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Medien: Der Sexualdemokrat

In den 60er Jahren wurde in deutschen Betten erheblich mehr geraucht als gefickt. Es war kein Problem, Männer und Frauen zu zeigen, die sich vorher, nachher und anstatt eine Zigarette anzündeten, nur der Vorgang dazwischen war von Nebeln umwabert.

In den 60er Jahren wurde in deutschen Betten erheblich mehr geraucht als gefickt. Es war kein Problem, Männer und Frauen zu zeigen, die sich vorher, nachher und anstatt eine Zigarette anzündeten, nur der Vorgang dazwischen war von Nebeln umwabert.

Dann kam Oswalt Kolle, gelernter Landwirt und Boulevard-Reporter, und sagte den deutschen Männern und Frauen, dass die Erektion kein kleiner Hitlergruß wäre, dessen man sich schämen müsse, und auch der Orgasmus der Frau keine Schande. Für viele Hausfrauen war er „eine Mischung aus Tom Jones und Jesus“, für viele Männer, die ihre Monopole bedroht sahen, appellierte er „an die niedrigsten sexuellen Instinkte“ und bedrohte „den Bestand der Gesellschaft". Kolle war und ist immer noch ein Aufklärer, der „den Menschen helfen möchte, weniger unglücklich zu sein“; bescheidener kann man ein großes Ziel kaum formulieren, dennoch wurde er wie kein anderer mit Häme, Gemeinheiten und Unterstellungen überschüttet, bis er in den 70er Jahren in das liberale Holland umzog, wo er seitdem lebt.

Inzwischen ist Kolle als Volksaufklärer rehabilitiert, sein Beitrag zur Kulturgeschichte der Bundesrepublik anerkannt. Jetzt hat ihn sogar die ARD mit einem Film geehrt: „Kolle – Ein Leben für Liebe und Sex". Der Titel versprach Schreckliches, ein Melodram oder ein Heldenepos. Doch es wurde ein schöner, leichter, witziger und politischer Film, in dessen Mittelpunkt „der Sexualdemokrat“ Kolle steht, der eben nicht nur die Gesellschaft, sondern vor allem sich selbst befreien möchte – auf dem Umweg über seine Arbeit. Und es wurde nicht Kolles Leben gezeigt, sondern nur eine Episode daraus: sein Kampf mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft („Der Schwanz bleibt drin!") um die Zulassung seines Films „Das Wunder der Liebe“, der heute, nach fast 40 Jahren, so harmlos wirkt wie die Sendung mit der Maus. Zur Atmosphäre jener Jahre, da ehemalige NS-Juristen über „Moral“ richteten, gehörte auch der fortschrittliche Mief im linken Milieu, wo man zuerst „das System“ abschaffen wollte, bevor man sich den Menschen zuwandte.

Kolle hatte andere Prioritäten. Denn auch ein Aufklärer ist nur ein Mensch, vor allem, wenn er ein Mann ist. Er verliebt sich in eine junge Reporterin, die ihn als Scharlatan entlarven soll, und bittet seine Frau, mit ihr zu reden, damit alle glücklich werden. Ja, so war es damals in den 6oer Jahren, lange vor „Big Brother“ und all den anderen Orten öffentlicher Kommunikation.

Heute wird in deutschen Betten mehr gefickt als geraucht. Es ist, Kolle sei Dank, ein Schritt mehr in die richtige Richtung.

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