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Medien: Die Leiden des jungen O.

Ein Film über das Klima der Angst nach den Amokläufen in Erfurt und Emsdetten

Das ist einer der Albträume unserer Zeit: ein junger Mann, ein Einzelgänger voll verborgenem Hass, will töten. Jedenfalls malt er es sich aus. Wie ernst ist das zu nehmen, wann und warum wird aus der Phantasie Realität? Oliver Rother (Ludwig Trepte) schreibt Rap-Texte, die er in einem zerfledderten Buch mit sich herumträgt. Als er wütend aus dem Klassenzimmer stürmt, nachdem ihn seine Deutschlehrerin (Anneke Kim Sarnau) vor allen heruntergeputzt hat, flattert eine Seite aus seiner Sammlung – ausgerechnet die mit wüsten Todesdrohungen gegen seine Lehrerin und seine Schule. Das gilt, verständlich nach den jüngsten Ereignissen, nicht mehr als harmloser Wut-Ausbruch eines pubertierenden Teenagers. Oliver ist nun ein potenzieller Amokläufer, zumal die Polizei in seinem Zimmer die vom Opa geerbte Pistole und in seinem Computer ein brutales Spiel findet.

„Ihr könnt euch niemals sicher sein“ von Regisseurin Nicole Weegmann ist kein Film über Erfurt und Emsdetten, sondern über die Angst danach. Es gibt keinen Amoklauf, sondern einen einsamen, sensiblen Jugendlichen, der in manchmal gewalttätige Träume flüchtet, und verunsicherte, hilflose Erwachsene, die zu der Welt des 17-Jährigen keinen Zugang finden. Eigentlich also eine moderne Sturm-und-Drang-Geschichte, und das Autoren-Paar Eva und Volker A. Zahn erlauben sich auch einige Querverweise auf Goethe und Plenzdorf. Die Lehrerin gibt Oliver eine Sechs, weil er „Die Leiden des jungen Werthers“ in Rap-Form interpretiert hat. Der junge Mann ist eine Art verhinderter Künstler wie der Edgar Wibeau in Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“. Und Olivers unglückliche Liebe an der neuen Schule heißt natürlich Charlotte (Karolina Teska).

Doch Oliver will im Gegensatz zu Goethes Werther, der sich wegen Lotte selbst erschoss, lieber der Lehrerschaft an die Gurgel – wenn man seine extremen Texte wörtlich nimmt. Und wer kann dies den Lehrern verdenken, die sich auch im Sinne der Sicherheit der ihnen anvertrauten Schüler keinen Fehler erlauben dürfen? Aber wird hier ein heranwachsender Mensch nicht etwas leichtfertig stigmatisiert? Oliver rutscht immer tiefer in den Schlamassel, ein wenig Halt findet er bei Charlotte und beim Deutschrussen Micha (Fjodor Olev). Die Stärke des Films ist, dass er die Welt nicht in Gut und Böse teilt und die Motive aller Beteiligten differenziert darstellt. Es herrschen Angst und Verunsicherung, was sich auch bei den Dreharbeiten zeigte: Das Filmteam durfte nicht an Schulen in Köln und Leverkusen drehen, sondern musste an die Uni Düsseldorf ausweichen. Zuvor hatte sich in Köln ein Schüler, der verdächtigt worden war, einen Amoklauf vorzubereiten, mutmaßlich selbst getötet.

Manche Figuren sind im Film allerdings etwas grob gezeichnet. Da ist die Lehrerin (Sarnau), die dem Klischee einer stets persönlich betroffenen und politisch korrekten Pädagogin gleicht. Und da ist der Vater (Hannes Hellmann) von Charlotte, der den reichen Fiesling par excellence darstellt. Etwas mehr Tiefe haben Olivers Eltern (Jenny Schily, Jürgen Tonkel). Die Mutter erkennt erschüttert, wie fremd ihr der Sohn geworden ist. Der Vater tut dessen Phantasien als normal ab, gerät aber mit Oliver ständig in Streit.

Wirklich herausragend wird dieser Fernsehfilm vor allem aus einem Grund – und der heißt: Ludwig Trepte. Der 20-jährige Schauspieler aus Berlin, der als Schüler zuletzt in dem preisgekrönten ARD-Drama „Guten Morgen, Herr Grothe“ beeindruckt hatte, beweist erneut sein enormes Talent. Die schwankende Gefühlswelt eines Heranwachsenden ist ihm nahe, das spürt man, doch zugleich ist da diese unerhörte Sicherheit vor der Kamera.

Oliver ist mal aggressiv, mal zärtlich, sagt vor einer Mit-Insassin in der Psychiatrie seine Texte auf, was ihm ein bisschen peinlich ist, und rapt selbstbewusst in der Russen-Disco. In keiner Sekunde wirkt Trepte in dieser Rolle gekünstelt und nicht präsent. „Vielschichtige Typen geben mir als Schauspieler mehr Futter“, sagt Trepte wie ein alter Hase. Wie gut auch fürs Publikum, wenn sein Hunger weiter gestillt wird.

„Ihr könnt Euch niemals sicher sein“, ARD, 20 Uhr 15

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