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Rübergemacht. Arnold Schölzel desertierte aus der Bundesrepublik in die DDR.

© picture alliance / dpa

Die "Junge Welt" und ihre Chefredaktion: Dialektik des Verrats

Arnold Schölzel oder wie ein Chefredakteur die „Junge Welt“ leitet und die Welt sieht. Die linksextreme Ideologie ist betonfest

Wer wissen will, wie einst DDR-Ideologie klang, der muss die „Junge Welt“ lesen. Heute erreicht die einst größte Tageszeitung der DDR nur noch eine Auflage von unter 20 000 Exemplaren. Geschrieben und betrieben wird sie hauptsächlich von DKP-nahen Westlinken. Otto Köhler etwa polemisierte kürzlich auf einer Doppelseite gegen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – dazu stellte er neben ihr Bild eines von Joseph Goebbels bei einem Frontbesuch im Frühjahr 1945. Das ist der Stil der „Jungen Welt“.

Die Sozialdemokratie ist dabei im Geiste Stalins nur der gemäßigte Flügel des Faschismus. Auf dieser betonfesten ideologischen Basis agierte die Zeitung unter ihrem Chefredakteur Arnold Schölzel. Eine Zeitung im Schützengraben des Klassenkampfes. Die Wende ist in ihrem Sprachgebrauch eine „Konterrevolution“ und die deutsche Einheit eine „Annexion“. Vom marxistischen Fetisch der Geschichtsgesetze ist es nicht weit zur Verschwörungstheorie, darum schrieb der Chefredakteur „Das Schweigekartell“, ein Buch über den 11. September 2001 . Mit solch bürgerlichen Presseerzeugnissen wie dem Tagesspiegel wünscht Schölzel nach telefonischer Interview-Anfrage „keinen Kontakt“.

Das Prinzip Sekte funktioniert

Widerspruch existiert in diesem Milieu der Gleichgesinnten nicht, das Prinzip Sekte funktioniert. Darin besteht der Erfolg von Arnold Schölzel, Chefredakteur seit 2000. Seit August ist das nun Stefan Huth. Ein Richtungswechsel? Nein, denn Schölzel bleibt Mitglied der Chefredaktion, muss sich nun jedoch noch um ein anderes linksextremes Presse-Organ kümmern, den „RotFuchs“, der nicht über den Zeitschriftenhandel vertrieben wird. Einst erschien dieser heute fest ins ideologische Korsett geschnürte Mensch fast so etwas wie ein Hoffnungsträger. Denn Arnold Schölzel war vor 1989 Philosoph an der Humboldt Universität. Wer ihn von dorther kennt, wundert sich über sein offenbares Doppelleben – und wundert sich auch wieder nicht. Denn er ähnelt Woody Allens „Zelig“, der sich immer dem Umfeld anverwandelt, in dem er sich gerade bewegt. 1967 desertierte der in Bremen Geborene zwanzigjährig aus der Bundeswehr, flüchtete in die DDR und ließ sich umgehend von der Staatssicherheit als IM André Holzer anwerben. Er studierte an der Humboldt Universität Philosophie, promovierte über „Revisionismus“ und wurde Mitglied in einem oppositionellen Studentenzirkel, zusammen mit Wolfgang Templin (später Bürgerrechtler), Klaus Wolfram (Verleger von Basis-Druck), Sebastian Kleinschmidt (langjähriger Chefredakteur von „Sinn und Form“). Sechs Studenten auf der Suche nach Reformansätzen in der DDR und ein Spitzel im MfS-Auftrag – Arnold Schölzel.

Die Gruppe flog folgerichtig auf, die Teilnehmer wurden verhaftet, zur Aufrechterhaltung der Konspiration auch der IM. Niemand von den anderen Mitgliedern der Gruppe verdächtigte ihn. Er wirkte nicht wie Fanatiker, sodass niemand ahnte, mit welchem Eifer er – fast täglich – seine Denunziationen verfasste.

Kein Nietzsche-Verächter

In der zweiten Hälfte der 80er Jahre war Schölzel bereits Oberassistent und hielt Seminare über die Philosophie des späten 19. Jahrhunderts, die zu besuchen sich lohnte. Sein Eröffnungssatz zu einem Nietzsche-Seminar (Nietzsche galt offiziell als philosophischer Hauptfeind des Marxismus-Leninismus), verhieß einiges: Ein berühmter ungarischer Philosoph (gemeint war Georg Lukács) fordere, Nietzsche gehöre ins Klo, er jedoch sei nicht dieser Meinung. Das war intelligent, geradezu freisinnig.

Auch die Filmemacherin Inga Wolfram gehörte zu dem von Schölzel verratenen Studentenkreis. Nach der Wende staunte sie über das Ausmaß der Denunziation. Sie drehte den Film „Verraten“ und holte Schölzel vor die Kamera, der wieder ein Beispiel gab für die Dialektik des Verrats, wie er sie versteht. Die Reformer erklärt er für gefährliche „politische Romantiker“. Auf die Frage, warum er sie verraten habe, kontert er: „Ihr habt siebzehn Millionen verraten!“ Gunnar Decker

Gunnar Decker

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