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Medien: Der Fernsehversteher

Im Zweifel für das ZDF: Dieter Stolte feiert 70. Geburtstag / Von Ernst Elitz

Die Medienforscher teilen das Publikum in absonderliche Ethnien auf, damit Werbung und Werbeumfeld (früher nannte man das Programm) zielgruppengerecht produziert werden können. Sie kennen moderne Performer und Postmaterielle, Experimentalisten, Hedonisten und junge Wilde. Wozu gehört Dieter Stolte? Als er 1962 zum Fernsehen stieß – als Referent des ersten ZDFIntendanten Karl Holzamer –, war Fernsehen Kultur- und noch nicht Wirtschaftsgut. Aber auch der öffentlich-rechtliche Stolte war gegen Kommerz-Versuchungen nicht immer immun. In den letzten Jahren glich manche „Wetten, dass…?"–Sendung einem Supermarkt aus Gummibärchen, T-Mobile-Handys und Golf-Reklame.

Studiert hatte er Philosophie, zergrübelte sich den Kopf über „Hegels Phänomenologie des Geistes“ und wählte ein Doktorthema, das wie ein Motto für sein künftiges Wirken klang: „Die Arbeit des Menschen als Wirklichkeitsgestaltung und Selbstfindung“. Sein Geld verdiente sich Stolte erst mal als Werkstudent im Sägewerk, bis er sich auf Rezensionen geisteswissenschaftlicher Werke verlegte. Seitdem hat ihn die Liebe zum gelehrten Zitat und zur rhetorischen Girlande nicht mehr verlassen. Aber so wie der Feingeist es in der profanen Kunst des Geldbeschaffens zum Meister brachte, so setzte er im Programm immer wieder Zeichen seines eigenen Bildungsstrebens. Er schuf mit Schweizern und Österreichern den Kulturkanal 3sat, eröffnete das „Literarische“ und später das „Philosophische Quartett“, brachte Lyriknächte ins Fernsehen und investierte in einen Theaterkanal.

1934 geboren, gehört Stolte zur „Generation Volksempfänger“. Und da Hitler-Reden sich in seinem katholischen Elternhaus keiner besonderen Beliebtheit erfreuten, imponierte dem Knaben vor allem das Wunschkonzert fürs Winterhilfswerk, bei dessen Potpourris von der „Lustigen Witwe“ bis zu den „Weinenden Geigen“ jedem Musikfreund das Herz aufging. Es mag in diesem frühen Kindheitsvergnügen begründet sein, dass sich der Philosoph vom Lerchenberg dem Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer nie mit intellektueller Herablassung näherte. Er gönnte ihnen das Spaßvergnügen. Als er 1982 sein Intendanten-Amt antrat, quasselte sich Dieter Thomas Heck noch durch die „ZDF-Hitparade“, die Spider Murphy Gang sang „Pfüati Gott, Elisabeth“, und Caterina Valente sprach es endlich einmal offen aus: „Männer brauchen Liebe“. Stolte war Lotsenkönig auf dem Unterhaltungsdampfer.

Aber das war nur eine seiner Rollen in jenem Zwischenreich aus Ökonomie und Imagination, in dem alle Intendanten kreisen. Aber keiner seiner Kollegen hatte die Chance und die Energie, in vierzig Jahren strategischer Arbeit aus einem für seine Einfalt belächelten und wegen des Politikereinflusses geschmähten Sender eine Fernsehmarke zu machen, die der ARD mit ihrem Medienverbund von sieben Dritten Programmen und an die 60 Radiokanälen Paroli bietet. Stolte hatte Erfolg. Das ZDF holte auf. Im August 2004 lag das Erste mit einem Marktanteil von 16,1 Prozent lediglich um 0,1 Prozent vor den Mainzern. Ein Prozent mehr für seinen Sender wäre das schönste Geburtstagsgeschenk für Stolte gewesen.

Wenn das ZDF mit seinem Chefredakteur Nikolaus Brender inzwischen einen 60-prozentigen Informationsanteil am Gesamtprogramm meldet und Hans Janke seit Jahren Maßstäbe im Fernsehspiel setzt, ist das nicht nur ein Ausweis von Stoltes unangefochtenem Qualitätssinn, sondern auch für seine Form der „Wirklichkeitsgestaltung“. Gegen das Proporzdenken förderte er unabhängige Profis und band sie ans ZDF.

Nicht alles gelang. Stolte wollte nach der Wiedervereinigung mit dem Deutschlandsender Kultur, dem Rias und dem Deutschlandfunk sein ZDF-Angebot mit Radioprogrammen erweitern. Die ARD wusste das zu verhindern. Und nach seinem Ausscheiden aus dem ZDF vor zweieinhalb Jahren war es Stoltes Herzenswunsch, als Präsident an die Spitze des Goethe-Institutes zu treten, um mit seinem in Jahrzehnten geknüpften Netzwerk aus Medien, Wirtschaft, Politik und Kultur dem unter finanzieller Auszehrung leidenden Kulturunternehmen ein paar Kräftigungsschübe zu verpassen. Aber er wurde Opfer genau jenes Parteienproporzes, der ihn schon beim ZDF häufig genug gelähmt hatte. Der Präsidentenjob beim Goethe-Institut, meinte der grüne Außenminister Joschka Fischer, wäre kein Posten für einen Schwarzen.

Was also ist Dieter Stolte? Ein Schwarzer? Nicht mehr? Solche Farbschattierungen haben die Medienforscher nicht auf der Palette. Nach ihrer Typologie ist Stolte eine Mischung aus Konservativem („humanistisch geprägte Pflichtauffassung“), bürgerlicher Mitte („Streben nach gesicherten harmonischen Verhältnissen“) und Etabliertem, geprägt von „Erfolgs-Ethik und Machbarkeitsdenken“. Mit 67 hat Stolte das Medium gewechselt und wurde Herausgeber von „Welt“ und „Berliner Morgenpost“. Altersweise sagt er heute: „Das Wort ist wichtiger als das Bild. Der Bilderwahn hat uns mehr von der Wirklichkeit weggeführt, als wir ahnen.“ Dennoch steht für den 2. Oktober ein unumstößlicher Termin aus der Welt des Wahns in seinem Kalender: die 150. „Wetten, dass...“-Sendung.

Übrigens, die Wette, die mir persönlich am besten gefallen hat, war, als der Hund Rico kläffend 77 unterschiedliche Spielzeuge erkannte. Braver Bello! Danke für diese schöne Sendung, Dieter Stolte!

Der Autor ist Intendant des DeutschlandRadios.

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