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Medien: Die "Cannes-Rolle": Ist doch nur Werbung

Gebirgsidylle im Schnee. Santa Claus steigt im Schlitten zum Himmel auf, mit langem glitzernden Kometen-Schweif.

Gebirgsidylle im Schnee. Santa Claus steigt im Schlitten zum Himmel auf, mit langem glitzernden Kometen-Schweif. Ein Geschützrohr verfolgt seinen Weg. Feuer frei. Die Besucher im BKA-Luftschloß lachen. Dann eine Einblendung: In 56 Ländern gibt es keinen Frieden. Deutsches Rotes Kreuz. Das Lachen im Zelt erstirbt abrupt. Beifall, etwas betreten.

Der Spot der Frankfurter Agentur Oglivy & Mather schaffte es, zusammen mit 13 weiteren deutschen Beiträgen, in die Vorauswahl für die besten Werbefilme beim International Advertising Festival. Dessen 48. Auflage fand im Juni in Cannes statt. Am Donnerstagabend zeigte der deutsche Festival-Repräsentant "Werbeweischer" in Berlin unter dem Motto "Nacht der Löwen" in der 80-minütigen "Cannes-Rolle" die besten Filme.

Für die deutschen Werber verlief dieses Festival mit der Ausbeute von einem goldenen und zwei silbernen Löwen weitaus weniger desaströs als in den vergangenen Jahren. Haftete ihnen bislang meist der Ruf an, intelligent und informativ, aber selten unterhaltsam zu sein, so halten nunmehr auch in der deutschen Werbung zunehmend Humor und die überraschende Pointe Einzug. Etwa beim Wackel-Elvis-Spot, den Saatchi & Saatchi für Audi drehten. Für die Idee mit der Klebefigur an der Windschutzscheibe, die bei einer Automatik-Schaltung viel von ihrer Beweglichkeit einbüßt, kassierte die Frankfurter Agentur in Cannes einen silbernen Löwen ein.

Im vergangenen Jahr hatte ein Spot für die amerikanische Bier-Marke "Budweiser", in dem sich Männer per Telefon ein "Whassup" - zu deutsch: Was geht ab? - entgegen tröten, um anschließend in infernalisches Gebrüll auszubrechen, alle anderen Spots in den Schatten gestellt. Anno 2001 konnte die Jury unter 6117 Einsendungen auf Anhieb keine derartigen Überflieger ausmachen. Dennoch steht hintergründiger Nonsens momentan hoch im Kurs, ist steife Seriosität weitgehend verpönt. Wenn die Gattin plötzlich auf den Backofen eintritt, Sohnemanns Skateboard ins Bullauge der Waschmaschine rammt oder mit spitzen Haushaltsgegenständen auf den Geschirrspüler losgeht, dann ist sie vermutlich nicht komplett ausgetickt, sondern artikuliert lediglich ihren Wunsch nach einer neuen Kücheneinrichtung. Und drei finstere Herren, die am Mobiliar des überraschten Wohnungsinhabers herumnörgeln, führen womöglich nur verkaufsfördernde Maßnahmen eines skandinawischen Möbelhauses durch. Keine Panik also. Ist doch nur Werbung. Nichts Ernstes.

Was zählt, ist eine knackige Shortest-Story, ein Appell eher ans Bauchgefühl als an die Kopfentscheidung. Am 20. September wird die "Cannes-Rolle" noch einmal im "Tränenpalast" gezeigt.

Erik Heier

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