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Medien: Der Publikums-Joker

Themenabend bei Arte spürt dem Quizboom nach

Gern hätte Arte auch eine Quizshow im Programm, wenigstens am Nachmittag. Aber, so hieß es bei der Präsentation der Filme des heutigen Themenabends „Quizboom“ (22 Uhr 15, Arte), die Zweisprachigkeit des Senders verhindere dies. Der Wunsch der Programmchefs des hochgelobten deutsch-französischen Kulturkanals lässt sich leicht erklären. Noch immer erreicht die RTL-Frageshow „Wer wird Millionär?“ Einschaltquoten von bis zu 30 Prozent. Zahlen, von denen Arte nur träumen kann.

Heute Abend, wenn weder bei RTL noch beim ORF Kandidaten beim verheißungsvollen Trommelwirbel ins Schwitzen geraten, kann man also bei Arte mitraten und nebenbei einen Blick hinter die Kulissen der erfolgreichsten Fernsehshow aller Zeiten werfen. „Seid umschlungen, Millionen“, der Dokumentarfilm von André Schäfer und Karl Wachtel, begleitet Kandidaten, Showmaster sowie Zuschauer während der Aufzeichnung dreier Folgen von „Wer wird Millionär?“ und versucht Antworten auf die Frage zu finden, warum in mittlerweile 105 Ländern der Erde Zuschauer dem verblüffend simplen Fernsehformat verfallen sind. In Deutschland liegt es wohl nicht zuletzt an dem zärtlich-sadistischen Charme von Günther Jauch, der in der Doku sagt, er habe immer wieder „Spaß am Nichtwissen“, die Show sei „interaktives Fernsehen“, bei dem die Menschen zu Hause mitraten und darüber anfangen, wieder miteinander zu reden. Dagegen gibt der Autor und Literaturkritiker Frédéric Beigbeder eine eher kulturpessimistische Einschätzung ab: „Wir müssen akzeptieren, dass wir in einer Religion des Geldes leben. Schon bald wird es heißen: Wer wird Milliarden erwischen?“.

Ob Bildungsfernsehen oder Ersatzreligion, der Boom der Sendung, die weltweit übrigens genau gleich aussieht, ist ungebrochen. In Spitzenzeiten rufen bei RTL 100 000 Bewerber am Tag eine kostenpflichtige 0190-Nummer an, um sich bei dem Spiel als Kandidat zu bewerben. Hinzu kommen für den Sender die Einnahmen aus der Werbung. Was ist da schon eine Million?

Geradezu rührend naiv ging es dagegen in früheren Quizshows zu. Die zweite Doku des Themenabends „Hätten Sie´s gewusst?“ (23 Uhr 25) ist eine lustige Zeitreise durch die Quizshows des deutschen Fernsehens. Ganze fünf Mark klimperten bei Robert Lembkes „Was bin ich?“ ins Schweinderl, danach zündeten sich Moderator und Gast vor laufender Kamera erst mal genüsslich eine Zigarette an. In der Collage parliert sich Hans-Joachim Kulenkampff durch „Einer wird gewinnen“, Wim Thoelke raunt noch einmal bedeutungsschwer „Risikooo“, Publikumsliebling Hans Rosenthal fordert „Dalli-Dalli“ und springt vor Freude in die Luft. Auch im DDR-Fernsehen wurde gerätselt, zu gewinnen gab es bei „Sind Sie sicher?“ aber nur Büchergutscheine, maximal für 150 Ost-Mark. „Die Wartezeiten vor den Antworten wurden rausgeschnitten, die DDR-Bürger sollten eben möglichst intelligent wirken“, erinnerte sich Moderator Karl Gass bei der Vorstellung des Filmes.

„Quizshows wird es immer geben, weil das Genre offensichtlich einem Bedürfnis entspricht, das Menschen rätseln, raten und sich präsentieren lässt“, meint Karl Wachtel. Ein wirklich zukunftsweisendes Format schwebt Christoph Schlingensief, dem Theatermacher und Erfinder von „Quiz 3000“, vor. Nach dem Vorbild von „Was bin ich?“ sei in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit doch die Frage „Was war ich?“. Vielleicht wäre das ja was für Arte. Heute Abend kann man bei „Quizboom“ zwar kein Geld gewinnen, dafür gibt es Unbezahlbares, nämlich viel Erkenntnis.

Antje Kraschinski

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