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Medien: Der Gott der Gottlosen

Von Barbara Nolte Blass ist er nicht, hat auch keine Spur von Augenringen. Nur seine dritte Espresso-Bestellung – „einen doppelten, bitte, etwas geschäumte Milch drauf, nur ein wenig, danke“ – deutet darauf hin, dass er Stress hatte in der letzten Zeit.

Von Barbara Nolte

Blass ist er nicht, hat auch keine Spur von Augenringen. Nur seine dritte Espresso-Bestellung – „einen doppelten, bitte, etwas geschäumte Milch drauf, nur ein wenig, danke“ – deutet darauf hin, dass er Stress hatte in der letzten Zeit. In den letzten drei Monaten hat er nicht mehr und nicht weniger als die Schweiz neu erfunden.

Der Brand im Gotthardtunnel. Der Amoklauf in Zug. Die Pleite der Swissair. Die Schweiz hat ein tiefschwarzes Jahr hinter sich. In schweren Krisen, weiß man aus der Psychologie, holt man sich Hilfe von außen. Die Schweizer haben einen Kanadier geholt. Sie haben ihn engagiert, damit er sich für die Nachfolger-Fluglinie der Swissair das komplette Design ausdenkt: von den Sitzen bis zur Werbung. Ein 33-Jähriger Nicht-Schweizer, soll also das neue Bild der Schweiz entwerfen. Klingt ziemlich verzweifelt. Zumal der junge Designer auch noch Journalist ist. Es handelt sich um Tyler Brûlé.

Den n mag nicht jeder kennen. Doch er hat Gewicht. Und jeden Monat – mit jeder neuen Ausgabe des Lifestyle-Magazins „Wallpaper“– mehrt sich dieses Gewicht um mindestens zwei Kilo. Dick wie das Telefonbuch von Kassel liegt das Mai-Heft in der „Schumann’s“ in München auf einem Tisch.

Brûlé hat das Heft gegründet, vor sechs Jahren. Und er hat damit seinen Geschmack zum Weltgeschmack gemacht. In der Typografie hat er mit dem Buchstaben-Durcheinander der Trend-Magazine aus den 80ern aufgeräumt. In der Architektur hat er die 50er-Jahre-Moderne rehabilitiert. Es gibt sogar ein Wort für den Stil des Heftes: „wallpapery“, was mit stylisch oder cool zu übersetzen wäre. Im Buch „Tristesse Royale“, das ja selbst so etwas sein will wie ein Manifest für Stil- und Haltungsfragen, schreibt der Autor Joachim Bessing: „Tyler Brûlé ist doch der schlaueste Mensch unserer Generation.“ Wenn Brûlé also heute ins „Schumann’s“ einlädt, geht es vielen nur vordergründig um das Thema, das auf der Einladung steht: Deutschland. Er hat sich nämlich mit Deutschland beschäftigt, nachdem er mit der Schweiz fertig war. Neu erfunden hat er die Bundesrepublik nicht. Er hat sie nur abzubilden versucht, in einer „Wallpaper"- Schwerpunkt-Ausgabe. Viele Journalisten sind in erster Linie gekommen, um sich diesen Ersatz-Gott der Gottlosen einmal anzusehen. Was ist an ihm dran?

Zehn Uhr. Tyler Brûlé steht am Eingang. Er hat ein schönes, kantiges Gesicht, nicht zu blass, nicht zu braun. Die Haare sind kurz. Er ist der lebende Beweis, dass es möglich ist, viel zu arbeiten und trotzdem keinen Friseurtermin zu verpassen. In „Wallpaper“ würde man ihn in etwa so beschreiben: Schwarze Lederschuhe (Prada), dunkelblaue Jeans (Bally), schwarzes Jackett (maßangefertigt), hellblau-weiß-geringeltes Hemd (Dafford of St. George), Silberring (Tiffany’s), Unterwäsche (Calida), Socken (Falke). Brûlé knarzt viele „Hellos“ mit seiner dunklen Stimme. Er sieht gar nicht so traurig aus wie auf fast allen Fotos. Eher ernst und konzentriert.

Eine Besucherin versucht es mit einem Kompliment. „Sie sind also der Mann, an den all die Menschen glauben, die eigentlich an nichts mehr glauben.“ Brûlé antwortet: „Hmm. Und wie ist nun Ihre Frage?“

Nun könnte man denken, Brûlé wäre arrogant. Aber das stimmt nicht. Er ist nur sehr selbstbewusst. Brûlé zieht einen silbernen Kuli aus der Tasche. Natürlich ein Markenkuli: Caran d’Ache. „Ich benutze ausschließlich Gegenstände mit gutem Design“, sagt er. „Design und Architektur finde ich sehr wichtig. Sie bestimmen unsere Umgebung.“ Er spricht tatsächlich so, wie „Wallpaper“ schreibt. „Ich weiß gar nicht, wo ,Wallpaper’ aufhört und mein Leben anfängt“, sagt er. Brûlé gibt auch heute morgen im „Schumann’s“ den Konsumenten aus Leidenschaft. Einen, der wirklich findet, dass man sich am besten jeden Tag etwas schönes Neues kaufen sollte. Denn Shopping entspreche unserer Natur, sagt er. „Wir sind einfach Jäger und Sammler. Wir erbeuten heute zwar keine Antilope mehr, dafür einen Handschuh aus Antilope.“

Shoppen als Religion

Ein englischer Designsammler hat ihn vergangenes Jahr sozusagen auf Antilopen- Handschuh-Safari geschickt. Er hat ihm einen 30000-Pfund-Scheck in die Hand gedrückt, und Brûlé sollte einkaufen. Erster Shopping-Künstler der Welt könnte er sich seitdem eigentlich nennen. Denn das Londoner Design-Museum hat seine Beute ausgestellt. Ein Gummiboot der Marke Delta Rigid inflatable hat er mit zurückgebracht, ein BMW-Motorrad mit Standheizung und Stereoanlage vom Typ C1, einen Spielzeug- Affen aus Teakholz von Abe und blau-weiße Puma-California-Turnschuhe.

Und doch klingt sein Job ein bisschen banal. Was macht Tyler Brûlé viel anderes als eine gelangweilte Millionärsgattin? Vielleicht ist sein ja Talent eigentlich ein anderes: sein Geschäftssinn. Und den hat er – viel mehr als Ivana Trump. Brûlé war der erste, der bemerkt hat, dass es den Menschen der 90er Jahre nicht mehr reichte, einen Alessi- Kessel in ihrer Küche stehen zu haben, dass ihre Sehnsucht nach Ästhetik viel weiter ging. Sie wollten ihr ganzes Leben zum Gesamtkunstwerk machen. Wohnen, Reisen, Musik – alles sollte stilvoll sein. Er hatte den Moment gespürt, an dem Globalisierung nicht mehr nur ein Wort, sondern ein Lebensgefühl geworden war. Und für diese Leute hat er „Wallpaper“-World geschaffen. Er benutzt das Wort wirklich: „Wallpaper“- World. Man könnte das Grundprinzip so beschreiben: Exotische Länder, mit europäischer Style-Brille betrachtet. Shopping in Samarkant und Shanghai – „Wallpaper“ ist im Grunde ein globaler Otto-Katalog. Die Auflage stieg schnell auf 130 000 Exemplare. Brûlé selbst hat das Heft zum Millionär gemacht. Und zum wohl mustergültigsten Bewohner von „Wallpaper World“. Seine Londoner Wohnung ist ganz in „Wallpaper"-Tönen gehalten: beige und braun.

Wieviel Tiefe hat einer, der mit Oberflächlichem so viel Erfolg hat? „Meine Werte?“, fragt Brûlé. „Ein Ding, an das ich glaube, ist Liberalität. Wenn Du Hasch am Wochenende in Deinem Garten rauchen willst, dann mach’s halt.“ Er vermischt Magazin und eigene Person: Liberalität sei „very wallpaper".

Aber da ist noch dieses eine Erlebnis: sein Krankenhausaufenthalt in Afghanistan. Immer wieder muss er davon erzählen. Heute tut er das schon zum zweiten Mal, gleichmütig. Denn nicht nur Kleider, auch Erlebtes schmückt einen Menschen. Das weiß er.

Traumprojekt: Deutsche Bahn

Brûlé war mal Bürgerkriegsreporter. Bei einer Afghanistan-Recherche wurde er angeschossen. Und auf dem Kabuler Krankenbett hat er beschlossen, sich den schönen Dingen zuzuwenden. In keinem Artikel über ihn fehlt diese Erweckungsgeschichte. Nur in „Wallpaper“ fehlen Geschichten dieser Art. Dort steht weder Dramatisches noch Lustiges. „Hier sind die Stars die Gegenstände“, sagt Brûlé. Zu ewiger Schönheit erstarrt.

Wird so ein Konzept nicht irgendwann langweilig? Hat Lifestyle nicht jetzt schon an Bedeutung verloren, sind die Leute die vielen designten Gegenstände langsam leid, diese ganzen formschönen Radios, Kulis, Feuerzeuge, Eierbecher, die alle schreien: Schau mich an! Pfleg’ mich! Ein Zeichen für eine Zeitenwende könnte auch sein, dass der Autor Christian Kracht, der früher bei der Beschreibung von Personen keine Kleidermarke ausließ, in seinem neuen Buch den Helden auf der Suche nach wahren Werten zu einem Berg in Tibet schickt. Die teuren Berluti-Schuhe fallen ihm von den Füßen. Sie sind zu nichts mehr gut. Ist Tyler Brûlé, wie er jetzt so mit seinem fabrikneuen 4000- Euro-Outfit dasitzt, nicht ein Gott von gestern? Brûlé schaut skeptisch. Er kann mit solchen Überlegungen nichts anfangen: Design bleibe den Leuten wichtig, sagt er, es bliebe auch teuer. Man sehe es den Dingen vielleicht nur nicht mehr so an.

Eine Journalistin hat sich jetzt vor ihn hingestellt: „Ist Deutschland in oder out?“ Eine Frage, so viel hat man mittlerweile verstanden, die überhaupt nicht „wallpapery“ ist. Aber Brûlé bleibt auch diesmal freundlich. Er ist als Typ so aufgeräumt wie sein „Wallpaper"-Layout. Er fängt im Heft an zu blättern. Zur Seite 126. Hier sieht man doch, was Deutschland für ihn ist: Adidas, Togal, VW, Mies van der Rohe, Bosch, „Der Spiegel“, BMW, Siemens, Brandeins, Luigi Colani. Produkte, einfach nebeneinander abgedruckt. Seitenweise und ziemlich klein. Wie eine Briefmarkensammlung sieht das aus.

Hinzu kommen ein paar In-Bezirke, wie das Glockenbachviertel in München oder das Belgische Viertel in Köln, ein Berliner 50er-Jahre-Kino und drei stylische Bars. Fertig ist das Deutschland-Bild. Es ist eine reine Aufzählung, ohne redaktionelle Idee. Die Farben der Flagge seien „wunderschön“, sagt Brûlé noch. „Aber Deutschland verkauft sich zu schlecht. Die starken Marken stellten das Land selbst in den Schatten.“

Gäbe es denn eine deutsche Marke, die er gerne neu erfinden würde, ähnlich wie die Swissair? „Die Deutsche Bahn“, sagt er. Weil ein öffentliches Transportmittel jeden betreffe. Er benutze die Deutsche Bahn regelmäßig, und eigentlich seien die Züge ganz gut. Sie fühlten sich bloß billig an. So nach Plastik. „Die deutsche Bahn wäre schon ein Traumprojekt."

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