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Medien: Der unbekannte Nazi

Das Dritte-Reich-Fernsehen boomt – offensichtlich an der Jugend vorbei

Der Super-Nazi macht Quote: Allein im März gingen auf den deutschen Fernsehzuschauer 87 Sendungen mit Hitler und Co. nieder. Wer sich ranhält, konnte im Schnitt also dreimal pro Tag Drittes Reich sehen. Besonders erfolgreich sind Filme, die entlasten, indem sie die Täter in den Mittelpunkt stellen und das schon im Titel ankündigen: „Hitlers Krieger“, „Hitlers General“, „Hitlers Eliten“, „Hitlers Handlanger“, „Hitlers letzte Tage“.

„Hitler und Co. als Fernsehstars“ überschrieb deshalb auch das Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms sein Symposion, bei dem es darum ging, welche Inhalte die zahlreichen Schnurrbart-Dokumentationen transportieren und was sie letztlich bewirken, wenn schon sechs Monate nach der Ausstrahlung von Jo Baiers „Stauffenberg“ in der ARD 80 Prozent der unter 29-Jährigen sagen, sie hätten diesen Namen noch nie gehört. Nach einer Umfrage des ZDF und der Tageszeitung „Die Welt“ konnte nur jeder zweite Deutsche unter 24 Jahren mit dem Begriff Holocaust den millionenfachen Mord an europäischen Juden in Verbindung bringen. Insgesamt kannten vier von fünf Befragten diesen Aspekt des NS-Rassenwahns.

Rühren solche Zahlen von der Art und Weise her, wie sich das Fernsehen des Themas annimmt? Beim Symposium sorgte vor allem die Frage, welcher stilistischer Mittel sich Autoren von NS-Dokumentationen bedienen dürfen, für Zündstoff und offenbarte nicht nur einen Glaubens-, sondern auch einen Generationenkonflikt.

Georg Hafner beispielsweise vom Hessischen Rundfunk und ein Vertreter der „Dinosaurier“ unter den Autoren bekannte, dass er zeitweise sogar Musik im Dokumentarfilm abgelehnt hatte. Inzwischen sucht er einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen traditioneller Filmsprache – Kahle Bäume, Bahngleise, Menschenleere, Schwarz-Weiß, Klezmer-Musik – und Hirschbiegels fokussierendem „Der Untergang“.

Für Patrick Hoerl, Leiter des Discovery Channell Deutschland, ist ein solcher Zwiespalt nicht mehr nachvollziehbar: „Das Interesse an Geschichte ist heute ein anderes als noch vor fünf Jahren.“ Auch Michael Kloft von Spiegel TV sieht das so: Vor den hochgelobten Filmen aus den 70er Jahren „laufen sie heute schreiend davon“.

Hoerl präsentierte in Stuttgart „Geschichte virtuell: Hitler und der 20. Juli“, eine technisch äußerst aufwändige Produktion mit authentischem sowie selbst hergestellten Material, vor allem aber mit einem am Computer nach Machart von Frankenstein gebastelten und jetzt schauspielernden „Hitler“ nebst Personal. „Wir wollen nicht bebilderte Geschichtsforschung betreiben, sondern Fernsehen machen. Nur durch Geschichten können Zuschauer gewonnen werden.“ Die akademische Diskussion, ob Dokumentarfilmer inszenieren und sich dramaturgischer Kunstgriffe bedienen dürfen, interessiert bei Discovery Channel nicht. „Ein Bild ist per se nicht nur ein Bild. Was es ist, liegt allein im Auge des Betrachters.“

Die Frage, ob der Zuschauer die Unterschiede zwischen authentischem Material und Inszenierung erkennen kann und muss, bewegte die eher „old fashioned“ orientierten Macher der Öffentlich-Rechtlichen. Und das, obwohl sich ihr mit Grimmepreisen überhäuftes Aushängeschild, Heinrich Breloer, seinen Namen gerade durch das Doku-Drama gemacht hat. Breloer jedoch trenne akribisch und für das Publikum jederzeit erkennbar zwischen Dichtung und Wahrheit, so Christian Deick, selbst Autor vieler Geschichtsdokumentationen für das ZDF.

Wie tragend die Rolle des Fernsehens bei der Vermittlung von Geschichte ist, zeigt die Tatsache, dass der unablässig selbst mit historischen Themen auf dem Bildschirm präsente ZDF-Abteilungsleiter Guido Knopp heute als Deutschlands bekanntester Historiker gilt. Dabei erreicht das ZDF mit seinen Dokumentationen ausnahmsweise auch jüngere Zuschauer, und um die geht es bei den Privaten in erster Linie: Die 14- bis 49jährigen sind die Zielgruppe der Werbung.

Spiegel TV gewann sie durch das Dritte Reich in Farbe. Autor Michael Kloft hatte seine Dokumentation aus privaten Original-Filmaufnahmen zusammengestellt: Weintrauben essende deutsche Besatzer in Frankreich, genauso wie Erschießungen – gefilmt zum Beispiel von einem Soldaten, der als Chronist seiner Einheit in Jugoslawien die Kamera hielt.

Den einzigen gemeinsamen Nenner für die Diskussion unter den Dokumentarfilmern lieferte ein Interview mit dem Historiker Joachim Fest, den übrigens alle Sender als Berater bemühen. Er rät den Autoren, sich nicht nur auf die Quellen zu verlassen, sondern auch auf die eigene Einfallsgabe. „Wer die nicht besitzt, soll es lassen.“

Sybille Neth

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