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Weg von Watte, Wichtigtuerei und den giftigen Nebeln des Jargons: Wolf Schneider hat Generationen von Jungjournalisten die hohlen Phrasen ausgetrieben. Gerade hat der 87-Jährige ein neues Buchprojekt begonnen. Foto: dapd

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Der Leser hat Recht: Der Nimmermüde

Wolf Schneider ist der Sprachlehrer der Nation. Generationen von Jungjournalisten hat er hohle Phrasen ausgetrieben. Ans Aufhören denkt er auch mit 87 Jahren noch nicht.

Natürlich hört so einer nicht zu arbeiten auf, nur weil er 87 ist. Wolf Schneider hat nahezu sämtliche Altersgrenzen überwunden, die Leben und Ämter zu ziehen pflegen – und lässt nun allenfalls ein Zugeständnis erkennen. 33 Jahre Journalistenausbildung seien genug, sagte er kürzlich beim Kuratorium für Journalistenausbildung in Salzburg. Warum? Weil er Herr des Verfahrens bleiben will: „Das ist jetzt ein Zeitpunkt, an dem ich es noch bin, der darüber entscheidet.“

Aber was heißt schon aufhören? Niemand, der Schneider ein wenig kennt, kann ihn sich im Lehnstuhl vorstellen, die Hände still, die Augen unproduktiv über den Starnberger See schweifend. Es geht weiter, zunächst mit den Seminaren für Öffentlichkeitsarbeiter. „Mein Grundsatz ist: Ich möchte nie den Brief bekommen: Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir Sie nicht länger… Der Auftraggeber hat mir aber versprochen, dass er diesen Brief für die nächsten drei Seminare nicht schreibt, und deshalb mache ich noch drei Seminare weiter.“ Das wäre dann Mai 2013, und … „ich habe gerade bei Rowohlt für das nächste Buchprojekt unterschrieben, ein Sachbuch, das im Frühjahr 2014 erscheinen soll. Das Thema verrate ich noch nicht“.

Man wird unterstellen dürfen, dass dahinter bereits die Ideen für die nächsten drei Bücher heranreifen, unberechenbar für Außenstehende. Schneider hat sich als Autor beispielsweise mit den Alpen herumgeschlagen, mit dem Glück und den großen Verlierern der Geschichte, aber im Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Journalistenbranche ist er der ewige Sprachlehrer geblieben, einer, dessen Arbeitsprinzip das lustvolle Polarisieren und Zuspitzen ist. „Qualität kommt von Qual“ und „Der Leser hat Recht“ sind die Basisprinzipien, mit denen er seinen ganz überwiegend akademisch verbogenen Schülern Bandwurmsätze, Adjektive und hohle Phrasen auszutreiben suchte, erfolgreich, meist.

Schreiben nicht, um Eingeweihten zu imponieren, sondern um vom Leser verstanden zu werden, das ist das Schneider-Credo, das in sprichwörtliche Sentenzen wie jene mündet, man dürfe kein Fernrohr brauchen, um das Verb zu erkennen. Als er – ein kleiner, früher Abschied – 1999 seine letzte Sprachglosse für die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb, fasste er noch einmal zusammen: „Redliches, farbiges, kraftvolles Deutsch in klar dahinströmenden Sätzen – weg von Watte, Wichtigtuerei und den giftigen Nebeln des Jargons“.

Auf dieser Basis hinterließ er an allen namhaften Journalistenschulen deutscher Sprache auch weiterhin seine Spuren, manchmal angekündigt wie ein Dinosaurier: Leute, so wurde damals Journalismus gelehrt! Aber dann saßen sie doch da, gefesselt von einer Rede, die sie teilen oder schroff ablehnen mochten, die aber eins nie war: langweilig. Aus der sich lernen ließ, weil sie zwang, Stellung zu nehmen. Schneiders Reden ist auch heute noch wie sein Schreiben, schlank, pointiert, manchmal pointensüchtig; die Freunde begeisternd, die Feinde aufstachelnd. Man sah ihm immer an, wie es ihn ärgerte, wenn eine ausgefeilte Formulierung an einem Versprecher zerbrach oder eine von langer Hand vorbereitete Pointe im Frohsinnsgewitter der NDR-Talkshow unterging.

Schneider ist ein Unikat. Keiner seiner Nachfolger an der Henri-Nannen-Schule konnte sich einen ähnlichen Bekanntheitsgrad erarbeiten. Er hat sie praktisch erfunden, zunächst ab 1979 in einer noblen Backsteinvilla in Harvestehude, dann an wechselnden Hamburger Standorten. Vor Gründung der Schule hatte er gerade als abgesägter Chefredakteur der „Welt“ das Wallraff-Desaster der „Bild“-Zeitung einzudämmen versucht – das garantierte ihm viel Misstrauen von links und ein paar ausdauernde Feindschaften. Wallraff selbst zeichnete in einem späteren Buch das polemische Zerrbild der „Kadettenanstalt“ am Alsterufer, so, als würden dort Schreibsoldaten der rechten Kampfpresse gedrillt.

Das erledigte sich freilich im Lauf der Zeit, als sich herausstellte, dass die meisten Absolventen in die Dienste von „Spiegel“, „Stern“ und „Zeit“ eintraten und dort in aller Regel nicht um sich schossen. „Spiegel“-Chefredakteur Matthias Müller von Blumencron, RTL-Anchorman Peter Kloeppel und Ex-„Handelsblatt“-Chef Bernd Ziesemer sind nur einige der erfolgreichsten Schneider-Schüler. Viele entschieden sich für freiberufliche Tätigkeit, andere fanden mit dem journalistischen Handwerkszeug ganz andere Berufswege wie der auf Familienthemen spezialisierte Philosoph Dieter Thomä. Sogar Nichtschüler machten Karriere wie Harald Schmidt, der aus seiner gescheiterten Bewerbung ein paar hübsche Pointen schnitzte.

Schneiders 28 Bücher sind in viele Sprachen übersetzt und millionenfach verbreitet worden – am bekanntesten zweifellos „Deutsch für Profis“ und „Deutsch für Kenner“, Basisarbeit im Wortsteinbruch, gespeist aus unzähligen Karteikärtchen. Erst spät ließ sich der Kosmopolit überreden, auf ein Thema einzusteigen, das ihn während seiner Lehrtätigkeit kaum interessiert hatte: die angebliche Überfremdung der deutschen Sprache. Die Begriffe, die er zusammen mit einigen beflissenen Sprachwahrern als Ersatz für „denglische“ Importe suchte und propagierte, waren zum Teil nicht ohne Witz. Doch sie fanden außer ein wenig Häme kaum Resonanz, blieben Randnotiz in einem Werk, das derlei ideologisierte Grundsatzfragen allenfalls gestreift hat.

87. „Wenn die ersten Schüler in Rente gehen, fühlt man sich auch selbst ein wenig alt“, das gibt er zu. Aber selbst ganz aufhören? Später mal.

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