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Medien: „Die Bush-Regierung will mich zum Sonderling stempeln“

Trotzdem ist Seymour M. Hersh der bestinformierte Journalist in Washington. Ein Gespräch über Informantenpflege und das Schweigen von Rumsfeld

George W. Bush nennt Sie einen Lügner, sein ehemaliger Berater Richard Perle bezeichnet Sie als einen Terroristen.

Die Strategie der Regierung ist eigentlich, mich zu ignorieren. Mich in eine Ecke zu stellen, als wäre ich ein Sonderling. Manchmal lassen sie sich doch zu Kommentaren hinreißen. Rumsfeld schimpft: „Wieder der Kamerad Hersh!“ Als ich anfing, über Abu Ghraib zu schreiben, sagte sein Chefsprecher: „Er wirft Mist an die Wand und guckt, was hängen bleibt.“ Dann kam heraus, wie falsch sie lagen.

Was heißt: Sie ignorieren Sie? Empfängt George W. Bush Sie nicht zum Interview wie Ihren Kollegen Bob Woodward?

Sie beantworten nicht einmal meine Fragen. Ich habe Rumsfelds private Faxnummer und schicke ihm manchmal Notizen. Keine Reaktion. Es ist absurd. Manche Mitarbeiter des Vizepräsidenten Dick Cheney kenne ich seit zwanzig Jahren. Selbst als Clinton Präsident war, trafen wir uns weiterhin vier, sechs Mal im Jahr, ohne dass eine Geschichte daraus entstand, einfach um Kontakt zu halten. Unser Verhältnis blieb freundlich, auch nachdem sie an die Regierung gekommen waren. Nach dem 11. September war es auf einmal kaputt. Mir wurde zugetragen, dass sie höllische Angst vor mir haben.

Welche Konsequenzen hatten Ihre Enthüllungen?

Wenn Sie damit meinen, was sie in den USA konkret verändert haben – wenig. Bush kümmert sich nicht darum. Man spricht von der Teflon-Zeit. Alles perlt von ihm ab. Andererseits, in der ganzen Welt war der Folterskandal von Abu Ghraib ein riesiges Thema.

Letztendlich perlte das Thema auch an den amerikanischen Wählern ab. Sie haben Bush trotzdem wiedergewählt.

Aber das liegt nicht daran, dass die Amerikaner dumm sind oder nicht lesen. Wir sind ein gespaltenes Land. Viele mögen Kerry nicht. Und wenn man Kerry nicht mag, will man gar nicht alles über Bush wissen, denn dann hätte man ihn nicht mehr wählen können. Damit erklären sich die wahnsinnigen Ergebnisse der Meinungsumfragen, nach denen noch immer 40 Prozent der Amerikaner glauben, Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen. Diejenigen, die Bush mögen, ignorieren meine Geschichten. Den anderen, die ihn hassen, liefere ich die Gründe dafür.

Vor einer Woche wurden die Generäle im Irak von ihrer Schuld für die Folterungen freigesprochen.

Ja, nur die Kleinen werden verfolgt. Das „Wall Street Journal“, das eine lausige Kommentarseite hat, schrieb: „Sollten die Amerikaner nicht glücklich sein, dass ihre Generäle nicht beteiligt sind?“ Es ist ein Skandal. Es gibt noch nicht einmal eine unabhängige Untersuchung.

Das muss Sie frustrieren.

Mich persönlich nicht. Ich mache weiter. Nächste Geschichte.

An was arbeiten Sie gerade?

Kann ich nicht sagen. Die Geschichte wird wieder einiges erschüttern. Die Redakteure beim Magazin „New Yorker“, für das ich arbeite, sagen aber, dass ich mich auf zu viele anonyme Quellen berufe: „Du kannst so was nicht über den Präsidenten sagen, wenn keiner namentlich dafür einsteht.“ Ich sitze schon seit drei Monaten daran, suche immer neue Quellen.

Trotz Redeverbot haben Sie also noch Informanten in Washingtons Bürokratie.

Sicher. Wenn ich zurzeit jemanden bei den Geheimdiensten aufrufe, ist die Chance sogar größer als vor drei Jahren, dass er mit mir spricht. Der Krieg ist ungerecht. Viele aus der Regierung sind wahnsinnig verärgert. Aber wie es typisch ist für Bürokratien, kann man abweichende Meinungen intern nicht äußern. Vor zwei Wochen hatte ich ein Treffen mit einem Informanten in Washington vereinbart. Schließlich sprach er mir auf den Anrufbeantworter: Er könne es doch nicht machen. Er hatte wohl Angst. Das ist natürlich enttäuschend. Aber ich versuche es immer wieder und rufe an.

Sie recherchieren am Telefon?

Meist von Angesicht zu Angesicht. Nicht aus Angst, abgehört zu werden. Das müsste erst ein Gericht erlauben. Aber ich bin vorsichtig.

Sie sind ein bekannter Mann. Sie können sich doch nicht einfach in Washington mit jemandem auf einen Kaffee treffen.

Während des letzten Wahlkampfs habe ich eine furchtbare Erfahrung gemacht. Ein Journalist beobachtete, wie ich mich in einem Park mit einem wichtigen Mann aus Kerrys Wahlkampfteam unterhielt. Alle dachten natürlich, ich würde ihn zu Kerry befragen, tat ich aber gar nicht, denn der Mann arbeitete vorher in wichtigen Regierungsjobs. Ich hatte schreckliche Angst, dass jemand herausfinden könnte, um was unser Gespräch wirklich ging. Meistens besuche ich die Menschen sehr früh am Morgen bei ihnen zu Hause. Oder in anderen Städten.

Jetzt, wo man weiß, welche Wellen Ihre Geschichten schlagen, bekommen Sie sicherlich viel Material zugeschickt.

Ich bekomme die heikelsten Dokumente, die man sich vorstellen kann. Aber ich habe in meinen 30 Jahren in Washington noch nie eine Geschichte aus etwas gemacht, das nur per Post zu mir kam. Ich fühle mich nur wohl mit Informanten, die ich für zehn, zwanzig Jahre kenne. Der einzige Weg, mich zurzeit zu diskreditieren, wäre mir eine falsche Geschichte anzudrehen.

Der Fernsehjournalist Dan Rather verließ seine Sendung, nachdem er sich auf falsche Dokumente über George W. Bushs angebliche Bevorzugung bei der Nationalgarde berufen hatte.

So etwas kann jedem passieren. Ist mir auch passiert. Ich hatte schreckliche Stories. Hatten wir alle.

Tiefpunkt Ihrer Karriere war, als Sie auf einen gefälschten Brief hereinfielen, mit dem Marilyn Monroe angeblich John F. Kennedy unter Druck gesetzt habe. Jetzt sind Sie wieder ganz oben.

Im Journalismus geht es auf und ab, bei mir läuft es gerade o.k. Im Moment bin ich sozusagen die Eissorte des Monats. Ich werde zu vielen Vorträgen über die Bush-Regierung eingeladen. Ich gehe ganz gerne hin. In drei Monaten interessiert sich wieder niemand mehr für mich.

Was ist als Nächstes von Bush zu erwarten?

Keine Ahnung. Er hat offensichtlich Iran und Syrien auf dem Plan.

Haben Sie eigentlich einen Lieblingsfeind? Ein Foto von Kissinger soll in Ihrem Büro hängen.

Jemand hat mir ein lustiges Bild geschickt, wie er chinesisch isst. Kissinger erstaunt mich, er lügt, wie andere atmen.

Was treibt Sie eigentlich? Wollen Sie die Welt verbessern?

Natürlich will ich darum kämpfen, korrupte Regierungen auffliegen zu lassen. Aber in Wahrheit geht es in unserem Beruf um möglichst interessante Geschichten. Ich will gute Geschichten schreiben.

Ihre beruflich erfolgreichsten Zeiten hatten Sie, als die USA am fragwürdigsten handelten: während der Kriege in Vietnam und im Irak.

Ja, brutale, amoralische Kriege liegen mir – in professioneller Hinsicht. Es ist eine paradoxe Situation: Je schlimmer die Welt, desto besser für mich.

Das Gespräch führte Barbara Nolte

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