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Medien: Der Sex, die Stadt und der Tod

Morgen läuft „Engel in Amerika“ in der ARD an. Rosa von Praunheim über die mit elf Emmys prämierte Serie

Welch eine Wucht, welch ein großes Werk, welch geniale Schauspieler, was für ein Mut zu Fantasie, Poesie und Visionen!

Der amerikanische Sender HBO ist bekannt für außergewöhnliche Filme in dieser meist idiotischen Fernsehlandschaft. Was für ein Glücksfall, dass diese Serie mit Preisen überschüttet wurde und ihr Publikum findet.

Natürlich kommen diese Filme viel zu spät, denn sie spielen 1985/86 zu Beginn des großen Sterbens an Aids, als es meist tödlich endete und kein Mittel in Sicht war. Der Autor Tony Kushner hatte mit seinem Theaterstück einen weltweiten Erfolg. Ich sah es vor vielen Jahren am Broadway und war erschüttert, denn ich kannte das Sterben nur zu gut, hatte selbst mehrere Filme zu dem Thema in New York und Berlin gedreht und war voller Wut, kämpfte an der Seite meiner amerikanischen Freunde gegen die ignorante, konservative Reagan-Regierung, die kein Geld für Aids-Forschung übrig hatte und mit der Kirche nur Enthaltsamkeit predigte. Wir kämpften gegen die unverschämten Pharmafirmen, die nur Geld verdienen wollten und denen Menschlichkeit fremd ist.

„Engel in Amerika“ reflektiert diese Zeit in einem großen poetischen Epos, inszeniert von dem Altmeister Mike Nichols („Die Reifeprüfung“) mit Bilderfindungen, die ich so noch nicht gesehen habe.

Die Geschichte spielt in Brooklyn, New York. Prior und Louis sind ein schwules Liebespaar, bis Prior an Aids erkrankt und Louis, dieses linksradikale Großmaul, voller Ekel seinen Freund in der Not verlässt.

Joe und Harper sind ein heterosexuelles streng religiöses Ehepaar. Joe ein konservativer Anwalt und Harper seine tablettensüchtige depressive Frau.

In einer Vision erfährt Harper, dass ihr Ehemann, der gerne lange Spaziergänge macht, schwul ist, und flüchtet immer mehr in eine Traumwelt.

Ihr Ehemann Joe trifft auf Louis und traut sich zum ersten Mal, seine schwule Liebe zu leben. Louis erfährt aber, dass Joe für den gefürchteten republikanischen Anwalt Roy Cohn arbeitet, ein Rassist, Kommunistenhasser und verantwortlich für Gesetze gegen Schwule. Roy Cohn ist ein bigottes Schwein wie viele Konservative und ausgerechnet er, der große einflussreiche Roy Cohn, erkrankt an Aids und gesteht Joe, dass er ein geheimes schwules Leben führt. Später, auf dem Totenbett, erscheint ihm die Kommunistin Ethel Rosenberg (Meryl Streep), die er einst auf den elektrischen Stuhl brachte. Roy wird beeindruckend von Al Pacino gespielt, den man meist aus Krimis kennt und diese große künstlerische Kraft nicht zugetraut hat.

Die grandiose Schauspielerin Emma Thompson spielt einen Engel, der Prior immer wieder erscheint. Die Zimmerdecke bricht zusammen, alles steht in Flammen und der kranke Prior vereinigt sich in einer furiosen Szene sexuell mit dem Engel.

Prior stirbt, er klettert eine flammende Leiter ins Paradies hinauf und vor ein himmlisches Gericht, das er überzeugt, dass er weiterleben will und muss. Er ist es auch, der im Epilog seinen Freunden im Jahre 1990 berichtet, dass er schon seit fünf Jahren Aids überlebt hat und weiterleben will und dass die Schwulen nicht aussterben werden, was auch immer geschieht.

Ein grandioses filmisches Gedicht, so ungewöhnlich in diesem Fernsehmüll voller Krimis und seichter romantischer Komödien. Man wundert sich, dass manche Fernsehredakteure sich nicht zu Tode schämen, dass sie so viel Mist produzieren, und man dankt der ARD, dass sie so einen wunderbaren Film ausstrahlt. Er macht Hoffnung, dass man auch Kunst verkaufen kann, dass man Visionen haben darf in dieser armen TV-Landschaft, der auch meine Studenten erlegen sind und immer mehr verblöden unter diesem Quotendruck.

Aids gibt es immer noch, trotz besserer Mittel. Gerade ist mein bester Freund Ovo Maltine, mit dem ich viele Filme drehte, mit 38 Jahren verstorben, und in Erinnerung habe ich Hunderte von wertvollen Menschen, die mein Leben bereicherten, die es nicht geschafft haben und die von Engeln betreut auf uns Schwule schauen und ihnen Kraft geben für einen Kampf gegen Krankheit, Homophobie, religiöse Heuchelei und gewaltbereite Idioten.

„Engel in Amerika“: Folge eins und zwei, ab 21 Uhr 40 in der ARD; die Teile drei und vier folgen am Pfingstsonntag ab 23 Uhr 20, die letzten beiden Episoden sind am Pfingstmontag ab 22 Uhr 45 zu sehen.

Der Regisseur Rosa von Praunheim lebte in den 80ern in New York, wo er sich in der Aids-Bewegung engagierte. Dort drehte er auch eine Aids- Triologie und „Überleben in New York“. Zurzeit lehrt er an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam.

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