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Neue Wege: Neun Jahre nach dem letzten Relaunch hat sich Deutschlandradio Kultur, das im ehemaligen Rias-Gebäude in Berlin residiert, eine Programmreform verordnet. Foto: pa/dpa

© picture alliance / dpa

Deutschlandradio Kultur: Sender im Suchlauf

Seit einer Woche sendet Deutschlandradio Kultur sein neues Programm. In der Theorie klingt die Idee vom Diskursradio interessant, in der Praxis holpert es jedoch noch an einigen Stellen.

Hermann Hesse ist wirklich nicht zu beneiden. Wie so oft, wenn irgendwo irgendwas neu gemacht wird und diesem Anfang angeblich ein Zauber innewohnt, muss er mit seinem berühmten Gedicht „Stufen“ herhalten. So auch bei der Programmreform von Deutschlandradio Kultur. Kurz bevor es damit am Samstag vergangener Woche losging, zitierte Moderator Christopher Ricke den allseits bekannten Anfang-Zauber-Satz im Gespräch mit seinem Chef Jürgen König. Der freute sich über den literarischen Mutzuspruch. Kein Wunder, bei dem Plausch der beiden ging es um die neue Sendung „Studio 9“. Sie ersetzt die bisherige „Ortszeit“ und ist eines der heißesten Eisen bei der umstrittenen Programmreform.

Um sich deutlicher vom Deutschlandfunk abzugrenzen, verabschiedete sich der Berliner Schwestersender von der üblichen Politikberichterstattung. Das Programm, so die Idee, soll jetzt als Diskursradio fungieren und Politik stärker mit Kultur verknüpfen. So holprig wie dieser Anspruch klingt bisweilen auch das Resultat. Besonders mittags und abends, wenn nun zwei Moderatoren durchs Programm von „Studio 9“ führen und sich wie im Rollenspiel alle paar Sätze abwechseln.

Zwei Moderatoren, zwei Meinungen, endlose Anmoderationen

Theoretisch bekommen die Hörer dabei zwei klare Meinungen zu ein und demselben Thema präsentiert. In der Praxis führt jenes Hin und Her mitunter zu endlosen Anmoderationen. Wie am Dienstag, als die Moderatoren nach ihrer zweiminütigen Diskurs-Reise von Steinmeier in Kiew über die EU-Außenminister in Luxemburg und Putin in Wien mit reichlich Quietschen endlich die Kurve zum Bericht von Korrespondentin Sabine Adler bekamen.

Die vierstündige Frühausgabe von „Studio 9“ kommt da mit der gewohnten Einzelmoderation entspannter daher. Und weil Dieter Kassel in dieser Woche hinter dem Mikrofon den Auftakt machte, erschien sie zudem ungewöhnlich vertraut. Kassel führte bislang unter anderem durch das „Radiofeuilleton“. Das ehemalige Flaggschiff und Alleinstellungsmerkmal des Senders gibt es nicht mehr.

An der Stelle der mehrstündigen Melange mit ihren vielen kurzen Schwerpunkten und Einwürfen stehen jetzt am Vormittag drei einzelne Formate: die Interview-Sendung „Im Gespräch“, das Literaturmagazin „Lesart“ und die „Tonart“. Alle eine Stunde lang und wie in Schubladen fein säuberlich voneinander getrennt. Das mag das Programm übersichtlicher machen, interessanter oder gar dynamischer ist es dadurch nicht.

Der Reiz des „Radiofeuilletons“ bestand für die Hörer in der Überraschung, im Sich-treiben-Lassen. Wenn etwas nervte, was nicht selten vorkam, gab es ein paar Minuten später garantiert wieder etwas Neues. Nach der Frühausgabe von „Studio 9“ wirken die drei neuen Sendungen nun wie Monolithen, beinahe Bremsklötze. Besonders wenn bei „Im Gespräch“ die Unterhaltung zwischen Gast und Moderator doch nicht so sprühend verläuft wie erhofft. Wer es hier nicht bis zu den Nachrichten aushält, ist erst mal weg. Womöglich beim Deutschlandfunk.

Rundgelutscht statt markant: die neuen Jingles

Gegenüber den Kölnern steckt Deutschlandradio Kultur mit seinem neuen Programm unüberhörbar in der Findungsphase. Die damit einhergehende Zaghaftigkeit merkt man nicht zuletzt den neuen Jingles an. Sie klingen einheitlicher und perfekter als die bisherigen markanten Soundkaskaden. Aber eben auch rundgelutschter und weniger verspielt.

Es wäre allerdings unfair, nach gerade mal einer Woche alles Neue zu verteufeln. Neun Jahre hat das alte Sendeschema gehalten, da darf hier und da auch über Veränderung nachgedacht werden. Und das Programm hat durchaus ein paar hübsche Dinge zu bieten. Das Kulturmagazin „Kompressor“ zum Beispiel, das mit seiner provokanten Herangehensweise einen schönen Kontrapunkt zum etablierten „Fazit“ setzt. Oder die „Tonart am Nachmittag“. Im Gegensatz zur Vormittagssendung ist sie das nerdigere Format. Hier geht es nicht um neue Platten oder Berichte aus der Branche. Stattdessen wird gerne mal eine halbe Stunde der Reiz von Vinylschallplatten durchdiskutiert und dabei Musik gespielt, die keine Socke kennt. Durchaus ein Gewinn für das Programm.

Von der nächtlichen „Tonart“ hingegen, die jetzt schon um kurz nach eins startet und damit den Sendeplatz der traditionsreichen Call-in-Sendung „2254“ einnimmt, kann man das nicht behaupten. Drei Stunden Klassik, Jazz oder Rock in Folge sind selbst nachts mehr als genug, um sich als Musiksender zu profilieren.

Nun sind es vier Stunden Musik und eine Petition für den Erhalt von „2254“. Fast zweitausend Unterschriften sind innerhalb einer Woche zusammengekommen. Ändern wird das vermutlich nichts. In diesem Fall sollten sich die Macher ihre Idee des Diskursradios noch mal überlegen.

Martin Meuthen

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