommt, Licht brennen sieht und denkt: Da arbeitet noch einer für uns. Knut Elstermann sagt: "Das ist doch eine absolut schöne Vorstellung, dass die Menschen mit mir zu Bett gehen."

Radio Eins, Berlinale-Nighttalk, 5.-15. Februar, 22-24 Uhr, Maxx Bar im Cinemaxx am Potsdamer Platz

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