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Medien: Die Berater-Falle

Heute Abend ist Endspiel bei der Bundestagswahl. Einer wird es schaffen. Woran hat’s dann gelegen: an der Politik oder am Fernsehen?

Von Dietrich Leder

Spannender kann ein Wahltag nicht sein. Es ist nicht nur ungewiss, wer wie abschneidet, sondern auch, wer mit wem anschließend koalieren darf oder muss. Dem Fernsehen bekommt eine solche Spannung sehr. Die Wahlsendungen werden einen hohen Zuspruch erfahren, der der Quote bei großen Sportereignissen ähnelt. Auch strukturell gleicht ein Wahlsonntag dem Endspiel einer Weltmeisterschaft. Hier wie dort endet eine wochenlange Auseinandersetzung mit einer definitiven Entscheidung.

Dass das Fernsehen von der Politik profitiert, mag eine banale Feststellung sein. Doch sie muss in diesen Tagen laut gesagt werden, da derzeit nur vom Gegenteil die Rede ist. Der Wahlkampf sei auf eine bislang nie gekannte Weise vom Fernsehen mitbestimmt worden, tönt es landauf, landab. Besonders das Unionslager scheint sich mit einer satten Fernsehschelte auf die Lage vorbereiten zu wollen, dass ihr Kandidat den respektablen Vorsprung des Frühsommers verspielt hat. Wenn Edmund Stoiber nicht Kanzler wird, kann und darf das nicht an ihm und den ihn tragenden Parteien gelegen haben. Dann hat das Fernsehen die Schuld, das ihn – wie die „Bild“-Zeitung vor dem zweiten Duell mit Gerhard Schröder ängstlich titelte – durch Sabine Christiansen in die „Stolperfalle“ lockte.

Nun ist die Kritik am Fernsehen keine Erfindung der Union. Allgemein wird gerne vom Verlust gesprochen, den die Politik in Zeiten des Fernsehens erlitten habe. Beispielsweise sei die Politik durch das Fernsehen, das ja Gesichter und Geschichten braucht, in hohem Maße personalisiert worden. Für eine solche Annahme spricht die Einrichtung des Fernsehduells zwischen Schröder und Stoiber, das angesichts des deutschen Wahlrechts, das ja keine Direktwahl des Kanzlers kennt, eine Fehlkonstruktion zu sein scheint. So könnte es im Falle einer großen Koalition dazu kommen, dass weder der eine noch der andere schlussendlich Kanzler wird, sondern ein Dritter. Das Duell bliebe dann, was es war: eine langweilige bis muntere Talkshow ohne allzu viel politischen Nährwert.

Die Zentrierung des Politischen auf einzelne Führungsfiguren ist keine Erfindung des Fernsehens. Politische Konzepte wurden stets durch markante Personen, die sie repräsentierten, verkörpert. Ein Kanzler wie Konrad Adenauer war viele Jahre als Person und öffentliche Figur wichtiger als das, wofür seine Partei stand; und dazu zu einer Zeit, in der es das Fernsehen noch nicht gab oder es nur eine marginale Rolle spielte. So hat das Fernsehen die Personalisierung der Politik nicht erfunden. Es hat sie aber in eine besondere Form getrieben. Heutige Politiker müssen sich vor Kameras präsentieren und inszenieren können, wie in den 50er Jahren ihre Vorgänger Wirtshaussäle und Marktplätze beherrschen mussten. Selbstverständlich ist vieles von dem, was sie heute im Fernsehbild zeigen, nicht hundertprozentig mit dem identisch, was sie als Personen ausmacht. Aber die Kluft zwischen dem Behaupteten und Inszenierten auf der einen Seite und dem wahren Verhalten und Denken auf der anderen darf nicht zu groß werden. Spätestens dann wird das Fernsehen, für das die Inszenierung stattfindet, den Widerspruch offen legen.

So trainieren und schminken sich Politiker für den Auftritt vor Fernsehkameras. Oft erfolgreich. Aber eine bestimmte mediale Präsenz, wie sie auch guten Schauspielern oder Sportlern eigen ist, lässt sich so nicht erzwingen. Sie hat man, oder man hat sie nicht. Rudolf Scharping beispielsweise glaubte, sie mittels eines PR-Beraters erringen zu können. Eine Fehleinschätzung, für die er bitter büßen musste. Michael H. Spreng, der Edmund Stoiber berät, ging geschickter vor. Er versuchte nicht, aus dem stets hüftsteif und bürokratisch wirkenden Stoiber einen Fernsehunterhalter zu zaubern. Stattdessen verkaufte er durchaus geschickt die Schwächen seines Kandidaten als geheime Stärke. Die mangelnde mediale Präsenz, die Stoiber regelmäßig vor den Fernsehkameras beweist, sollte durch die Betonung seiner politischen Kompetenz kaschiert werden.

Im Umkehrschluss sollte suggeriert werden, dass der Konkurrent Schröder, dem man mangelnde mediale Präsenz nicht nachsagen kann, anscheinend der weniger Kompetente sei. Spreng wollte an das erste Regierungsjahr von Schröder erinnern, als der Kanzler durch viele Unterhaltungssendungen tingelte, an die zahlreichen Minister-Wechsel und an Schröders Wahlversprechen der 3,5 Millionen Arbeitslosen. Spreng und Stoiber übertrieben das Spiel mit dem Begriff der Kompetenz. Das zeigte sich beispielhaft im Begriff des „Kompetenz- Teams“ für einen Trupp älterer Unionspolitiker, die bis auf ein oder zwei Ausnahmen bereits unter Helmut Kohl ihre Kompetenz bewiesen hatten und deshalb 1998 abgewählt wurden.

Dass es in der Politik nicht alleine auf die Kompetenz ankommt, erwies sich in der Hochwasser-Katastrophe. Bei Stoibers Auftritten an der Sandsackfront war die Schwäche in der medialen Präsenz in fast jedem Bild zu spüren. Während Schröder mit ernster Miene durch das Wasser stapfte, gab sich Stoiber leutselig und ließ sich abbilden, wie er höchstpersönlich einen Sandsack ein paar Zentimeter weiterbeförderte. Der Auftritt beider Politiker war bis in die Wahl der wasserfesten Kleidung kalkuliert. Doch für die mediale Präsenz ist ein Gespür für die Angemessenheit von Gestik und Mimik entscheidend. Der Auftritt von Stoiber war unangemessen. Der taktische Fehler, zu einem für die Kameras inszenierten Gespräch der Ministerpräsidenten der von der Flut betroffenen Länder den SPD-Mann aus Brandenburg nicht einzuladen, während dessen CDU-Kollege aus dem trockenen Thüringen mit auf das Bild durfte, machte das Desaster perfekt.

Auch bei der Inszenierung solcher Ereignisse gilt es, das Augenmaß zu wahren. Dafür lieferte der weitgehend auf das Fernsehen abgestellte Wahlkampf der FDP das beste Beispiel. Lange Zeit schien er mit seinem Eindruck von Modernität und Farbigkeit äußerst erfolgreich zu sein.

Guido Westerwelle präsentierte seine Partei mit medienwirksamen Mätzchen aller Art. Von der Ziffer 18 als politischer Zielvorgabe über die Selbstnominierung als Kanzlerkandidat bis zum defektanfälligen Guidomobil. Alle Sender zeigten, wie Westerwelle aus seinem Guidomobil aus- und wieder einstieg. Hinter all den Scherzen und Auftritten verschwand die politische Substanz einer liberalen Partei. Und die demonstrative Moderne erwies sich im Niedergang der Internetfirmen als großer Nachteil. Die, die wie die Sieger wirken wollten, ähnelten nun den Verlierern der jüngsten ökonomischen Krise. Bestens gekleidet, die Haare frisch gegelt, aber arbeitslos und im Herzen furchtsam.

Das Hochwasser von Elbe und Müritz, die ökonomische Krise der modernen Informationstechnologien, auch die Gefahr eines möglichen Kriegs mit dem Irak haben allen Fernsehzuschauern, also auch Wählern, vor Augen geführt, dass die Politik in der Inszenierung von Personen und Ereignissen nicht vollends aufgeht. Genau das hat den Stimmungsumschwung zu Gunsten der noch regierenden Koalition zu Stande gebracht. Ob er reicht, ist die spannende Frage. Wenn er nicht reicht, dann beweist das vor allem, dass die Wähler jene Fülle von Fehlern nicht vergessen haben, die der Koalition in den letzten vier Jahren unterlaufen sind und die sich eben durch jede noch so geschickte Medienkampagne nicht verdecken ließen.

So könnte man die Spannung der letzten Tage und Wochen als Rache der Wähler am Medienzirkus der Parteien auffassen. Sie zeigen den Medienberatern, wie richtig gutes Fernsehen funktioniert.

Der Autor ist Professor für Fernsehkultur an der Kunsthochschule für Medien Köln.

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