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Medien: Der Selbstmordattentäter als TV-Star

Ein Besuch bei Al Manar, dem Fernsehsender der radikal-islamischen Hisbollah

„Al Mohemah“ heißt das Allgemeinbildungsquiz bei Al Manar, das ähnliche Regeln wie „Wer wird Millionär?“ hat. „Ist es richtig, dass der Märtyrer Amar Hamoud den Spitznamen ,Das Schwert aller Märtyrer’ hatte?“ fragt Ihab Abi Nassif, der Quizmaster. Und weiter: „Wann haben die USA die Medikamentenfabrik im Sudan bombardiert?“ „1998 war das“, weiß der Kandidat und erreicht damit die 60-Punkte-Frage: „Um wen hat die britische Queen mehr getrauert: um ihren Hund oder die Erdbebenopfer im Iran?“ Auch diese Antwort ist für den Kandidaten kein Problem, die Hymne „Jerusalem ist unser“ ertönt, und der Kandidat ist um fünf Millionen Libanesische Lira, umgerechnet 3300 Dollar, reicher.

„Al Mohemah“ heißt auf Deutsch „Die Mission“. Schon der Titel legt nahe, dass es selbst im Unterhaltungsprogramm von Al Manar um etwas anderes geht als um Quoten. Den libanesischen Satellitensender, der zu den fünf Großen in der arabischen Welt zählt, könnte man auch Hisbollah-TV nennen, so eng ist er mit den libanesischen Milizen verknüpft. Und das spiegelt sich im Programm wider, das oftmals gewaltverherrlichend und antisemitisch ist.

Das sechsstöckige Gebäude von Al Manar steht im Stadtteil Haret Hreik im Süden von Beirut. Haret Hreik ist eine schiitische Hochburg. Vom westlichen Lebensstil, der ansonsten die Hauptstadt des Libanons prägt, ist dort wenig zu spüren. Frauen sind verschleiert, es gibt keine Bars, keine Clubs, keinen Alkohol.

Im Foyer des Senders hängen Fotos von zwei Kameramännern, die von den Israelis in Palästina bei ihrer Arbeit getötet worden seien, erklärt Ali Hasham, ein PR-Manager des Senders. Zwischen beiden Bildern prangt ein riesiges Porträt von Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der Hisbollah. Im Verwaltungsrat des Senders, der offiziell ein Privatunternehmen ist, sitzen mehrere Parteifunktionäre der Hisbollah, die auch Aktienhalter der TV-Firma sind.

Im zweiten Stock hat Tamara Matar ihren Schreibtisch. Matar, 27, ist eine von zwei Sprecherinnen der englischen Nachrichten, die täglich um 14 Uhr 30 von Beirut aus in die Welt geschickt werden. Sie ist ungeschminkt und trägt ein Kopftuch, das kein Haar freilässt. Dazu ein bodenlanges Jackett und eine weite Hose. Sie begrüßt einen auf Deutsch: Sie kenne Freiburg gut. „In Straßburg habe ich einen Onkel.“ Fast die Hälfte der 300 Al-Manar-Mitarbeiter sind Frauen. Eine Quote, die sich viele Frauenrechtlerinnern in Deutschland wünschen würden. Nur sind alle Frauen, die man auf den Fluren sieht, gekleidet wie Tamara Matar. Wer sich nicht an die schiitische Kleiderordnung hält, wird nicht eingestellt.

„Unsere Top-Themen sind heute: die Sicherheitslage in Saudi-Arabien, neue Attentate im Irak und natürlich Berichte aus dem besetzten Palästina“, sagt Tamara Matar. „So wie wir das immer machen.“

Auf der Nachrichtenagenda gibt es tatsächlich wenig Spielraum: Eigentlich immer läuft etwas zum „Freiheitskampf“ in Afghanistan und im Irak sowie zu Palästina. Außerdem im Programm: Reportagen über das Schicksal von „Märtyrerfamilien“, die ihren Sohn verloren haben. Verzweifelte Mütter und Ehefrauen, die ihre Söhne und Ehemänner in israelischen Gefängnissen beweinen. Oder es laufen Videoausschnitte aus Kämpfen um einen israelischen Außenposten: Zerstörte Panzer, tote Soldaten oder erobertes Kriegsgerät der israelischen Armee sind zu sehen. Dazu jede Menge Patriotismus, wehende palästinensische Flaggen. Das Bild der Kalaschnikow, das sich auch auf dem Emblem der Hisbollah befindet, ist omnipräsent. Al Manar glorifiziert Gewalt – als Akt der Verteidigung. Selbstmordattentäter werden, wie übrigens auch auf Al Dschasira, als Märtyrer bezeichnet.

Im ersten Jahr der „Al-Aqsa Intifada“ wurden allerdings Spots auf Russisch und Hebräisch ausgestrahlt, die vor der Gefahr von Selbstmordattentaten „warnten“: „Achtung Touristen! Tourismus in Israel bringt euer Leben in Gefahr!“

Ibrahim Mousawi ist für den politischen Inhalt der Al-Manar-Sendungen verantwortlich. Im vierten Stock hat er ein geräumiges Büro mit großem Konferenztisch. Der Mittdreißiger trägt einen Drei- Tage-Bart und einen grauen Anzug. Er folgt wie die meisten Männer bei Al Manar dem Kleidungsstil der iranischen Schiiten. Beim Rückzug der israelischen Soldaten aus dem seit 18 Jahren besetzten Süden des Libanons, so erzählt Mousawi bei einer Tasse Kaffee, „sei in der arabischen Öffentlichkeit ein Bedürfnis nach anderen, nicht westlichen Nachrichten entstanden.“

Dieses Ereignis war für Al Manar, was der Golfkrieg für CNN war: der Grundstein des Erfolgs. Den Triumph über Israel wollte man in der ganzen arabischen Welt sehen. Und Al Manar lieferte exklusiv die Bilder. Zuerst sei da natürlich Al Dschasira gewesen, der Nachrichtensender aus Katar, sagt Mousawi. „Aber dann kamen gleich wir.“

Seit dem Afghanistan-Krieg weiß man auch im Westen, dass es arabische Nachrichten gibt, mit einem gänzlich anderen politischen Blickwinkel. Auf einen simplen Nenner gebracht, könnte man Al Manars Perspektive so formulieren: Wer gegen eine Okkupation kämpft, ist kein Terrorist, sondern ein Widerstands- und Freiheitskämpfer. In der arabischen Ländern, besonders im Mittleren Osten, sieht das die große Mehrheit so.

Ibrahim Mousawi findet sein Programm „objektiv“ und „ausgeglichen“. Propaganda? Da lächelt er nur. „Sehen Sie sich doch nur einmal die amerikanische Berichterstattung auf Fox News an.“ Durch den Erfolg seines Senders, der seit 2000 über Satellit in der gesamten arabischen Welt zu sehen ist, kann er sich bestätigt fühlen. Rund zehn Millionen Zuschauer, so wird geschätzt, schalten täglich Al Manar ein. Bei aktuellen Ereignissen auch viel mehr: zum Beispiel bei Attentaten auf Hamasführer, wie Sheik Yassin oder Rantissi, bei der Belagerung von Rafa in Gaza oder bei einem Exklusivinterview mit dem schiitischen Geistlichen Muktada al Sadr. „Aber man darf nicht vergessen“, erklärt Mousawi, „der Erfolg liegt nicht an den Nachrichten allein“.

Al Manar sieht sich als Familiensender. Männer können dort Fußball gucken, Frauen die Frauentalkshow. Obendrein müssen sich Eltern keine Sorgen um die Verletzung religiöser Moral machen. Es gibt nichts Anstößiges. „Dieses Image bringt uns viele Spenden, ohne die wir nicht überleben könnten. Alles ist für einen guten Zweck“, sagt Mousawi. Das Geld kommt von schiitischen Gemeinden weltweit, besonders aber aus Europa, den USA und Kanada. Und auch von der Hisbollah selbst, heißt es, fließen regelmäßig Summen auf die Bankkonten des Beiruter Senders.

Und neuerdings gibt es auch westliche Werbung: Jahrelang wurden über 90 Prozent der Werbekunden abgelehnt, weil ihre Spots mit, so hieß es, „weiblicher Lust“ zu tun hatten. Mittlerweile entwerfen westliche Werbeagenturen mit Al Manars hauseigener Werbeagentur islamgerechtes Advertisement. In den Werbepausen sieht man Spots von Pepsi, Coca-Cola, Western Union, Gauloise oder Red Bull.

Alfred Hackensberger[Beirut]

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