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Medien: Dichtung und Klarheit

Ein Film über die DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann setzt die Reihe der Biografien im Fernsehen fort. In der Hauptrolle: Martina Gedeck

Sonntagnachmittag, Berlin, im Straßengeflecht am Olivaer Platz. Mommsen, Leibniz, Wieland, man befindet sich in guter Gesellschaft, doch nichts deutet darauf hin, dass die Stimmung von Martina Gedeck gleich lockerer wird. Trüber Himmel. Der Edel-Italiener hat geschlossen. Wir müssen erst erst noch einen ruhigen Ort suchen. Ein kurzer Fußmarsch, man kommt langsam ins Gespräch, redet über dies und das, die Umstände der Verabredung, wo kann man gut sitzen, wo sind wir ungestört. 20 Minuten später ist es so weit. Die Paris Bar, ein Platz hinten in der Ecke. Die Schauspielerin legt ihren schwarzen Mantel ab, dann ein Fotoalbum auf den Tisch. Darin Bilder ihrer jüngsten Arbeit: „Hunger auf Leben“, das Leben von Brigitte Reimann, der gleichermaßen charismatischen wie gebrochenen DDR-Schriftstellerin.

Interview mit einem Schauspieler. Martina Gedeck blättert im Fotoalbum. Sie erklärt die einzelnen Bilder, vor der Kamera, hinter der Kamera, stellt die Kollegen vor. Es gibt Leute, die behaupten, man brauche Schauspieler gar nicht zu interviewen, weil die eh immer eine Rolle spielen. Andere sagen, es sei rührend, wie interessiert Prominente tun, dabei wollen die gar kein Interview geben, sondern lieber schlafen. Bei der Gedeck ist das anders. Nicht nur wegen der langen Aufwärmphase am Anfang des Gesprächs, nicht nur wegen des Fotoalbums, der ansteckenden Mischung aus Wachsamkeit, Professionalität und kindlicher Begeisterung, mit der die Schauspielerin ihren Film vorstellt. Als ob sich bei ihr die Energie aus der Rolle, aus der Figur Brigitte Reimann, die Energie aus den Dreharbeiten noch Tage, Wochen später fortsetzt.

Stasi, drei Ehemänner, Arbeitswut

„Hunger auf Leben“ – sechs Wochen am Set in und um Leipzig liegen hinter Martina Gedeck, insgesamt ein Jahr Vorbereitung für die große MDR-Produktion, die im August ausgestrahlt wird. Sicher einer der Höhepunkte des kommenden Fernsehjahres. „Es ist einer meiner Lieblingsfilme geworden“, sagt Martina Gedeck. Zum ersten Mal spielt sie eine Figur, die wirklich gelebt hat. Mit der sie das macht, was sie schafft wie kaum eine Zweite in Deutschland: „Eintauchen in die Figur“, nennt sie das. Sie hat mit Reimanns Bruder gesprochen, mit der besten Freundin, Schreibmaschine gelernt, die Tagebücher gelesen, den großen Roman „Franziska Linkerhand“. Sie ist eingetaucht in die DDR der 50er-Jahre, in ein unangepasstes Leben zwischen Stasi, drei Ehemännern, Geliebten und Arbeitswut. Die Reimann habe sie immer schon „sehr, sehr interessiert“, sagt Martina Gedeck und steckt sich die erste von zig Zigaretten an. „Sie war eine unheimlich lebendige Frau. Sie war mir sehr plastisch. Dadurch wurde es eine konkrete, sehr klare Arbeit.“ Nach Willy Brandt, Deutschlands Besten und den Wundermännern von Lengede mit der DDR-Schriftstellerin nun also eine etwas dunklere, unbekanntere deutsche Biografie. „Hunger auf Leben“ sei kein Lehrfilm über die DDR, betont Martina Gedeck. „Dafür war die Reimann als Schriftstellerin viel zu vereinzelt. Mir geht es um die starke Kraft in ihrem Leben, um die Widersprüche, den so genannten Bitterfelder Weg, mit der Arbeit der Künstlerin in der Fabrik. Und warum sie trotz zweier Tagebücher ein Geheimnis bleibt.“ Martina Gedeck kommt ins Reden, bestellt eine zweite Flasche Wasser, ein Glas Wein. Es gibt Schauspieler, die sich mit Journalisten wohler fühlen. „Ich bin kein glücklicher Interviewpartner, es wird so viel missverstanden.“ Wirklich? Die Art ihrer Arbeit, ihr Anspruch, das Wesen guter Bücher, ihr Image in der Öffentlichkeit - fast in jeder Antwort, jeder Äußerung kommt das Wort „klar“ vor. Und dann gibt es Sachen, über die lässt Martina Gedeck gar keine Missverständnisse zu. Entspannter wird es jedenfalls nicht, wenn die Rede nicht nur auf den neuen Film, sondern auf Privates kommt. Und dann besser auch nicht mehr auf den Freitod ihres damaligen Lebensgefährten Ulrich Wildgruber.

Also gut. Unmissverständlich klar ist: Kindheit in Landshut und Berlin, dann Max-Reinhardt-Seminar, Theaterstationen, 1988 die erste Hauptrolle in Dominik Grafs „Die Beute“. Danach „Hölleisengretl“, „Bella Martha“, „Rossini“, „Deine besten Jahre“, „Das Leben ist eine Baustelle“, über 50 Kino- und TV-Rollen, allein acht in diesem und dem vergangenen Jahr. Sie spielt mal romantisch, mal zickig, mal schlampig, mal gediegen. Arbeitet mit den besten Regisseuren. Der Lohn: 13 Film- und Fernsehpreise. Zuletzt saß sie in der Berlinale-Jury. Dazu Lesungen, wie die mit Gedichten von Gertrud Kolmar am Mittwoch im Literaturhaus, Fasanenstraße.

Und jetzt der Film über Brigitte Reimann, der Tragisch-Exzessiven, ihr kurzes Leben 1933 bis 1973. Der Aufbau-Verlag hatte die Reimann 2003 zum 30. Todestag mit der Neuedition des postum erschienenen Romans „Franziska Linkerhand“ ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Ein weiterer Höhepunkt in der Karriere von Martina Gedeck. Die perfekte Rolle für die 38-Jährige. Schon wegen des Äußeren. „Herbschön“ hat sie der „Stern“ genannt. Braune Augen, fast ungeschminkt, sinnliche Lippen, schwarze Kleidung, dunkles Haar, grazile Figur, etwas unnahbar wirkend - wenn man nicht aufpasst, geraten einem die Bilder durcheinander, die von der Schauspielerin und der Schriftstellerin und dem Album von den Dreharbeiten.

Wieder das Klicken des Feuerzeugs, Zigarettenrauch. Martina Gedeck schaut Richtung Tür. Hat sie ihr Interesse an der Figur Brigitte Reimann richtig vermittelt? Hat ihr Gesprächspartner überhaupt die Tagebücher gelesen? Man merkt: Jedes Wort ist ihr wichtig. Und man denkt: Wie so ein Gespräch wohl wäre - ohne öffentlichen Raum? Schwer zu sagen, ob Deutschlands meistbeschäftigte Schauspielerin ihrer Generation im Promi-Lokal gleich erkannt wird. Eher nicht. Ob sie ein Star sei, will man wissen. Wahrscheinlich, aber das sei doch die Rezeption der anderen. „Die Dinge sind alle zu mir gekommen.“ Was ist mit Talkshows? Die Schauspielerin drückt die Zigarette aus. „Ich hab bestimmt acht gemacht.“ Das sagt sie so, als ob das für immer reiche.

Nicht immer tun, was andere sagen

In ein paar Wochen läuft ein anderer Film im ZDF: „Ins Leben zurück“. Die Geschichte einer Frau, die nach ihrer verschwundenen Tochter sucht. Es geht um Verlust, und wie man damit umgeht. Klingt nach tragischem Leben, klingt auch nach Reimann. Auffällig ist die gedrückte Stimmung in vielen Filmen mit der Gedeck. Was ist mit „Bella Martha“, wo die Heldin nach dem Tod ihrer Schwester zu sich selbst findet? Oder „Deine besten Jahre“, der Tod einer nahen Person, des Mannes. Oder „Die Mutter“, wieder eine verschwundene Tochter, eine Lebenskrise. Nun die Reimann, deren Leben stark vom Kommen und Gehen geliebter Männer geprägt war, dem Verlust von politischen Idealen, schließlich vom Krebs. Klasse Rollen-Auswahl. Aber alles Zufall? Oder doch Absicht? Entgeisterter Blick auf den Fragesteller. „Auf keinen Fall. Ich mag lieber Filme, die ins Leben weisen.“ Klar habe die Art, wie sie eine Figur interpretiere, stark mit der eigenen Entwicklung zu tun. Den Menschen Mut machen, nicht immer das zu tun, was andere ihnen sagen, sie erreichen durch „eine klare Haltung“ – das reize sie. Auch an der Reimann oder am nächsten Film, „Operation Skorpion“, wieder ein deutsch-deutsches Thema.

Das Band auf dem Tisch ist aus. Langes Nachdenken über die letzte Frage, die Sache mit den traurigen Rollen. Dann noch ein Tipp: „Lesen Sie die Linkerhand! Es ist fantastisch!“ Ein Lächeln draußen auf der Kantstraße. Sie sagt: „Viel Glück“. Die Schauspielerin verschwindet in der herbstlichen Abenddämmerung. Ein Kritiker sagte mal, Gedecks Kunst sei es, einen Menschen im Innersten zu erschließen, der am liebsten überhaupt nichts von sich preisgäbe. Brigitte Reimann hat in ihrem Tagebuch geschrieben: „An mein Innerstes lasse ich keinen heran, ich will nicht, dass ein anderer mich besitzt.“

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