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Medien: "Deutsche Lebensläufe": Keine Vorbilder

"Ach die Deutschen", seufzte neulich der Kosmopolit Daniel Barenboim: "Sie vergessen immer, dass es Hellgrau gibt". Wenn aber drei ARD-Sender (SWR, ORB, SFB) sich zusammentun, um in ihren Dritten Programmen eine sechsteilige Reihe mit "Deutschen Lebensläufen" von Künstlern zu präsentieren, dann leuchtet genau dieses Hellgrau plötzlich auf.

"Ach die Deutschen", seufzte neulich der Kosmopolit Daniel Barenboim: "Sie vergessen immer, dass es Hellgrau gibt". Wenn aber drei ARD-Sender (SWR, ORB, SFB) sich zusammentun, um in ihren Dritten Programmen eine sechsteilige Reihe mit "Deutschen Lebensläufen" von Künstlern zu präsentieren, dann leuchtet genau dieses Hellgrau plötzlich auf. Sie waren nicht Helden, nicht Opfer, sie verhielten sich nicht nur einfach richtig oder falsch, sie liefen auch nicht mit eingezogenem Kopf irgendwie mit. Sie waren Künstler, lebten in den diktatorischen Systemen des 20. Jahrhunderts und mussten sich entsprechend verhalten. Sie sind vieldeutige, schillernde Teile dieser Geschichte.

B 1 beginnt mit Heinz Rühmann ("Der Überlebenskünstler"), dem Inbegriff des sympathischen Kleinen Mannes. Verschmitzt tanzt, scherzt und liebt er sich durch die finsteren Jahre der Nazizeit. Das Volk liebt ihn, Quax, den Bruchpiloten, lacht über Pfeiffer mit drei F, während die Bomben fallen. Rühmann lässt sich aus Karrieregründen von seiner jüdischen Frau scheiden, sorgt aber weiter finanziell für sie. Er arbeitet brav in Goebbels Sinne und ist doch kein richtiger Nazi. Ein Opportunist? "Rühmann blieb sich immer treu", sagte Helmut Käutner später, "ein ehrlicher Makler seiner Begabung".

Ähnlich wie dieses Portrait von Ulrike Kahle verfahren auch die anderen: ordentlich von der Kindheit bis zum Tode erzählen sie Lebensgeschichten und richten den Fokus auf das politische Verhalten. Da ist der Dirigent Wilhelm Furtwängler, ein Meister des Balancierens zwischen willfähiger Propaganda und hoher, heroisch-deutscher Kunst. Da ist die Bayreuth-Chefin Winifred Wagner, die noch in den 70er Jahren ihrem "Wolf", sprich Adolf Hitler, liebend anhängt - zum Entsetzen so manchen Wagnerianers. Ullrich H. Kasten und Fietje Dwars erzählen von Johannes R. Bechers rigider Erziehung, die ihn in Drogen, Selbstmordversuche und eine Machtsucht trieb, die ihn trotz klarer Erkenntnis nicht von Hymnen auf Stalin abhielt. Gabriele Conrad und Gabriele Denecke beschreiben Heiner Müllers trocken-zynische Haltung zum DDR-Regime, das ihm hinreichend Stoff zum Schreiben bot. Und schließlich ist da Joseph Beuys, der sich nach bitteren Kriegserfahrungen zu seiner eigenen Erlöser-Legende machte (ein Beitrag von Thomas Palzer).

Jugenderfahrungen und Erziehungsmuster dienen implizit als Begründungen auch für das politisch-öffentliche Verhalten in problembeladenen Zeiten. Aber die Autoren verzichten allesamt auf einfache Psychologisierung und - wichtiger noch - auf Be- oder Verurteilung. Sie sehen in den Künstlern historische Persönlichkeiten ohne Vorbildcharakter, aber als Beispiele für die Komplexität menschlichen Verhaltens.

Politische Kultur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wie es besser kaum geht: informativ, unterhaltsam, sehr gut gemacht - und ein Stück Geschichtsschreibung aus einer Perspektive, die so persönlich wie allgemein gültig erscheint. Wie war das noch mit den Debatten der vergangenen Wochen - Leitkultur, Nationalkultur, Stolz auf ... ? Wenn Kultur tatsächlich zur Identitätsbildung eines Staates beitragen kann, dann gehören derart zwiespältige, facettenreiche Geschichten dazu.

Mechthild Zschau

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