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Medien: Der Online-Container

1,6 Millionen spielen im Internet „Second Life“. Jetzt zieht „Big Brother“ ein

„,Big Brother‘ wird ein bisschen weniger real“ lautet die Schlagzeile der Nachrichtenagentur Reuters. Dabei ist bei der neuesten Auflage der umstrittenen Realityshow von Endemol auf den ersten Blick alles beim Alten geblieben: 15 Teilnehmer, am Montag ausgewählt, gehen am 1. Dezember freiwillig ins Exil, werden dort rund um die Uhr beobachtet, um dann – einer nach dem anderen – vom Publikum rausgewählt zu werden. Der Unterschied zwischen den alten TV-Staffeln und der Neuauflage: Die Teilnehmer, die auf eine Insel verfrachtet werden, gibt es gar nicht. Die Insel auch nicht. Sogar der Reuters-Korrespondent ist nicht real.

Zumindest nicht im klassischen Sinne „real“. Es sind „Avatare“, virtuelle Wesen, die von echten Menschen am Computer erschaffen und gesteuert werden. Reuters-Korrespondent Adam Reuters, zum Beispiel, heißt im wirklichen Leben Adam Pasick, ein Medienjournalist. Seine Kunstfigur, wie die der neuen „Big Brother“- Kandidaten, deren Schöpfer Endemol laut Programmentwickler Jeroen Dontje gar nicht kennt, existiert nur in einem Paralleluniversum namens „Second Life“ („SL“, übersetzt: „Zweites Leben“). Diese über das Internet verbundene Welt, vor drei Jahren von ein paar Computercracks in einem Labor in San Francisco entwickelt, hat bereits über 1,6 Millionen Einwohner. Tendenz: stark steigend. Viele der Nutzer verbringen viele Stunden in ihrem „Zweitleben“, einige bestreiten dort sogar ihren Lebensunterhalt.

Deutsche Bewohner von „SL“ starten passenderweise in der „Deutschen Burgruine“. Wie in der physischen Welt gibt es Häuser, Straßen, Geschäfte, Inseln, sogar Kontinente. Bevor es losgeht, muss man sich auf der Internetseite von Linden Labs, dem kalifornischen Betreiber der Online-Welt, als Spieler registrieren. Der Vorname kann frei gewählt werden, wie das Geschlecht. Damit jeder nur ein virtuelles Alter Ego hat, muss man seine Identität zum Beispiel via Kreditkartennummer nachweisen.

Anders als bei Internetspielen wie „World of Warcraft“ spielt die Interaktion die wichtigste Rolle. Bei „Big Brother“ etwa müssen die Avatare der Teilnehmer als eine der ersten Aufgaben den Eiffelturm nachbauen. Zuschauer, die die Insel besuchen, können abstimmen, welche drei Kandidaten das virtuelle Exil jede Woche verlassen müssen. Gespielt wird in drei Zeitzonen. „Der Sieger erhält am 1. Januar 2007 eine eigene ,Second Life‘-Insel“, sagt Endemol-Entwickler Dontje.

Jeder Avatar kann sein Aussehen frei wählen. Um seine Klamotten zu wechseln, klickt man sie einfach per Mausklick im Inventar an. Genau so kann man Gesichtszüge, Haarfarbe oder andere körperliche Merkmale verändern. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – nur Anfänger wundern sich, wenn neben ihnen ein Einhorn mit Flügeln landet. Die virtuelle Loveparade ist auch sprachlich bunt. Als Amtssprache gilt Englisch, aber auch Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch sind verbreitet.

Wohin die virtuelle Reise gehen kann, zeigt sich auch bei der Art der Fortbewegung. „SL“-Anfänger erklimmen die Zinnen der Burg noch zu Fuß. Alle anderen drücken auf die „Fliegen“-Taste, um sich einen Überblick zu verschaffen. Da die digitale Welt aber ständig wächst, reicht auch das Fliegen nur noch für Kurzstrecken aus. Für den Fernverkehr kommt ein Teleporter zum Einsatz.

Weniger spacig bewegt sich indes die Wirtschaftswelt im zweiten Leben. Firmen wie Reuters, IBM oder Disney haben „SL“ bereits als Bühne für Produktvorstellungen oder andere Events wie eine MTV-Modeschau erkannt. Im Adidas-Reebok-Laden steht die neueste Sportmode zum Anprobieren – und Kaufen – bereit. Neben den „Real Life“-Firmen gibt es auch reine „Second Life“-Geschäfte, die unter anderem mit virtuellen „Grundstücken“ handeln. Bezahlt wird mit einer eigenen Währung, den „Linden-Dollar“; 250 davon erhält jeder als Startgeschenk, weiteres Spielgeld gibt es fürs monatliche Abo. Wer virtuell einkaufen will, tauscht echte gegen virtuelle Währung. Der Wechselkurs lag Montagnachmittag bei 274,3 Linden- für einen US-Dollar. Der florierende Online-Handel war der Hauptgrund für Reuters, einen Korrespondenten zu entsenden.

So weit, so bunt. Doch die Online-Welt hat auch Schattenseiten. Dass die Teilnehmer des „Big-Brother“-Events täglich acht Stunden online sein müssen, ist Teilnahmebedingung. Aber auch die Spielzeit der übrigen Bewohner nimmt stetig zu. „Da steckt viel Suchtpotenzial drin“, sagt Stephan Freundorfer, Chefredakteur von „eGames“. Für so manchen, der in der realen Welt wenig Perspektiven hat, könne der Weg in die virtuelle Ersatzwelt schnell zu einem realen sozialen Drama werden. Darauf setzt man übrigens allen Internetexperimenten zum Trotz auch bei Endemol. Eine neue Staffel „Big Brother“ startet aller Voraussicht nach am 5. Februar auf RTL2: zwölf Kandidaten, 150 Tage, ein Container.

www.secondlife.com

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