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Medien: Die magnetische Revolution

Graues Band der Harmonie: Vor 70 Jahren wurde in Berlin das Tonband erfunden. Seine Erben stecken noch in fast allen Computern

Es war nur ein kleiner Schritt für die Ingenieure, aber ein großer Tag für die Mediengeschichte. Die Erfindung, die vor 70 Jahren auf der Berliner Funkausstellung vorgestellt wurde, veränderte die Kultur nachhaltig. Auf der Funkausstellung im Jahr 1935 war eine Sensation angekündigt, die sich in einem unscheinbaren grauen, mit Eisenoxid beschichteten Band versteckte: das Tonbandgerät. Erstmals konnten große Datenmengen auf einer Rolle platzsparend aufgewickelt und gelagert werden. Der Klangwelt öffneten sich gänzlich neue Möglichkeiten.

Tatsächlich beruhte das Tonband auf zwei älteren Technologien, die sich nun in einer vereinigten: Das Magnetophon und das Magnetband. Beide waren Anfang der Dreißigerjahre in Deutschland erfunden worden, Berlin spielte dabei eine wichtige Rolle. Das Magnetophon hatte die AEG entwickeln lassen, 1928 schuf Fritz Pfleumer, Erfinder des Lautschriftträgers, das erste Abspielgerät. Das Band, das akustische Signale elektromagnetisch speichern konnte, war aus Papier und lief auf 16-mm-Filmspulen. Die AEG beauftragte den Ingenieur Eduard Schüller mit der Entwicklung eines serienmäßig herstellbaren Abspielgerätes. Und im Berliner AEG-Versuchslabor gelang schließlich Theodor Volk die Herstellung eines weniger reißgefährdeten Bandes nach Vorbild des Filmprojektors.

Die offizielle Geburtsstunde des Tonbandgerätes aber schlug 1935. War bis dahin die Welt der Konservenmusik eine Scheibe, so begann damit die elektromagnetische Ära der Datenaufzeichnung. Zwar zerstörte ein Brand auf der Ausstellung nach nur drei Tagen sämtliche existierenden Abspielgeräte, doch der Siegeszug der neuen Erfindung war nicht zu stoppen. Nachdem die Londoner Philharmoniker unter Sir Thomas Beecham 1936 ein Konzert in Ludwigshafen aufgenommen hatten, interessierten sich auch die Rundfunkanstalten für die Technologie, die bis dahin Wachsplatten oder magnetisierten Draht als Datenspeicher verwendet hatten.

Das Tonbandgerät schwang sich zum Lieblingsgeräte der Musikfans auf. Beim Heimgerät waren die USA den Deutschen einen Schritt voraus: Das erste professionelle Studio-Gerät Ampex 200 kam 1948 auf den amerikanischen Markt. AEG und Grundig zogen zwei Jahre später nach, die Firma Loewe Opta kombinierte 1952 im Optaphon Plattenspieler und Tonband – ein Gerät, das allerdings nur eine technikgeschichtliche Episode blieb. Im diesem Jahr, in Großbritannien wurde soeben die Hitparade eingeführt, fiel der Preis für einen Tonband-Koffer von Grundig erstmals unter die 1000 Mark-Grenze. So wurde das neue Verfahren zum erschwinglichen Hobby der Enthusiasten, denen bald auch Dolby-Rauschunterdrückung, Batteriebetrieb und Vierspurtechnik zur Verfügung standen. Freddys Seemannslieder, Pat Boones Schnulzen und Bully Buhlans Hotmusik wanderten auf Sammelbänder, die man in säuberlich beschrifteten Kunststoffboxen verstaute: quadratisch, praktisch, gut. Der Musikhandel setzte allerdings noch Jahrzehnte lang auf die Schallpatte.

Späteren Aufnahmetechniken, etwa der 1963 vorgestellten Kompaktkassette, war das Tonband qualitativ überlegen – wenn auch weniger bequem. Mit Schere und Kleber ließen sich die selbst aufgenommenen Hits in immer neuen Kombinationen zusammenschneiden. Über dem dabei entstehenden Bandsalat konnte man Stunden mit Aufwickeln und Kleben verbringen, das umständliche Einfädeln des Bandes erforderte einige Fingerfertigkeit. Doch auch die Musikprofis nutzten die Magnetbänder für so genannte Masterbänder – meist mit Mehrspurgeräten der Firma Revox. Instrumente konnten so nachträglich eingespielt werden: die Ära der aufwendigen Studiomusik begann. Auch für Hörspiele und Klangexperimente war das Band bestens geeignet. Als die Beatles 1966 den ihren Titel „Strawberry Fields Forever“aufnahmen, nutzten sie einen Ableger des Tonbandes, das Melotron. Das Instrument sah aus wie eine Orgel, beim Drücken der Tasten wurden aber einzelne Tonbänder im Innern in Betrieb gesetzt, die beispielsweise Flötentöne abspielten. Die britische Musikergewerkschaft zog gegen diesen Vorgänger des Synthesizers zu Felde weil sie die Arbeitslosigkeit von Orchestermusikern befürchtete. Beim Abmischen des Titels „Strawberry Fields Forever“ im Studio spielte George Martin, der als „fünfte Beatle“ bezeichnete innovative Produzent der Band, Tonbandaufnahmen rückwärts ein und schuf damit einen experimentellen Sound.

Damals galten solche handgemachten Basteleien als Meisterleistung, heute lassen sie sich bequem am Computer erledigen. Aber das Prinzip der magnetischen Aufzeichnung überlebt bis heute noch im Videorekorder, im Camcorder und im Mini-DV-Format. Die laserabgetastete CD allerdings läutet das Ende des Tonbands ein – und so sind selbst so hübsche Wörter wie Bandsalat vom Aussterben bedroht. Bis zum Aussterben der elektromagnetischen Aufzeichnung dürfte es aber noch etwas dauern. Denn noch heute kann kaum ein Computer eine CD ohne Magnetband lesen. Die Festplatten der Computer sind nichts anderes als magnetisch beschichtete Kunststoffscheiben – und somit späte Erben der elektromagnetischen Revolution von 1935.

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