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Medien: Der Herr des Rings

Sat 1 hat die Nibelungen als Fantasyabenteuer verfilmt. Mit Zickenalarm und Action-Gemetzel. Aber spannend. Von John von Düffel

Das NibelungenLied ist eine Geschichte mit Geschichte. Es wurde einst zum „Nationalepos der Deutschen“ ausgerufen. Es war der Mythos, aus dem Geister wie Friedrich Hebbel, Richard Wagner und nicht zuletzt Fritz Lang ihr Lebenswerk schufen. Und es war ein gefundenes Fressen für die Nazi-Propaganda, die Siegfried von Xanten zum deutschen Helden hochstilisierte und das Massensterben im Kessel von Stalingrad als „Nibelungentreue“ verklärte. Die Wirkungsgeschichte dieser Sage scheint so düster und blutig wie sie selbst. Jetzt ist sie um ein Fernsehkapitel reicher: Regisseur Uli Edel hat im Auftrag von Sat 1 eine Verfilmung des schwergewichtigen Stoffes vorgelegt, und, siehe da, aus Mythos wird Fantasy, aus zwielichtigen Gestalten werden brauchbare Action-Helden, und aus dem komplizierten Geflecht von Schuld und Sühne wird eine simple Story von Gut und Böse nach amerikanischem Vorbild. Ein Nationalepos ist es nicht geworden, aber spannend allemal!

Uli Edel und sein hochkarätiges Team sind nicht angetreten, um Germanisten glücklich zu machen, und das mit Recht. Mythen sind dazu da, dass jede Zeit sie sich anverwandelt und ihnen ein Gesicht gibt, in dem sie sich wiedererkennt. Der Stoff, aus dem die Träume sind, muss strapazierfähig sein. Es geht nicht darum, ihn nachzubuchstabieren, sondern ihn weiterzuerzählen für ein Publikum von heute – und diese Kraft hat die Sage, wie auch die Nibelungen-Renaissance der Wormser Festspiele unter Dieter Wedel beweist.

Für seinen Nibelungen-Film, reißerisch untertitelt mit „Der Fluch des Drachen“, hat Uli Edel sich der verschiedensten Vorbilder bedient und war dabei nicht zimperlich: „Der Herr der Ringe“ lässt grüßen, Heldenepen wie „Troja“ schauen um die Ecke, und die Geschichte ist auf die Schlüsselreize des Mainstream-Kinos umgestrickt. So erhält Siegfried eine frei erfundene Vorgeschichte als traumatisiertes Findelkind, das die Ermordung seiner Eltern mit ansehen musste, und ohne Wissen um seine Identität bei einem Schmied aufwächst. Als einfacher Lehrling begegnet er der Männerbezwingerin Brunhild von Island, verkörpert von der Terminator-3-Action-Ikone Kristanna Lœcken, am Rande eines Kometen-Kraters, wo es zu einer heißen Liebesnacht ganz ohne Keuschheitsgürtel kommt.

Entgegen der Sage beginnt der Film also nicht mit der Verschmähung von Brunhild durch Siegfried, die beiden werden vielmehr ein von den alten Göttern gewolltes Paar und trennen sich nur auf Zeit: Sie muss zurück nach Island, er begibt sich auf die Suche nach seiner wahren Identität. Dazu lässt Uli Edel reichlich Nebel wallen, der seit „Die Nebel von Avalon“ überhaupt sein Element zu sein scheint und ihm zumindest für den ersten Teil den Spitznamen „Uli Nebel“ einbringen müsste. Und dennoch: Trotz des Griffs in die Findelkind-Kitschkiste, trotz einer Vielzahl blinkender Blicke und monumentaler Musikeinspielungen wird aus Siegfried kein Schmachtfetzen. Zu verdanken ist das Benno Fürmann, der diesen Helden so erfrischend lapidar, so schnoddrig normal gibt, dass der Verdacht auf Deutschtümelei und Heldengedöns gar nicht erst aufkommt. Mit bewundernswerter Sicherheit meistert er diese schwierige Rolle, als wäre es eine leichte Übung – schon allein das lohnt den Fernsehdoppelabend.

Als bis über beide Ohren verliebter Schmied kommt Siegfried nach Worms. Dort gerät er mit den Königsbrüdern Gunther und Giselher aneinander (Gernot, der dritte der Brüder, springt über die Klinge der Dramaturgie), beweist seine Stärke in flotten Kampf-Choreografien und zieht die Blicke der holden Burgunderprinzessin Kriemhild ebenso auf sich wie die des intriganten Finsterlings Hagen, der bei Edel ein Abklatsch des Sheriffs von Nottingham ist.

Es sind dies die ersten Vorboten der Enttäuschung in dem sonst durchaus ansehnlichen Fantasy-Streifen: Kriemhild, diese grandiose Frauenfigur, von deren Liebe und Rachedurst das alte Nibelungen-Lied pulsiert, kommt hier als affektierte Rothaarige daher und reicht in Person von Alicia Witt zu keiner Zeit an das Duo Fürmann/Lœken heran. Desgleichen Hagen, der widersprüchlichste und faszinierendste Charakter der Sage, der mit seiner politischen Intelligenz, seinen manipulatorischen Fähigkeiten und seiner Skrupellosigkeit die heimliche Hauptfigur des Liedes darstellt. Hier verflacht er zum habgierigen Erzschurken mit Schmiss über der Wange und zusammengezogenen Brauen, der in etwa so schwer zu durchschauen ist wie ein Päderast auf dem Pausenhof.

Siegfried indessen wird zum Helden, indem er den computeranimierten Drachen Fafnir erschlägt, eine digitale Mischung aus Godzilla und dem gemeinen Comic-Alligator. Er badet in Drachenblut, was seine Haut unverwundbar macht bis auf die bewusste Stelle mit dem Lindenblatt. Und er bemächtigt sich des Nibelungenhorts, jenes fluchbeladenen Schatzes, der Unheil über das gesamte Königshaus bringen soll.

Dieses Unheil kommt zunächst aus Sachsen: Ralf Moeller und Götz Otto greifen an. Siegfried tritt ihnen entgegen und erkennt in den zotteligen Zwillingskönigen die Mörder seines Vaters. Er tötet sie und löst damit zugleich das Rätsel seiner Herkunft. Die Raben tragen diese Kunde bis ins ferne Island zu seiner geliebten Brunhild.

Hier könnte die Geschichte eigentlich enden, denn Kriemhild rührt zu keiner Zeit Siegfrieds Herz. Daher müssen Hagen und der Regisseur in den dramaturgischen Giftschrank greifen und einen Zaubertrank hervorkramen, den die unglücklich verliebte Kriemhild ihrem Helden verabreichen soll, um alte Liebe vergessen zu machen und neue Liebe zu entzünden. Es ist also nicht der schicksalsungläubige Siegfried selbst, der gegen seine Bestimmung verstößt und die schöne Kriemhild der starken Brunhild vorzieht, sondern die Magie der Kräuter, vermischt mit Liebeslist. Das Unrecht und der zweite Teil nehmen ihren Lauf.

Durch das Ungleichgewicht der Charaktere gerät der Film jedoch zusehends in Schieflage. Immer wenn Siegfried und/oder Brunhild im Mittelpunkt stehen, wird es interessant. Kriemhild und Hagen hingegen bleiben eindimensional und werden zu Randfiguren ihrer eigenen Geschichte. Es scheint, als hätte Edel ihnen immer weniger zugetraut. Wichtige Intrigen wie die List mit der Tarnkappe, mit der König Gunther die kampfeslustige Brunhild zur Frau gewinnt, werden im Film nicht von Hagen, sondern vom Burgunderkönig selbst ausgeheckt. Der berühmte Königinnenstreit zwischen Kriemhild und Brunhild vor dem Wormser Kaiserdom verkommt zu einem kurzen Zickenalarm. Und bei dem Blutrat, der Siegfrieds Ermordung beschließt, gibt nicht Hagen, sondern Brunhild den Ausschlag. Selbst die ungeheuerlichste Szene des Originals, in der Kriemhild Siegfrieds verwundbare Stelle an Hagen verrät und ihrem Mann das todbringende Kreuzchen aufs Hemd stickt, entfällt mangels Interesse. Bei Edel offenbart Siegfried die Stelle der Einfachheit halber gleich selbst und stirbt zwar durch Hagens Hand, aber nicht durch dessen Verstand.

Das dicke Ende soll hier nicht verraten werden, nur so viel sei gesagt: Es ist das Schwächste am ganzen Film, ein eher einfallsloses Gemetzel um den Ring der Nibelungen, in dem Edel sichtlich bemüht ist, vor Erreichen des Zeitlimits mit seinen Figuren kurzen Prozess zu machen. Bleibt uns nur, die Toten zu zählen: Kriemhild und Hagen sind im Laufe des Films nie lebendig geworden, aber Benno Fürmann als Siegfried und Kristanna Lœcken als Brunhild haben ihre Figuren zu neuem Leben erweckt. Sie werden im Gedächtnis der Zuschauer so schnell nicht totzukriegen sein.

„Die Nibelungen“: Montag und Dienstag um 20 Uhr 15 auf Sat 1

Der Schriftsteller John von Düffel arbeitete als Dramaturg bei Dieter Wedels Nibelungen-Inszenierung bei den Wormser Festspielen nach einer Textfassung von Moritz Rinke.

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