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© Cinetext

Medien: Der Willen-Brecher

Thomas Kretschmann spielt den Kapitän Wolf Larsen in der Neuverfilmung des Abenteuerklassikers „Der Seewolf“.

Nach 40 Minuten ist es so weit. Der Seewolf zerquetscht mit bloßen Händen eine rohe Kartoffel. Es kann bei Pro 7 am Montagabend natürlich auch 50 Minuten dauern, bis endlich die Kartoffel kommt, je nach Werbeblockdauer vorher. Sagen wir es ohne Umschweife, die nervige Sache mit den Unterbrechungen ist noch das Einzige, was zwei großartigen Filmabenden im Wege stehen könnte. „Der Seewolf“, der große Abenteuerroman von Jack London, in der Neuverfilmung mit Thomas Kretschmann als Kapitän Wolf Larsen ist beste, spannende, anspruchsvolle Unterhaltung. Ein Fernsehereignis zum Ende des Jahres, und da nach wenigen Minuten Schopenhauer und Shakespeare zitiert werden, ist festzuhalten: Achtung, das ist schon auch Qualitätsfernsehen.

Und sicher eine der frühesten kollektiven Fernseherinnerungen überhaupt. „Der Seewolf“ – da denken alle zunächst an den unvergessenen Raimund Harmstorf in Wolfgang Staudtes vierteiliger Verfilmung von 1971. Zur Adventszeit, ein Straßenfeger. Staudte verwob damals Motive aus mehreren Romanen Jack Londons, was Erfolg und Klasse keinen Abbruch tat. 2008 kommt „Der Seewolf“ anders daher. Er konzentriert sich fast ausschließlich auf Londons gleichnamigen Bestseller von 1904. Regisseur Christoph Schrewe („Der Bibelcode“) und Drehbuchschreiber Holger Karsten Schmidt legen damit Schichten frei, an die Staudte und Harmstorf vor 40 Jahren nicht herankamen.

Den Plot kennt jedes Kind. Ein gewaltiges Seeabenteuer. Die Geschichte des Schöngeists Humphrey van Weyden, der bei einem Schiffsunglück über Bord geht und von dem Robbenfangschiff „Ghost“ aufgelesen wird. Dessen Kapitän, Wolf Larsen, ein Mann von großer physischer Stärke terrorisiert die Mannschaft, die aus Mördern, Dieben und Gaunern besteht. Larsen hat sich seine eigene Philosophie nach sozialdarwinistischen Grundsätzen geschaffen. Ein Alphatier. Menschen sind für Larsen ohne Wert, deren Überlebenskampf er gerne zusieht, deren Willen er mit perfiden Unterwerfungsmethoden bricht. Sein Motto: Das Streben nach Unsterblichkeit ist sentimentaler Unsinn, Altruismus eine Dummheit, die sich nur jemand leisten kann, der wie van Weyden in Wohlstand hineingeboren wurde. Larsen spielt mit Humphrey van Weyden, indem er ihn demütigt, als Küchenjungen arbeiten lässt und ihn später, ohne dass er seemännische Kenntnisse hätte, zum Steuermann macht. Van Weyden lernt, sich in dieser Welt zu behaupten und, wie Larsen am Ende feststellt (feststellen muss!), „endlich auf eigenen Füßen zu stehen“.

Bei aller Physis – der deutsche Hollywoodstar Thomas Kretschmann („Wanted“, „Der Untergang“, „King Kong“) hat sich mit einer Analyse des körperbetonten Stils von Raimund Harmstorf gar nicht lange aufgehalten. Auch nicht bei der zerquetschten rohen Kartoffel, eben jener Szene, die in die Fernsehgeschichte eingegangen ist. „Jeder wird drauf schauen, wie ich sie spiele. Aber ich glaube, man sollte sie nicht zu pathetisch spielen.“

Aus Kretschmanns insgesamt dreistündigem „Seewolf“ wird eher anderes in Erinnerung bleiben. „Archaisch“ hat Regisseur Schrewe den nachdenklichen, getragenen Stil seines Hauptdarstellers genannt. Was auch am Zusammenspiel mit Jungstar Florian Stetter liegt, der den Antipoden gibt, van Weyden; der Mann, aus dessen Blickwinkel der Seewolf abscheulich und faszinierend zugleich erscheint, schon in der ersten Begegnung auf der „Ghost“.

Eine Psychostudie. Ein Duell. Faszinierend, wie sich die beiden umschleichen, näherkommen, abstoßen, verachten, möglicherweise auch für das, was sie am anderen erkennen und selber gerne hätten. Macht, Recht, Wille, Liebe, Mitleid, Ideale – der einzelgängerische Kapitän lässt sich in Diskussionen auf den Literaturkritiker van Weyden ein und beschleunigt damit seinen eigenen Untergang.

Ein Wagnis ist auch Pro 7 eingegangen, nicht nur wegen eines Titelstreits, den der Sender erst vor ein paar Wochen gegen Tele München gewonnen hat; die Firma produziert mit Sebastian Koch in der Hauptrolle für das ZDF eine zweite, international besetzte Neuverfilmung für den Herbst 2009. „Mit dem Verlust seines Selbst verliert der Mensch auch das Bewusstseins seines Verlustes“, sagt Wolf Larsen. Mit solchen und ähnlichen Dialogsätzen aus dem Repertoire des Darwinisten und Nietzsche-Freundes dürfte der gemeine Zuschauer des Privatfersehens mitunter wenig anfangen können.

Dafür wird dieser entschädigt mit reichlich Seglerlatein, Boxeinlagen, Robbenjagden, Haien, Totschlag, abgebissenen Gliedmaßen, orchestraler Dauerbegleitung und Sturmszenen. Drei Monate wurde „Der Seewolf“ auf den Bahamas gedreht. Fast die gesamte Crew soll während der Zeit in der Karibik seekrank geworden sein, sicher auch die elfenbeingleiche Petra Schmidt-Schaller, eine schauspielerische Neuentdeckung, die dem zweiten Teil des Männerwelten-Dramas als weitere Schiffbrüchige Maud Brewster die nötige Portion Sexappeal verleiht. Völlig romangetreu übrigens. Eine schöne, intelligente Frau auf hoher See zwischen zwei Männern, zwischen Softie und Macho, zwischen Leseratte und Robbenjäger, zwischen van Weyden und dem Seewolf – mindestens diese eine Frage dürfte bis zum Schluss ein paar Millionen Zuschauer bei Laune halten. Über die Kartoffel hinaus.

„Der Seewolf“, Montag und Dienstag, Pro 7, jeweils 20 Uhr 15

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