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Medien: Der Letzte macht das Licht aus

Bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik reden alle von der Krise. Von ihr betroffen sein will keiner

Der neue Intendant des ZDF eröffnete die „Mainzer Tage der Fernsehkritik“, und schon nach zehn Minuten dachten fast alle im Saal das Gleiche. Sie dachten: „Uff. Dieser Markus Schächter ist wirklich kein besonders guter Redner.“ Dann tat sich die Tür auf, und der Vorgänger erschien. Dieter Stolte schritt, während Schächter sich über die Zielgerade seiner Rede quälte, unter aller Augen zu seinem gewohnten Platz in der ersten Reihe. Professor Dieter Stolte ist, wie jeder weiß, ein ausgezeichneter Redner.

Die Mainzer Tage waren seit Menschengedenken seine große Bühne. Er hat offenbar nicht die Absicht, sie jemand anderem zu überlassen. Und wieder dachten fast alle das Gleiche. Die verdammten Alten. So sind sie immer. Helmut Kohl! Es ging um die Krise des Medienmarktes. Man konnte also aus dem Saal gehen, wenn jemand gerade den Satz sagte „es wird härter“, und wenn man eine Viertelstunde später wieder hineinging, stand da ein anderer Redner und sagte „Verhältnisse wie 1929“. Und wie immer sagte irgendwann irgendwer: „Das ist eine typisch deutsche Diskussion hier!“ Es ist seltsam. Vor drei Jahren taten alle so, als sei der Boom für die Ewigkeit gemacht. Heute tun sie so, als werde die Krise ewig dauern. Man ist anders geworden, aber nicht unbedingt schlauer. Statt Hybris heißt es jetzt „Attentismus“. Attentismus ist, wenn keiner kauft oder investiert, weil alle damit rechnen, dass es noch schlechter wird, weswegen es dann tatsächlich immer schlechter wird.

Alle sagen, alles sei furchtbar. Aber wenn man im Einzelnen nachfragt, hat Premiere wahrscheinlich den Turnaround geschafft, bei RTL, bei Burda, bei Bauer, bei Springer, bei Gruner + Jahr sehen die Zahlen – nach Sparmaßnahmen, versteht sich – passabel bis sehr gut aus. Bei der „Zeit“ steigt die Auflage. Die totgesagte Online-Werbung hat plötzlich ein Umsatzplus von 21 Prozent. Nanu, Basketball macht plötzlich Quote. Und sogar Biathlon, unglaublich. RTL steigt ins Buchgeschäft ein. RTL-Bücher, ja, das braucht die Welt. Mit anderen Worten: Fragt man den typischen Medienmanager, dann ist überall die Lage dramatisch, seinem eigenen Haus aber geht es eigentlich noch ganz gut.

Am härtesten hat es zweifellos die Tageszeitungen erwischt, vor allem die überregionalen oder die anspruchsvollen, folglich teuren Regionalzeitungen. Zu der Konjunkturkrise kommt die Strukturkrise. Ein Teil des Geschäftes ist ins Internet abgewandert und wird nicht zurückkehren. Wolfgang Storz, der Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“, sagt: „Eine betriebswirtschaftliche Lösung gibt es im Moment nicht.“ Das heißt, nicht mal härtestes Sparen kann die „Rundschau“ retten. Neben Storz saß Hans Werner Kilz, Chefredakteur der „Süddeutschen Zeitung“. In München haben sie darüber nachgedacht, als nächste Radikalmaßnahme das Sonntagsgeld für Redakteure zu streichen, aber das ist ungerecht, weil es vor allem Sportredakteure trifft. In Frankfurt wurden die Gehälter pauschal reduziert und die Arbeitszeit verlängert. Das Medienressort wurde abgeschafft, zwölf der sechzig Regionalredakteure wurden entlassen, obwohl die Zeitung in der Region dringend an Auflage gewinnen müsste. Die „Rundschau“ kooperiert im Anzeigengeschäft mit der „Süddeutschen“, aber es reicht alles nicht. Nun soll eine Bürgschaft, ausgerechnet der CDU- Landesregierung, der linken „Rundschau“ eine Gnadenfrist verschaffen – beeinträchtigt das ihre Unabhängigkeit? Storz sagt: „Eher haut man noch mehr drauf, um zu zeigen, wie unabhängig man ist.“

Jede Zeitung kann man relativ leicht profitabel machen. Man muss einfach so lange kürzen, bis es passt. Aber die zusammengesparte Zeitung ist dann irgendwann nicht mehr in der Lage, mit eigenen Geschichten, eigenen Kommentaren und einem eigenen Profil in das große Meinungs-Spiel einzugreifen. Sie lebt zwar noch, aber nur als leere Hülle. Sie spielt keine Rolle mehr.

Auch Michael Grabner war in Mainz, der Manager der Verlagsgruppe Holtzbrinck, der der Tagesspiegel gehört. Für den Tagesspiegel wird es ebenfalls eng, obwohl er, wie Grabner sagte, mit einem Kaufpreis von einer Mark keine allzu teure Anschaffung war. Was wird passieren, wenn der Kauf der „Berliner Zeitung“ durch Holtzbrinck vom Bundeswirtschaftsminister endgültig abgelehnt wird, wenn es also keine Chance gibt, durch Kooperation Geld zu sparen? „Irgendwann ist Ende“, antwortete Grabner.

Bei den Fernsehsendern drücken sie die Gagen und erhöhen die Wiederholungsrate. Der Filmproduzentenverband hat innerhalb eines Jahres zwanzig Prozent seiner Mitglieder verloren, wegen Geschäftsaufgabe. Aber so traurig es ist, die Krise hat auch ihre bizarren und sogar guten Seiten. „Man macht nicht mehr alles, was technisch möglich ist, sondern nur noch das, was die Leute wollen“, sagt Andreas Fritzenkötter, früher Kanzlersprecher, heute Bauer-Verlagssprecher. Bravo! Endlich! Digitales Radio? Eigentlich braucht das keiner. Interaktives Fernsehen? In der Branche setzt sich die Erkenntnis durch, dass Fernsehgucken ein passives Tun ist und immer bleiben wird. Bei Premiere kann man selber die Kameraeinstellung wählen und zum Beispiel ein ganzes Fußballspiel lang nur David Beckham beobachten. Die Leute merken aber schnell, dass Beckham meistens herumsteht und dass die Sport-Regisseure ein Spiel viel besser inszenieren können als sie selber.

Jeder versucht, die Krise möglichst trickreich zu nutzen. Der Produzent Nico Hofmann sagt, dass es sperrige Stoffe immer schwerer hätten und spricht über eine Story, in der eine Mutter ihr Kind verliert. Was an diesem in tausend Trivialromanen bewährten Stoff sperrig sein soll, wissen nur Gott und Nico Hofmann. Thomas Bellut, ZDF-Programmdirektor, spricht über die Qualität, die es natürlich auch immer schwerer hat, und nennt als Beispiel „Napoleon“, den superteuren Superschinken. Frage: Was genau ist Qualität? Antwort: Qualität ist immer das, was man selber tut.

Der Langsame frisst übrigens den Schnellen, nicht umgekehrt. Rupert Murdoch hat das Internet verachtet, ist erst spät eingestiegen und hat deswegen dort nur wenig Geld verloren. Alle in Mainz sangen jetzt das hohe Lied des soliden Managers, des Produzierens, des reellen Wertes, der altmodischen Kundenpflege. Der Gegenbegriff heißt „Luftökonomie“ – als ob nicht auch das Spekulative schon immer zum Kapitalismus dazugehört hätte. Ein Journalist von der „Financial Times Deutschland“, Thomas Clark, hielt einen leicht hämischen Vortrag über Leo Kirch und Thomas Haffa und den Filmunternehmer Michael Kölmel, in dem er erklärte, wie dumm diese drei sich doch angestellt hätten. Thomas Clark erklärt, wieso Leo Kirch ein Trottel ist: absurd, oder? Da mischte sich Stolte ein und hielt einen langen Vortrag darüber, dass sein langjähriger Geschäftspartner Kirch eben kein Trottel ist, sondern schon bedeutend, trotz Pleite, ein toter Löwe sozusagen, an dessen Mähne jetzt die Mäuse knabbern. Das war ein großer Moment.

Und was heißt schon tot? Das meistverbreitete Gerücht in Mainz lautete so: Hinter Haim Saban, dem Käufer von großen Teilen des Kirch-Konzerns, muss jemand anderer stecken, denn ein Weltgigant wie Saban kann unmöglich Lust darauf haben, sich längerfristig mit den Programmen von Sat 1 und Pro 7 zu befassen. Dieser Jemand sei Leo Kirch. In drei Jahren, so flüsterte es in den Bäumen, kauft der alte Kirch sich eh alles zurück. Vorbei, ein dummes Wort.

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